FM4-Logo

jetzt live:

Aktueller Musiktitel:

Masken

CC0

buch

„Das Girlfriend-Experiment“: Liebe in Zeiten der Künstlichkeit

Mit ihrem Roman „Das Girlfriend Experiment“ entwirft die amerikanische Schriftstellerin Catherine Lacey ein dystopisches Beziehungskonstrukt: mehrere Frauen sollen gemeinsam die perfekte Partnerin ergeben. Science-Fiction, die in eine neue, andere Richtung geht.

Von Lisa Schneider

Am Anfang des heurigen Sommers hat Ian McEwan seinen neuen Roman „Maschinen wie ich“ veröffentlicht - eine Erzählung in direkter Nachfolge von Mary Shelleys „Frankenstein“: Androide leben in McEwans Roman ganz normal unter Menschen, sind ihre Freund*innen, ihre Helfer*innen im Haushalt und natürlich auch für ihre körperlichen Bedürfnisse zuständig.

Catherine Lacey

Willy Somma

Catherine Lacey wurde in Mississippi geboren und lebt in Chicago. Schon für ihren 2014 veröffentlichten, ersten Roman „Niemand verschwindet einfach so“ wurde sie mit dem Whiting Award 2016 ausgezeichnet.

Und nicht nur Ian McEwan feiert Erfolge mit zeitgenössischer, anspruchsvoller Science-Fiction: Margaret Atwood etwa ist einmal mehr für den Booker Prize 2019 nominiert - mit der Fortsetzung ihres Kritikererfolgs „Der Report der Magd“. Darin erzählt sie von einer nahen, dystopischen Zukunft, in der ein kleiner Teil der übrig gebliebenen Menschheit unter theokratischer Diktatur lebt. Und in der vor allem Frauen, dem europäischen Mittelalter nicht unähnlich, ohne Recht auf Besitz abgestellt werden zum Führen des Haushalts und zum Kindergebären.

Der „Report der Magd“ ist schon 1985 erschienen - sieht man sich in der aktuellen, feministischen Sci-Fi-Welt um, ist die inhaltliche Richtung eine andere. Es geht darin nämlich weniger um die Vorstellung der Welt nach anderen politischen oder überhaupt gesellschaftlichen Parametern - oft im Auge einer aufziehenden oder schon überstandenen Natur - oder sonstigen Katastrophe - sondern vielmehr um das Erkunden dessen, was bis heute eben noch selten belegt, bestimmt und prognostiziert werden konnte: menschliche Emotionen. Das Genre „Neuronovel“ ist eine literarische Strömung, die an vielen Stellen mit Science-Fiction zusammenfließt - und zu der man Autor*innen wie Richard Powers, Rivka Galchen oder Olivia Sudjic zählen kann.

Entlang der Bestimmung der Grenzen unseres Bewusstseins und Ich-Empfindens bewegt sich auch der zweite Roman der amerikanischen Schriftstellerin Catherine Lacey.

Auf der Suche nach dem neuen Leben

Mary Parsons ist 30 Jahre alt und lebt alleine in New York. Sie hat nur eine wirkliche Freundin, die hippieske Chandra, und so gut wie keine Familie mehr. Mary leidet seit mehreren Monaten unter seltsamen Schmerzen im gesamten Körper, die kein Arzt bisher diagnostizieren konnte. Das Durchprobieren verschiedener Behandlungsmethoden ist teuer (der Roman spielt in den USA, eine passende Versicherung ist Luxus) - sie braucht also viel Geld.

An der Reformhaus-Pinnwand liest sie eines Tages eine Annonce zu einem „einkommensschaffenden Erlebnis“. Es sind einige Qualifikationen aufgelistet - ein Ivy-Abschluss, ein Erste-Hilfe-Kurs-Abschluss, stabile psychologische Gesundheit, außenpolitische Kenntnisse, hohe Kommunikationsfähigkeit und vor allem Diskretion. Mary beschließt, ihre letzten Kräfte, das letzte Stückchen ihres Lebens, dorthinein zu stecken, denn „ein Jahr lang hatte ich gar keins gehabt, nur Symptome“.

