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Buchcover mit Titel "Flexen"

Verbrecher Verlag

Mit dem Sammelband „Flexen“ die Straße zurückerobern

In „Flexen“ erzählen 30 Autorinnen* Geschichten über das Spazierengehen im öffentlichen Raum, Geschichten, die von übergriffigen Blicken handeln und vom Mutig-Sein.

Von Michaela Pichler

Das Wort „Flexen“ hat im Deutschsprachigen mehrere Bedeutungen: „die Muskeln zur Schau stellen“, „Sex haben“, „etwas schleifen“ – oder eben „flanieren“. Und genau darum geht es in der Anthologie „Flexen – Flaneusen* schreiben Städte“: um das Flanieren durch den öffentlichen Raum und die darin implizierte politische Handlung. Denn die Herausgeberinnen* Özlem Özgül Dündar, Mia Göhring, Ronya Othmann und Lea Sauer stellen bereits im Vorwort fest, dass Flaneusen* in der Literaturgeschichte bisher zu kurz gekommen sind:

Flexen heißt, mich dort zu bewegen, wo ich nicht vorgesehen bin, und etwas tun zu wollen, was für mich erst einmal als etwas Ungewöhnliches gilt. Deswegen flexe ich.

Der Sammelband vereint in seinen dreißig Kurzgeschichten, Gedichten und Berichten Perspektiven auf den öffentlichen Raum, die oft ungesehen bleiben. Dabei kommen Frauen*, People of Color und queere Personen zu Wort. Wie fühlt sich zum Beispiel eine Sexarbeiterin auf der Straße, die sich in ihre Kollegin verliebt hat? Welchen Reaktionen ist ein lesbisches Paar mit Kinderwagen ausgesetzt? Flaniert man in Berlin, Wien, Mexico City oder Beirut anders?

Buchcover mit Titel "Flexen"

Verbrecher Verlag

Zwischen Resignation und Selbstermächtigung

Ein Thema, das sich wie ein roter Faden durch das Buch zieht, ist die Angst. Denn für viele Personengruppen sind die Straßen einer Stadt kein sicherer Ort: Sexismus, Rassismus, Homophobie oder Transphobie gehören für viele Personen zum täglichen Kampf. Wer kennt es nicht? Kopfhörer auf, aber keine Musik an, den Schlüssel zwischen Zeigefinger und Mittelfinger fest im Griff, Schultern breit machen und Notfallkontakt auf Kurzwahl halten. Strategien, um in der Nacht möglichst unsichtbar und allzeit bereit zu sein. Wie geht man mit sexueller Belästigung um? Diese Frage stellt sich zum Beispiel die namenlose Protagonistin in Mirjam Aggelers Geschichte, die vom übergriffigen Verhalten eines Mannes in den Öffis erzählt. Sie entscheidet sich am nächsten Tag doch lieber gegen den Rock:

Heute lieber Hose. Heute lieber unsichtbar. Heute lieber unbemerkt. Heute lieber keine Blicke. Sie können mir gestohlen bleiben.

Das Buch „Flexen – Flaneusen* schreiben Städte“ ist im Verbrecher Verlag erschienen und wurde von Özlem Özgül Dündar, Mia Göhring, Ronya Othmann und Lea Sauer herausgegeben.

Neben den geschilderten negativen Erfahrungen gibt es in „Flexen“ aber auch Geschichten der Selbstermächtigung zu lesen. Von der indischen Aktivistin Neha Singh zum Beispiel, die sich durchs nächtliche Spazierengehen in Mumbai die Straßen zurückerobert hat. Die Journalistin* Julia Lauter begleitet die Aktivistin auf einem ihrer nächtlichen Ausflüge in einer Reportage. Neha Singh kritisiert vor allem den gesellschaftlichen Druck, dem Frauen* in Mumbai ausgesetzt sind. Ist es besser, zu Hause zu bleiben, um der Gefahr, die im öffentlichen Raum droht, von vornherein auszuweichen? Die Herausgeberinnen* stellen fest:

Mir wurde gesagt, es sei zu gefährlich, bleib zu Hause. Bleib drinnen, da wo es sicher ist. Nur bedeutet drinnen sein nicht gleich Sicherheit und draußen sein nicht zwangsläufig Freiheit.

Die verschiedenen Perspektiven, die sich auch in Stil und Form unterscheiden, sensibilisieren und rücken vielleicht auch den eigenen Blick auf die Straße in ein anderes Licht.

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