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FM4 Im Viertel - Mit Mira Lu Kovacs durch Hernals

Florian Wörgötter

FM4 Im Viertel

Mira Lu Kovacs: „Hernals ist wie ein Nöstlinger-Roman“

FM4 Im Viertel, Episode 5: Die Sängerin Mira Lu Kovacs zeigt die lauten und leisen Seiten des 17. Wiener Gemeindebezirks Hernals. Was die Stimme von Schmieds Puls und 5K HD mit Christine Nöstlinger vereint, warum der Friedhof der lustigere Prater ist und wo wahre High Performer minigolfen.

Von Florian Wörgötter

Die SPÖ wirbt um ihre Titelverteidigung vor dem vielleicht heiligsten aller Gemeindebauten, dem Holy Hof. Mira Lu Kovacs kann es kaum glauben, als der Wahlkämpfer bestätigt, dass auf Hernalser Bezirksebene die FPÖ im Jahr 2015 zur zweitstärksten Kraft gewählt wurde: „Was?! Mein Hernals ist grün.“

Hier im vielfältigen 17. Gemeindebezirk funktioniere das Zusammenleben super und die Menschen seien viel entspannter, weil sie noch Platz haben, sich auszubreiten. "Schau, endlose Weiten wie auf der Prater Hauptallee“, schwärmt Mira von der begrünten Alszeile, deren Baumreihen vom Hernalser Friedhof hinaus zu den Weinbergen des Schafberges wachsen. Trotzdem: nur Bronze für Grün.

FM4 Im Viertel: Eine Reportagereihe

In der Radioreihe FM4 Im Viertel spaziert Florian Wörgötter mit österreichischen Musiker*innen durch ihr Wohnviertel. Beim Flanieren durch spannende Gegenden erfahren wir, wie die Künstler*innen leben, wie ihr Grätzl klingt und wie sich dieser Sound in ihrer Musik wiederfindet.

Ruhepuls und Hochdruck

Die Sängerin und Komponistin Mira Lu Kovacs hat acht Jahre in ihrem Lieblingsbezirk Hernals gelebt. Das Nebeneinander von Dorf und Stadt erinnert sie an ihre Jugend in Niederösterreich. Auch heute noch braucht Mira beides – den Ruhepuls des Landlebens und den Hochdruck des Wiener Gürtels. Diese ambivalente Dynamik durchströmt auch ihre Musik, die sie in mehreren Rollen auslebt („ein Privileg“).

Ihr kontemplatives Soloprojekt Schmieds Puls – nunmehr Mira Lu Kovacs – nennt sie ein „ständiges Soulsearching“ und die Freiheit, auf dem nächsten Album sogar noch stiller werden zu können. In der Avant-Pop-Jazz-Formation 5K HD hingegen explodiert sie lautstark und tanzt sogar erstmals auf der Bühne, weil keine Gitarre mehr im Weg hängt. Und als Gitarristin der Ladies-Supergroup My Ugly Clementine webt sie hauptsächlich das Geflecht hinter den Vocals, um die Sängerinnen am Mikrofon zu unterstützen.

High Performance am Friedhof

5K HD mit „High Performer“ als FM4 Artist of the Week:

Hochleistungspop gegen die Leistungsgesellschaft

Dieser Tage erscheint das zweite Album von 5K HD namens „High Performer“, eine kritische Abhandlung des Leistungsdruckes unserer Gesellschaft. Wie sich Mira vom Zwang zur guten Performance entzieht? Mit einer Runde über den Hernalser Friedhof. „Der Prater macht mir Angst, ich habe mehr Vergnügen am Hernalser Friedhof“, sagt Mira. „Wenn die Blätter wehmütig rascheln, fällt der Leistungsdruck ab. Alles entspannt und relativiert sich“.

FM4 Im Viertel - Mit Mira Lu Kovacs durch Hernals

Florian Wörgötter

Die Friedhofsglocken unterbrechen den Diskurs, weil ein Begräbniszug aus der Kapelle fährt. „Im direkten Angesicht mit dem Lebensende schrumpft alles, was einen stört, nervt oder verletzt“, meint Mira und pocht auf ihr erarbeitetes Recht, auch pathetisch sein zu dürfen.

„Wäre Hernals ein Musikstück, wäre es wehmütig, langsam und voller Klischees: etwas hochnäsige Wiener Romantik, ein bisserl Thomas Bernhard.“

Sie spricht schöne, druckfertige Sätze mit bedächtig gewählten Pausen. Gleichzeitig schüttelt sie auf die Frage nach einem Friedhofswitz einen makabren Scherz aus dem Ärmel: Irgendwas mit drei Männern, die den Freitod wählten, weil ihre Ehefrauen sie täglich mit Salami-Semmeln gequält hatten. Die Pointe: Der Burgenländer hatte seine Semmel lebenslang selbst belegt. Badum tss. Die Bäume krümmen sich vor Lachen.

