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Nora Bossong

Heike Steinweg

Diplomatie ist aufwühlend und undurchschaubar in Nora Bossongs „Schutzzone“

Bonn, New York, Bujumbura und Den Haag: Nora Bossongs neuer und großartiger Roman „Schutzzone“ führt in die Welt der Vereinten Nationen. Diplomatie ist darin auch ein Spiel, bei dem unklar ist, wer auf wessen Seite steht.

Von Maria Motter

Die deutsche Autorin Nora Bossong hatte einen Plan. In große Worte hat sie ihren neuen Roman „Schutzzone“ eingeteilt: Frieden, Wahrheit, Gerechtigkeit, Versöhnung und Übergang lauten die Themen. So programmatisch das aussieht, so mitreißend erweist sich das Buch beim Lesen.

Obwohl man erst auf Seite 72 den vollen Namen der Hauptfigur erfährt, irrt man hier nicht umher. Den gesamten Roman hindurch ist man mit der Ich-Erzählerin unterwegs, die lange Zeit hindurch den Eindruck einer willensstarken und aufgeräumten Person vermittelt, die stets ihr Umfeld zu reflektieren vermag und sich nicht in ihrer Mission zu verlieren scheint: Als UN-Mitarbeiterin ist sie in Burundi, um Zeitzeugenberichte von Überlebenden des Völkermords an Hutu und gemäßigten Tutsi zu dokumentieren. Konkret heißt das, dass sie in Flüchtlingslagern Menschen interviewt. Wenig später soll sie den Friedensprozess zwischen Zyprioten und Griechen voranbringen.

Rasant wird man ins Leben dieser Nora Weidner gezogen und durch die gesamte Handlung zieht sich eine Spannung. Die Erzählung springt hin und her zwischen der Gegenwart und Erinnerungen an vergangene Einsätze, an intime Momente und Kindheitseindrücke. Als sich ihre Eltern scheiden lassen, verbringt Nora Weidner als zehnjähriges Mädchen mehrere Monate im Haus eines befreundeten Diplomaten. Es sind entscheidende Wochen für ein Land auf dem afrikanischen Kontinent und für Mira, die erst als Erwachsene wieder auf Sohn des Hauses treffen wird.

Eine Mitarbeiterin der Vereinten Nationen

Nora Bossong nimmt sich die Welt der Vereinten Nationen vor und erzählt in „Schutzzone“ mitreißend von privater Misere und Friedensmissionen – allen voran in Burundi –, die sich nicht alle schönreden lassen. Zwischen Bujumbura in Burundi, New York und Den Haag tun sich in diesem Roman Abgründe auf. Der Horror schlägt sich in wenigen Sätzen nieder. Es gibt wenige Überschneidungen zwischen den Monaten in der Ferne und der Zeit an den UN-Amtssitzen.

Buchcover mit Grafik: zerbrechendes UNO-Symbol

Suhrkamp Verlag

„Schutzzone“ von Nora Bossong ist 2019 bei Suhrkamp erschienen und einer der 20 Romane, die für den Deutschen Buchpreis 2019 nominiert sind.

Wie der Schweizer Theatermacher Milo Rau im Stück „Mitleid - Die Geschichte eines Maschinengewehrs“ das Leben einer NGO-Mitarbeiterin vor dem Publikum ausbreitet und von dem Abschlachten von Hutu und gemäßigten Tutsi mit Macheten und Maschinengewehren berichtet, beschäftigt sich Nora Bossong mit diesem Krieg gegen eine soziale Gruppe. Weshalb weiß man eigentlich so wenig über dieses Morden und Kriegstreiben, vielleicht, weil man in Europa damals mit dem Bosnienkrieg komplett überfordert war. Den Vereinten Nationen kommt in den Kriegen eine miserable Rolle zu. Nora Bossong lässt ihre deutsche Ich-Erzählerin brillant und eloquent über die Vereinten Nationen urteilen.

Doch Zynismus liegt Mira Weidner fern. Das macht „Schutzzone“ so annehmbar in seinem Blick auf die Welt der Diplomatie, die nur in den ersten Kapiteln klischeehaft erscheint. Und es gibt auch eine Liebesgeschichte, die Nora Bossong erzählt, gerade so, als würde Liebe gar nicht an jene Orte gehören, an die sie ihre Hauptfigur schickt. Wie sie die Welten aufeinandertreffen lässt, Eindrücke und Gefühle beschreibt, ist beeindruckend. Die Gräueltaten liegen stets in der Vergangenheit, doch die Täter sind zum Anfassen nahe.

„Schutzzone“ ist ein Roman, den man am liebsten am Stück lesen würde. Und der einen klüger macht ohne ein belehrendes Wort.

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