Die perfekte(n) Frau(en)

Hinter der seltsamen und wenig aussagekräftigen Annonce steckt Kurt Sky: ein gut aussehender, narzisstischer, in die Jahre gekommener Filmstar und Regisseur. Er hat gesucht, bis jetzt aber nicht die richtige Beziehung bzw. die richtige Partnerin gefunden - und stellt sich jetzt, gemeinsam mit einem Team an Wissenschaftlern die Frage: Wie kann man verhindern, dass die erstmalige Verliebtheit verschwindet? Kurt entwickelt gemeinsam mit seinen Angestellten das „Girlfriend Experiment“, das vorsieht,

Buchcover "Das Girlfriend-Experiment" von Catherine Lacey

Aufbau Verlag

Der Roman „Das Girlfriend-Experiment“ von Catherine Lacey erscheint in einer deutschen Übersetzung von Bettina Abarbanell im Aufbau Verlag.

“(…) die Rollen, die sonst von einem Lebenspartner ausgeübt werden, auf ein Team spezialisierter Personen zu verteilen, um so Beziehungsexperimente zu inszenieren, mit denen wir die innere Wirkungsweise von Liebe und Gemeinschaft beleuchten können.”

Sprich: ein Mensch ist fehlbar, mehrere Menschen nicht. Es wird ein Harem an Frauen um Kurt geschart und im Rahmen der Beziehungssimulation auf verschiedene Rollen verteilt. Da gibt es etwa die „Wutfreundin“, die mit ihm streitet; die „mütterliche Freundin“ die aufräumt, ihn bekocht, für ihn da ist; die intellektuelle Freundin, die ihn geistig auf Trab halten soll; ein Intimitätsteam, das sich um Kurts sexuelle Bedürfnisse kümmert. Und schließlich gibt es auch die „emotionale Freundin“, deren Part Mary übernimmt. Ein Teil ihres „Skripts“ liest sich so:

“Nach zwei und nach vier Monaten müssen Sie in einem bestimmten Moment in der Lage sein, vor Kurt zu weinen, und zwar während eines unserer Beziehungsexperimente zur Verletzlichkeit. Im selben Zeitraum müssen Sie nach einem emotional intimen Moment „Ich liebe dich“ zu ihm sagen. Sie werden ihm außerdem erklären, dass Sie diesen Satz normalerweise nie als Erste sagen, sich aber schneller verliebt haben als jemals zuvor.”

Manchmal reichen Fragen aus

Es ist nicht nur ein seltsam dystopisches Beziehungsmodell, das Catherine Lacey hier entwirft; es ist vor allem ein zutiefst psychologischer Roman, der moralisch wie intellektuell tief gräbt und subtil große Fragen nach Glaube und Zweifel, aber auch nach Kunst und Ruhm aufwirft. Es ist ein Roman, der von körperlicher Gewalt an Frauen erzählt - auch, wenn diese nicht im Rahmen des Girlfriend Experiment stattfindet. Da, und auch das ist klassische geschichtlich Entwicklung, werden Frauen auf ihre emotionalen Fähigkeiten geprüft und reduziert.

Nicht selten geht schon in der Titelübersetzung vom Englischen ins Deutsche viel verloren. Im Original trägt Catherine Laceys Roman den Titel „The Answers“. Und dieser ist deshalb besonders gut gewählt, weil der Roman beweist, dass es oft nicht die Antworten sind, die man sucht, sondern die richtig formulierten Fragen:

„Wie liebt man am besten? Wie weiß man, mit Bestimmtheit, irgendetwas aus dem Herzen eines anderen? So eine ernste Sache, die wir da tun, und niemand weiß wirklich, wie das geht.“

mehr Buch:

Aktuell: