Anna Weidenholzer erzählt eine eigenwillig triste Home-Story aus Österreich
Von Maria Motter
Am Ende graut nicht einmal der Morgen. Es ist eine durchwachte Nacht, die sich Anna Weidenholzer als Rahmen für ihr neues Buch mit dem kryptischen Titel „Finde einem Schwan ein Boot“ setzt und die Erzählung endet noch vor Sonnenaufgang. Anna Weidenholzers Hauptfigur Elisabeth kann nicht schlafen. Sie reflektiert ihre Beziehung zu Peter König, vormals Lokaljournalist, jetzt im Politikressort eines neuen Medienprojekts tätig.

Matthes & Seitz Berlin
„Finde einem Schwan ein Boot“ von Anna Weidenholzer ist 2019 bei Matthes & Seitz Berlin erschienen.
Ob sie denn noch nie gelesen habe, was er jetzt mache, wird Elisabeth Peters Schwester einmal fragen. Im Keller bunkert Peter Mineralwasserflaschen für den Ernstfall, als Liebesbekundung bringt ihm Elisabeth mal eine mit. Meist spricht Peter sie mit „Prinzessin“ an und das kann man sich selbst mit viel romantischem Sinn nicht mehr schönlesen.
Ohne Wertung, weder mit Sympathie noch mit Antipathie erschreibt Anna Weidenholzer ein Kammerspiel im Mehrparteienhaus, das in Österreich zur Zeit der Regierung Kurz angesiedelt ist. Explizit steht das nicht auf den 200 Seiten, aber es daraus zu schließen ist zulässig. Das Paar im Fokus ist nicht mehr jung, doch es gibt noch Eltern, die es zu besuchen gilt.
Bei einigen Passagen von „Finde einem Schwan ein Boot“ könnte man an Elfriede Jelineks „Die Liebhaberinnen“ denken. 1975 stellte Jelinek die Leben und Lieben zweier Frauen gegenüber, ja, spielte sie gegeneinander aus. Es ging um Allianzen zum gesellschaftlichen Aufstieg. Aber Anna Weidenholzers weibliche Hauptfigur ist finanziell nicht auf ihren Partner angewiesen.
Die Autorin verzichtet in ihrer erfundenen Fallstudie außerdem auf Momente der Eskalation. Subtil, ja zu subtil, um eine Spannung zu halten, erzählt sie vom Freizeitverhalten des Paares, während Hinweise auf politische Veränderungen in wenigen, unheimlichen Sätzen fallen.
Die Berge und die Seen - das ist das Gute: die wird uns niemand wegtragen
So steht es unter der Kapitelüberschrift „2:37“. Es ist das Zitat eines Politikers, das im Oktober 2018 gefallen ist. Stammt es von Herbert Kickl oder von Sebastian Kurz? Der gebürtigen Linzerin Anna Weidenholzer muss diese Aussage jedenfalls auch als denkwürdig aufgefallen sein. Gegen Ende blitzen Pläne und Maßnahmen der Regierung Kurz in Nebensätzen auf. Und dann taucht in einem „Café Maria“ eine schrullige Professorin auf, die wie die Log Lady in Twin Peaks agiert und den anderen Gästen ungefragt psychologische Experimente wie Prophezeiungen vorträgt.
Vergnüglich wird das nicht, vielmehr muten die Aktivitäten des Paares Elisabeth und Peter wie ein Pflichtprogramm an. Sex ist überhaupt kein Thema, dafür Alkohol. Aus Mangel an Freunden feiert das Paar regelmäßig bei den Nachbarn gegenüber, deren Chinchilla für Slapstick-Szenen herhält.
Das Chinchilla saß ruhig im Wohnzimmerschrank, Heinz hatte erst vor wenigen Tagen ein Zwischenbrett herausgenommen, was es ermöglichte, dass der neue Käfig nun auf der Höhe des Fernsehers im Regal Platz fand ...
Seltsam entrückt wirken die Szenen dieser Gesellschaft, die Anna Weidenholzer im Sekundenstil allzu behutsam schildert. Hier entfremden sich Menschen voneinander, hier könnte eine Gesellschaft kippen. Für „Finde einen Schwan“ braucht man viel Geduld. Sehr viel Geduld.
Publiziert am 13.09.2019