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Skulptur von Shinpei Takeda, die im Ausstellungsraum von der Decke hängt

Pablo Chiereghin

Die Ausstellung „Japan Unlimited“ zeigt kritische japanische Kunst

Fukushima, Abe und der Kaiser: Gesellschafts- und Regierungskritik ist in Japan verpönt und wird auch in künstlerischen Arbeiten kaum geduldet. Eine neue Ausstellung im Wiener Museumsquartier stemmt sich gegen diese Zensur.

Von Christian Pausch

Es ist eine Grauzone, in der sich politische Künstler*innen in Japan bewegen müssen: Einerseits zensiert die Regierung kaum direkt sichtbar, aber von der Regierung abhängige Geldgeber springen schnell ab, sollte der Inhalt eines Kunstwerkes zu kritisch sein.

So tat das auch die Japan Foundation, eine dem japanischen Außenministerium unterstellte Kunstinstitution, als die Künstlergruppe Chim↑Pom ihr Video „Ki-Ai“ in Bangladesch ausstellen wollte. Im Video sieht man junge Menschen, die in einer Pause bei den Aufräumarbeiten nach dem Tsunami und der Atomkatastrophe von 2011, um sich mental zu stärken, ein altes Ritual durchführen. Sie umarmen sich in einer Art Group-Hug und rufen sich positive Dinge zu. Ein stärkender und therapeutischer Akt.

Screenshot aus dem Video

Chim↑Pom

Da die jungen Leute aber auch Worte wie „Fukushima“, „nuklear“, „radioaktiv“, oder „Nordkorea“ in ihre Rufe einbauen, musste Chim↑Pom bei den betroffenen Stellen den Ton stummschalten und die Untertitel schwärzen. Seither befindet sich die Gruppe auf einer Blacklist der genannten Institution. Auch hier in Wien hat die Japan Foundation eine Zusammenarbeit ausgeschlossen, solange Chim↑Pom bei „Japan Unlimited“ dabei sind, erzählt mir Ryuta Ushiro, einer der Künstler aus der sechsköpfigen Truppe.

Im Freiraum des Wiener Museumsquartiers hat man sich allerdings gegen diesen einen Geldgeber und für die Künstler*innen entschieden. Hier sind nun beide Versionen zu sehen: das zensurierte und das unzensurierte Video. „I think the original version is more perfect“, lacht Ushiro.

Schutzanzug mit rotem Garn

Pablo Chiereghin

„Melting Core“

Auch die Künstlerin Naoko Yoshimoto beschäftigt sich mit der Katastrophe von Fukushima und der sehr mangelhaften Aufklärungsarbeit der japanischen Regierung in diesem Zusammenhang.

In „Japan Unlimited“ stellt Yoshimoto einen Schutzanzug aus, der kurz nach dem Unglück an Helfer*innen vor Ort ausgegeben wurde. Yoshimotos Recherche hat ergeben, dass dieser Anzug vielleicht gegen Regen hilft, aber keinesfalls gegen atomare Strahlung.

Durch Besticken mit einem roten Faden zeigt sie, wie dünn und durchlässig der Stoff ist, und kritisiert somit die Alibihandlung der Regierung. „The human life is inside this white garment, which is called ‚protective suit‘, but it’s just appearance, it is not true.“

Dass sie herausfinden musste, dass diese Anzüge nicht schützen, hat auch in ihr selbst ein großes Dilemma ausgelöst: Obwohl sie allen erzählen wollte, dass sie diese Lüge aufgedeckt hatte, wollte sie dennoch niemanden verletzen und auch gerne selbst an den Schutz des Anzuges glauben. „I don’t want to hurt the (families of) people, who were working in (and around) the nuclear plant. I’d like to tell everyone that the suit is not safe. But I still hope that it is.“

Tatemae & Honne

Die Ausstellung „Japan Unlimited“ konzentriert sich auf diesen Konflikt zwischen den beiden, in Japan sehr wichtigen Konzepten von Tatemae (建前) - das ist die Maskerade, mit der man den Erwartungen der Gesellschaft entspricht - und Honne (本音) - das sind die echten und verborgenen Gefühle.

Einer, der diese Maskerade ebenfalls zu durchbrechen versucht, ist Shinpei Takeda. Seine riesige schlauchartige Skulptur hängt prominent über einem Großteil der Ausstellung und fällt sofort ins Auge. „Antimonument“ nennt Takeda seine Arbeiten und versucht damit festgefahrene Verhaltensweisen bei der Bewältigung von Vergangenheit aufzubrechen.

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Japan Unlimited / frei_raum Q21

JAPAN UNLIMITED
kuratiert von Marcello Farabegoli

frei_raum Q21 Exhibition Space, Museumsquartier Wien

Öffnungszeiten
Di-So: 13-16h & 16.30-20h

Eintritt frei!

„All the stories I heard (about Hiroshima and Nagasaki) stayed in my guts. Stories about children without hands, and eyes popping out. So I’m trying to explain how it feels for me, coming out, like my intestines.“ Und tatsächlich wirken seine langen Gebilde aus Fäden wie Eingeweide, die sich durch den Ausstellunsgraum schlängeln und ihr Innerstes preisgeben.

Dass die Atombomben-Katastrophen von Hiroshima und Nagasaki auch in Japan selbst aufgearbeitet werden, stimmt wohl, aber immer unter dem wachsamen Auge der Regierung. Takeda ist deshalb um die Welt gereist und hat unter anderen im brasilianischen São Paulo, wo die größte Gemeinde an Exil-Japaner*innen lebt, Überlebende gesucht und interviewt. Dort hat er ehrlichere und fassbarere Berichte zu hören bekommen, als in den vielen Museen auf japanischem Boden, sagt der Künstler. Denn bis nach Brasilien haben die Fangarme des Kaiserreichs dann doch nicht gereicht und bis nach Wien in die Ausstellung „Japan Unlimited“ zum Glück auch nicht.

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