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Zwei Kanarienvögel sitzen auf einer Stange

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Blumenaus Fußball-Journal

Yellow is the colour

Den tollsten Fußball unserer Tage spielen Kanarienvögel aus Norwich, England.

Von Martin Blumenau

Ich sehe wieder viel englischen Fußball, nach ein paar Jahren Pause. Hat sich so ergeben; und so ein Einstieg zu Saisonbeginn ermöglicht einen besseren Blick auf Entwicklungen und echte und falsche Narrative.

Es hat auch mit der letzten Champions League und der dortigen Dominanz der Engländer zu tun, natürlich mit der Soap zwischen den Antagonisten Liverpool und Manchester City. Dazu kommen noch vier andere Powerhouses (Chelsea, Man United, Arsenal, Tottenham) und deren wohlbekanntes Personal und Spielstil. Und ein paar Austro-Bezüge: Southampton mit Hasenhüttl und jetzt auch Danso, Leicester mit Fuchs, Burnley mit Ashley Barnes, Watford mit ohne Prödl und auch West Ham nach Arnautovic. Außerdem sehen noch Everton und die Wolves mit ihrem Hipster-Coach gut aus, und Aston Villa ist auch endlich wieder da. Es ist also Masse von Klasse.

Meine Lieblingsmannschaft, eigentlich seit Runde 1, seit dem ersten Spiel überhaupt, ist aber eine andere: Norwich City, die gagerlgelben Canaries aus Norfolk. Zur Saisoneröffnung mussten sie, die Aufsteiger und finanziell mit Abstand abgehängte vorletzte Premier-League-Truppe zum Champions-League-Sieger Liverpool; hatten also sowas von keine Chance. Es war ihnen aber egal, sie spielten mit, offenes Visier, und es war prächtig anzusehen: Endlich eine „kleine“ Mannschaft, die sich nicht nur hinten reinstellt und auf den lieben Gott hofft. In der zweiten Halbzeit, als Klopps Gigantentruppe dann nur noch 90% aufwendete, war Norwich sogar obenauf und kam zu einem Torerfolg, der wie ein Sieg gefeiert wurde.

Knackpunkt war die Einwechslung des Münchners Moritz Leitner, eines launischen Henderls, dessen „Ich hab keine Angst vor euch!“-Credo sich förmlich körperlich auf die Kollegen übertrug. Und seitdem ist es so: Norwich hat keine Angst. Keine Angst vor Newcastle, das man besiegt, keine Angst vor Chelsea, gegen das man knapp verlor, keine Angst vor West Ham (unnötige Auswärts-Niederlage) und keine Angst vor dem Meister, Manchester City, die am Samstag in einem wahren Fußball-Wunder und durchaus verdient 3:2 bezwungen wurden.

Norwich ist aktuell 13. und wird die gesamte Saison gegen den Abstieg spielen - aber ohne Angst. Das ist unglaublich gut anzusehen und hat auch ein paar gute Gründe: Besitzerstruktur, Spielphilosophie, Trainerteam und Spielerzusammenstellung.

Norwich gehört nicht wie die meisten Vereine der Premier League den Reichen und Unschönen dieser Welt, sondern ist noch Mitgliederverein mit ein paar lokalen Promis als major shareholder: die TV-Köchin Delia Smith und ihr Mann, ein Verleger. Coach ist der Deutsche Daniel Farke, der aus der Jugend von Borussia Dortmund kommt - eine direkte Folge des Booms um Jürgen Klopp, der die (jungen) Deutschen (und deren sowohl emotionalen als auch sportwissenschaftlichen Ansatz) wieder salonfähig gemacht hatte.

Farke installierte eine auf spielerische Akzente gestützte Philosophie und setzte sich damit in der englischen 2. Liga, der Championship durch, wiewohl dort seit Ewigkeiten Kampfstärke und körperlicher Fußball ohne große Finessen angesagt sind. Norwich wurde Meister vor Leeds mit Bielsa oder Derby mit Lampard.

Farkes Team setzte auf schnelles Flachpass-Spiel und kreative Lösungen jenseits des langen Balls, kommt aus einem defensiv stabilen 4-2-3-1 vor dem alten Tim Krul, mit angriffslustigen Außenspielern, mitdenkenden Sechsern und einer penibel-effektiven Offensive. Stoßstürmer Teemo Pukki, ein schon mit leichtem Haarverlust befasster Finne (früher auch bei Schalke) hält bei 6 Treffern nach 5 Spielen und wurde Premier-League-Spieler des Monats, der kleine Argentinier Emi Buendia hat bereits 4 Assists auf seinem Konto, Todd Cantwell, der jugendliche englische Held, hält bei 2 und 2.

Das Mittelfeld ist deutsch geprägt: Marco Stiepermann als Zehner, Tom Trybull und Leitner als Hybrid-Achter; alles Spieler mit einer mittelklassigen Bundesliga-Karriere, aber alles taktisch belastbare Ex-Jugend-Nationalspieler. In der Innenverteidigung werden die verletzten Zimmermann und Klose durch Godfrey und Hanley (sowie aktuell Amadou) ersetzt und es ist keinerlei Leistungsabfall zu bemerken. Links hinten spielt der Nordire Jamal Lewis, ein Supertalent, den Gareth Southgate gerne hätte, rechts der 19-jährige Max Aarons, ein nicht minder begabter Bursche.

Gegen City am Samstag fehlte er und sein Backup, ein Sam Byram brachte Raheem Sterling, den 140-Millionen-Mann, zur Verzweiflung und zum Flankenwechsel. Kapitän gegen City war der Norweger Tettey in seinem ersten Saison-Match. Das sind allesamt Fakten und Indizien dafür, dass es stimmt innerhalb dieser Mannschaft, dass Mechanismen auch abseits individueller Klasse greifen, dass die Akteure die Vorzüge ihrer Mitstreiter annehmen, anstatt sie zu bekämpfen.

Der erwähnte Moritz Leitner, nach dem Liverpool-Spiel dreimal starting lineup, aktuell angeschlagen, ist nicht nur langjähriger deutscher U21-Spieler, sondern auch einmaliger österreichischer U17-Teamspieler, 70 Kilo bei 174 cm, Papa aus Baden-Württemberg, Mama aus der Steiermark, er wäre also noch zu haben, hat aber ein Image als Bruder Leichtfuß, der sein großes Talent nicht in Einklang mit der nötigen Ernsthaftigkeit einer Welt- oder Europa-Klasse-Karriere bringen konnte. Bei Norwich, jetzt in der Premier League, scheint ihm der Knopf aufgegangen zu sein.

Und ein kleiner Premier-League-Verein wie Norwich City, der keinen Star der 10-Millionen-und-mehr-Kategorie kaufen kann (nur Buendia wird seit einigen Monaten höher gehandelt) und letzter im jüngsten Transferkosten-Ranking war, hat auch gar keine andere Chance als auf solche Spieler und Eigenbau wie Cantwell, Aarons und Lewis zu setzen. Solange sich die Canaries an Kriterien wie Pass-Qualität, kreative Vertikalität und technisch saubere Spielweise orientierten, werden sie zumindest meine „Best-to-watch“-Wahl für die aktuelle Saison sein. Gelb ist die Farbe. Egal wie es ausgeht.

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