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Tonio Schachingers Roman „Nicht wie ihr“: mit österreichischem Fußball zum Deutschen Buchpreis?

Mit einem Debütroman auf die Shortlist des Deutschen Buchpreises zu kommen, ist keine alltägliche Angelegenheit, noch dazu, wenn der Autor hauptsächlich aus österreichischem Fußball schöpft. Doch Tonio Schachinger schafft es mit authentischem Floridsdorfer Käfigslang und viel Humor, die Kritiker*innen zu begeistern.

Von Simon Welebil

Ivo Trifunović führt das Leben, von dem viele träumen. Er hat es aus dem Floridsdorfer Fußballkäfig zum Fußballprofi geschafft, spielt im österreichischen Nationalteam und für den FC Everton in der englischen Premier League. Dort wird er fürstlich für seine Dienste entlohnt, hunderttausend Euro verdient er pro Woche, in seiner Garage stehen unter anderem ein Bugatti und ein Aston Martin und zu Hause wartet seine Frau mit der Modelfigur und den zwei kleinen Kindern.

"Nicht wie ihr" Buchcover

Kremayr & Scheriau

„Nicht wie ihr“ von Tonio Schachinger ist bei Kremayr & Scheriau erschienen.

Doch bei genauerem Hinsehen hat dieses Bild einige Risse. Ivos Karriere stagniert, und das im besten Fußballeralter. Noch als Teenager war er bei Real Madrid unter Vertrag, mit Chelsea hat er mit 20 die Champions League gewonnen - wenngleich er nur selten im Kader war - jetzt spielt er nur mehr für einen englischen Mittelständler ohne Aussicht auf die ganz große Fußballbühne. Die letzte große Karrierechance, die EM mit Österreich, wurde leider verpatzt und jetzt will ihn sein Agent am liebsten nach China verscherbeln. Und auch privat läuft es nicht rund. Ivos Frau hat von er Rolle der Geliebten zur Familienmanagerin gewechselt, der Sex mit ihr an Leidenschaft verloren.

Und plötzlich kommt wieder Spannung in sein Leben, als Ivo in Wien seine Jugendliebe Mirna sieht und versucht, die alten Gefühle wieder aufzuwärmen. Aus einem ersten Treffen wird eine Affäre, von der man schon von Anfang an ahnt, dass sie nicht gut ausgehen kann, bei zwei Charakteren, die sich so auseinanderentwickelt haben, der Fußballprofi und die Akademikerin, noch dazu, wo Ivos Bekanntheit ihnen eine besondere Form der Geheimhaltung aufzwingt.

Vorlage Marko Arnautović

Das ganze Material, aus dem Tonio Schachinger schöpft und das er bearbeitet, ist der österreichische Fußball, wobei er sich dessen interessanteste Charaktere heraussucht. Die große Vorlage für Schachingers Ivo Trifunović ist natürlich Marko Arnautović, was Schachinger nur alibihalber verschleiert, indem er dessen Karrierestationen leicht verändert, Erlebnisse anderer Fußballprofis in die Biograpie Trifunovićs einflicht und Marko Arnautović selbst als Person vorkommen lässt.

Das Spiel mit real existierenden Personen, etwa Nationalteamspielern wie David Alaba, und erfundenen Figuren macht einen großen Teil des Reizes des Romans aus. Trifunović bzw. der personal-auktoriale Erzähler lässt sich gern über andere Fußballer aus, über Stefan Maierhofer oder Peter Hackmair, die deutschen „Fußballklone“ Timo Werner oder Leon Goretzka, viele Journalisten und jede Menge ehemalige Trainer. Auch der aktuelle ÖFB-Teamchef kommt bei Trifunović nicht gut weg.

Tonio Schachinger ist 27 und lebt in Wien. Er studiert Sprachkunst an der Angewandten und Romanistik und Germanistik an der Uni Wien, wo er sich in den kommenden Monaten seiner Diplomarbeit über subversive Strategien in zeitgenössischen österreichischen Rap-Texten widmen will.

Als fußballinteressierter Leser begegnen einem in „Nicht wie ihr“ jede Menge bekannte Geschichten über Funktionäre, Manager und Transfer, für Fußball-Laien übersetzt Schachinger Fußball-Interna wie die Diskussion über die Feuilletonisierung des Sports, Taktikfragen und das ganze Business, das den Sport umgibt, in Unterhaltung.

Fußball als Bühne für große Themen der Gesellschaft

Doch ein Roman über österreichischen Fußball alleine würde wohl kaum eine Nominierung für die Shortlist des Deutschen Buchpreises bekommen. Tonio Schachinger nützt den Fußball ja auch mehr als Vehikel, um andere Themen zu transportieren. Der Themenkomplex um Herkunft/Integration/Rassismus nimmt etwa einen großen Teil des Buches ein. Eine der gelungensten Szenen des Buches, einer Medienschulung für Trifunović vor dem Länderspiel gegen sein Geburtsland Bosnien etwa, offenbart die Scheinheiligkeit der Diskussion über Fußball und Integration. Die Nationalspieler sollen genau wissen, "was sie antworten sollen falls jemand sie fragt, ob sie je überlegt haben, für ihr anderes Herkunftsland zu spielen oder als was sie sich mehr fühlen. Und deshalb fühlt sich Ivo nicht mehr wie ein Bosnier am Abend vor dem Spiel, sondern nur mehr wie ein Ausländer.“

Auch der den Fußball bis ins letzte durchdringende Kapitalismus, Selbstoptimierung, Körper- und Geschlechterbilder und Ängste werden in „Nicht wie ihr verhandelt“, meist an recht anschaulichen Beispielen.

Wenn man Fußball als Schauplatz dieser Diskurse wählt, besteht allerdings die Gefahr, dass man in Klischees abrutscht, und dem kann sich Schachinger nicht ganz entziehen. Trifunović ist recht stereotyp als Balkan-Macho mit recht beschränktem intellektuellen Horizont gezeichnet, der die Welt in Gut und Böse einteilt und nicht verstehen kann, wie liebe Menschen Krebs bekommen können. Auch seine Frau Jessy kommt nicht besonders gut weg, die Spielergattin, die nicht mehr will, als als gute Ehefrau zuhause zu bleiben und die Kinder großzuziehen und ihren Job auch so versteht, dass sie ihren Mann zu jedem gewünschte Zeitpunkt sexuell befriedigt. Schachinger spielt sehr mit dem voyeuristischen Blick hinter die Kulissen der Fußballstars.

„Was bitte, soll dieser Beidl Günther ihm erzählen?“

Womit sich ein Roman, der im Fußballmilieu spielt, auch herumschlagen muss, sind abgedroschene Phrasen und Floskeln, doch die ummischt Schachinger meist recht gekonnt. Die Jury lobt den Roman als unverkrampft: „Begeisternd ist zudem die Boxkraft des Tons und die Stilsicherheit des Autors, sein Gespür für Milieus, Jargons, Stimmungen, Tragikomik“, heißt es in der Bewertung für die Shortlist-Nominierung.

Der Roman ist sprachlich nie peinlich, und das ist wohl das größte Lob, wenn man versucht, Floridsdorfer Fußballkäfig-Slang in einen Roman zu bringen. Die Sprache wirkt authentisch, und das findet anscheinend sogar über die Grenzen Wiens und Österreichs hinaus Anklang. Und so kann man gespannt sein, ob „Nicht wie ihr“, das von Ausrufen wie „Oida“, „Hurenkinder“, „Opfer“ oder „Fut“ nur strotzt, am 14. Oktober zu Buchpreis-Ehren kommt.

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