Doch Mira mag „Inappropriate Jokes", zu denen nur einer in der Runde schmunzelt. Umso länger braucht die leidenschaftliche „Genglish“-Talkerin (= Denglisch für das Wort „Denglisch“) beim Dechiffrieren des Kellnerwortspiels: „Ham die Herr’n all’s? Otta kringer ma no ans?“ (= siehe „Hernals“ und „Ottakring“).

Make Feminism a Threat again

Die dörfliche Gegend im Stadtteil Dornbach erinnert Mira an einen Roman von Christine Nöstlinger. Die legendäre Kinderbuchautorin ist hier in Wien-Hernals in ärmlichen Verhältnissen aufgewachsen und wurde 2018 am Hernalser Friedhof begraben. Was Mira mit Christine Nöstlinger gemeinsam hat? „In ihren Interviews und Schriften hat sie bewiesen, dass sie auch nicht immer lieb und freundlich sein wollte. Sie konnte den Menschen ins Gesicht sagen, wenn sie etwas scheiße fand. Das finde ich sehr sympathisch.“

FM4 Im Viertel - Mit Mira Lu Kovacs durch Hernals

Florian Wörgötter

Auch Mira nimmt sich kein Blatt vor den Mund, am wenigsten wenn sie über Respekt und Gleichberechtigung spricht. Etwa, wenn die Gewinnerin des FM4 Award beim Amadeus im „Make Feminism a Threat again“-Shirt auftritt. Oder wenn sie Rechte einfordert, denn vom nett Fragen habe noch niemand etwas bekommen. „Wenn mich das zu einer Feministin mach, super. Ich will nur nicht auf dieses eine Label beschränkt werden, was in vielen Interviews passiert.“ Als diesjährige Kuratorin des Popfest Wien hat sie gemeinsam mit Rapperin Yasmo die Frauenquote im Programm jedenfalls mehr als erfüllt.

High Maintainance im Life

Ihre erste Wohnung in Hernals hatte gleich ums Eck vom Wiener Sport-Club Platz, dem ältesten noch bespielten Fußballfeld des Landes (seit 1904). Ihre Erlebnisse mit der legendären „Friedhofstribüne“ beschränken sich aber auf den Ute Bock Cup, dem karitativen Fußballfest für Flüchtlingsprojekte in Österreich. Mira hat hier einen Baby-Strampler mit der Aufschrift „Kein Mensch ist illegal“ gekauft und ist nach den Spielen am Fußballfeld eingeschlafen.

FM4 Im Viertel - Mit Mira Lu Kovacs durch Hernals

Florian Wörgötter

Als plötzlich ein Rettungsauto knapp hinter Mira seine Sirene von null bis zum Anschlag aufjaulen lässt, reißt es Mira beinahe aus ihren Dr. Martens: „Ihr ....., das könnt Ihr nicht machen! Warum hat Wien keine anschwellenden Sirenen wie Berlin oder New York.“ Mira scheint auf strapaziösen Lärm allergisch zu reagieren. So auch an der Kreuzung Wattgasse, wo im Schatten des Mistplatzes heulende Motoren, aggressives Hupen und Baustellengeratter urbane Kakophonien komponieren. „Ich bin High Maintenance“, lacht sie und zieht mich von der Sonne in den Schatten, um ihre sensible Haut zu schützen.

Freizeitoase für jedermann

Um wieder runterzukommen, flanieren wir durch den noch ruhigen Postsportverein Wien, ein 10 Hektar großes Freizeitareal für Fußball, Tennis und Beachvolleyball. Wir halten bei der Königsdisziplin für wahre High-Performer: dem Minigolfplatz („Freizeitoase für jedermann“). „Die Minigolf-Bahnen sind vom Unkraut so verwachsen, dass keine faire Partie möglich ist. Doch das sind die modernen Barrieren von heute“, analysiert Mira das Handicap am Platz. Die Entschädigung: Eine Partie kostet nur vier Euro, inklusive zwei Bier.

FM4 Im Viertel: Mit Mira Lu Kovacs in Hernals

Florian Wörgötter

Mira erzählt, wie das ORF-Fernsehen sie einmal bei einer Freizeitbeschäftigung filmen wollte. Da außer Musik hobbymäßig wenig läuft bei ihr, empfing sie das Kamerateam hier am Tennisplatz, wo sie sich immerhin einmal im Jahr zum Schlagabtausch blicken lässt. Was der ORF hätte ahnen können: Miras Rückschlag kann verheerend sein, vor allem, wenn er abreißt. Der ORF hatte seine Story – und der Tonmann sein blaues Auge.

Bevor wir in die 43er-Straßenbahn einsteigen, die abschließende Frage: Wäre Hernals ein Musikstück, wie würde es klingen? „Es wäre wehmütig, langsam und voller Klischees: das romantische Wien mit der Nase, ein bisserl Thomas Bernhard. Schöne Klischees.“

Der Rausschmeißer: Das Video von „Don’t Love Me Like That“ zeigt Mira noch einmal beim Rundgang durch ihr Hernals, das sie vor kurzem gegen die Wiener Josefstadt eingetauscht hat.

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