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Sonnige Schreckensszenarien: „Midsommar“

„Hereditary“-Regisseur Ari Aster holt zum nächsten Schlag aus. Mit dem Folk-Horrorfilm „Midsommar“ gelingt ihm einer der Gänsehautschocker des Jahres.

Von Christian Fuchs

Ein Horrorfilm, der fast durchgehend bei strahlendem Tageslicht spielt? Keine leichte Aufgabe für einen Regisseur, der dabei auf klassische gespenstische Genresituationen verzichten muss. Den New Yorker Aster reizen aber genau solche Herausforderungen. Also präsentiert der 33-jährige Shootingstar des Schreckens nach seinem nachtschwarzen Debüt „Hereditary“ einen Schocker im strahlenden Sonnenlicht.

Fans von Folk-Horrorstreifen wie „The Wicker Man“ wissen jedoch ohnehin: Idyllischen Sommerlandschaften, durch die Mädchen mit Blumenkränzen in den Haaren flanieren, ist nicht zu trauen. Erst recht nicht, wenn ein Film schon so verstörend beginnt wie „Midsommar“.

Priesterin

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Psychedelischer Trip als Willkommensgruß

Direkt an den beklemmenden Erzählstil von „Heriditary“ anschließend, eröffnet Aster mit einer Familientragödie, die die junge Protagonistin Dani (Florence Pugh) seelisch pulverisiert. Als ihr Freund Christian (Jack Reynor) sie einige Wochen später fragt, ob sie ihn zu einem kultischen Folklorefestival nach Schweden begleiten will, winkt die Studentin zunächst ab. Aber dann überlegt es sich Dani anders. Vielleicht bietet das alternative Esoterikevent unter freiem Himmel ja ein wenig Ablenkung von ihren selbstzerfleischenden Gedanken.

Wir ahnen bald, dass ein Festival, bei dem der Willkommensgruß aus einem psychedelischen Schwammerltrip besteht, vielleicht keine gute Idee für ein Traumaopfer mit regelmäßigen Panikattacken ist. Die Probleme beginnen aber schon bei der Abreise. Denn Dani und Christian werden von einer Gruppe männlicher Freunde begleitet, die das dysfunktionale Verhältnis des Pärchens spöttisch belächeln. „Trenn dich doch von deiner komplizierten Freundin“, ätzt vor allem der überhebliche Mark (Will Poulter) sinngemäß gegenüber Christian.

Im Gegensatz zum überhöhten Grauen von „Hereditary“ inszeniert Aster das gruppendynamische Verhalten der Millenials-Reisegruppe maximal realistisch. Und ohne zumindest anfänglich für eine Figur offensichtlich Partei zu ergreifen. Fast hat man dabei das Gefühl, der Regisseur prangert seine Generation als zerrissen, oberflächlich und enorm egoistisch an.

Vier Personen mit Rucksäcken

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Paganismus aus dem Möbelkatalog

In der schwedischen Provinz angekommen, rücken die persönlichen Belange der US-Gäste aber erst einmal in den Hintergrund. Denn die bizarren Rituale der ständig lächelnden Skandinavier müssen erst einmal verdaut werden. Das paganistische Fest, das nur alle 90 Jahre stattfindet, wird von einer zusammengeschweißten Dorfgemeinschaft veranstaltet, die einem mysteriösen Naturglauben anhängt.

Anstatt abgedroschene okkulte Klischees zu bedienen, mit der dazugehörigen Trademark-Düsternis, zeigt Ari Aster die pseudoreligiöse Sekte auf eine Weise, die fast an seinen Regiekollegen Wes Anderson erinnert. Sowohl was dessen manieristische Settings als auch was den schrulligen Humor betrifft.

Auch Assoziationen zu den Katalogen schwedischer Möbelhäuser liegen nahe. „Midsommar“-Tischdecken mit strangen Stickereien und Tapeten voller naiver Folklorezeichnungen wären darin sicher Verkaufsschlager, zumindest ohne die blutigen oder obszönen Motive, die im Film mitten in der märchenhaften Bilderwelt auftauchen.

Lange Tafel mit weiß gekleideten Menschen

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Beziehungsdrama meets Body Horror

Autorenfilmer Aster benutzt die sonnendurchflutete Niedlichkeit ebenso wie den aufflackernden Witz als Strategien der Einlullung. Ganz langsam und bedächtig zieht der Regisseur, der Ingmar Bergman und Roman Polanski als größte Vorbilder nennt, dabei die Schlinge enger.

Die abgeklärten amerikanischen Besucher ahnen nicht, welcher Wahnsinn hinter den blütenweißen Gewändern, Runenmalereien und Esosprüchen steckt. „Midsommar“ erweist sich letzlich als hypnotischer Genremix aus Beziehungsdrama und eindringlichem Body Horror. Die Besetzung, allen voran die grandiose Florence Pugh, brilliert in jedem Moment, der Look ist einzigartig, die Story grauenhaft gut. Hier ist er, einer der besten Horrorfilme dieses Jahres.

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