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„Wir waren Charlie“ nimmt uns mit in die Redaktion von Charlie Hebdo

In seinem neuen Buch gewährt der Zeichner Luz Einblicke in die Redaktion von Charlie Hebdo vor dem Attentat. Er beschreibt eine lebhafte und kritische Redaktion, die genauso humorvoll und provokant ist wie die Zeitschrift selbst.

Von David Riegler

Wie jeden Mittwoch trifft sich die Redaktion von Charlie Hebdo um 10 Uhr zur wöchentlichen Sitzung in ihrem Büro in der Pariser Innenstadt. Doch nicht alle sind anwesend. Luz hat verschlafen, es war nämlich sein Geburtstag. Um 10:30 Uhr dringen zwei Terroristen in die Redaktion ein und töten 12 Menschen.

Nach dem Anschlag übernimmt Luz vorübergehend die Chefredaktion von Charlie Hebdo. Er zeichnet das erste Titelblatt nach dem Anschlag: Eine weinende Mohammed-Karikatur mit der Überschrift „Tout est pardonné“, alles ist vergeben.

Kurze Zeit danach veröffentlicht Luz das Buch „Katharsis“, in dem er die Ereignisse verarbeitet. In seinem neuen Buch „Wir waren Charlie“ liegt der Fokus nicht mehr auf dem Attentat. Es ist vielmehr ein Einblick in die Zeit vor dem Anschlag. Er beschreibt eine Redaktion, die voller Tatendrang und Idealismus ist.

Luz trifft in einem Traum seine Kollegen von damals. Er erinnert sich an seine Anfänge als Karikaturist. Kurz nachdem er die Provinz verlassen hatte, um in Paris Zeichner zu werden, trifft er auf seinen späteren Kollegen Cabu, dem er seine Skizzen zeigt. Cabu muss lachen und nimmt den jungen Luz mit in seine erste Redaktionssitzung.

Voller Begeisterung ruft er seine Mutter an und erzählt ihr stolz, dass seine erste Zeichnung in ganz Frankreich gedruckt wird. Er kauft sich sogar ein Faxgerät, damit er seine Skizzen schnell in die Redaktion schicken kann.

Doch schnell lernt er auch den derben Humor von Charlie Hebdo kennen. Sein Kollege Charb nutzt das neue Faxgerät sofort, um Luz eine meterlange Zeichnung zu faxen. Zu Hause angekommen steht Luz vor einem Berg Papier, auf dem ein gigantischer Penis gezeichnet ist.

Diese lebhaft erzählten Momente veranschaulichen, wie man miteinander umgegangen ist. Der Humor war oft derb, Tabubrüche wurden nicht gescheut und niemand blieb von den Witzen verschont. Vor allem nicht die Mächtigen dieser Welt.

Mit der Zeit wurde Charlie Hebdo immer mehr zu einem investigativen Medium. Luz beschreibt, wie die Redaktion in Aufruhr gerät, nachdem ein 17-Jähriger in einer Polizeistation stirbt. In Paris formieren sich Demonstrationen gegen die Polizeigewalt und mittendrin sind die Redakteure von Charlie Hebdo.

Sie zeichnen die Brutalität, mit der die französische Polizei auf die Demonstrierenden losgeht und geraten dabei selbst in die Auseinandersetzung. Luz wird sogar leicht verletzt, doch genau diese Momente schweißen die Mitglieder von Charlie Hebdo zusammen.

In „Wir waren Charlie“ zeichnet Luz eine idealistische Redaktion mit kritischen Köpfen, die sich nicht vor hitzigen Diskussionen scheuen. Doch immer wieder schaffen sie es, die Situation mit einer Karikatur des Gegenübers zu entschärfen.

Die Redaktion beschäftigt sich aber nicht nur mit Politik und Polizei. Sie hatten keine Angst davor, in die ärmsten Viertel zu gehen, um von dort zu berichten. Und sie schrecken nie davor zurück, Religionen zu kritisieren. Das brachte der Redaktion letztlich die größte Gegenwehr ein, vor allem nach den Karikaturen von Mohammed.

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„Wir waren Charlie“ von Luz ist im Reprodukt Verlag erschienen.

Nach dem Anschlag gab es immer wieder Menschen, die zwar ihr Beileid ausgedrückten, aber sich im gleichen Satz von den Zeichnungen distanzierten. Vor allem Politiker*innen wollten nicht mit den Mohammed-Zeichnungen in Verbindung stehen.

Für diese Menschen hat Charlie Hebdo eine eigene Zeitung herausgegeben mit weißen, leeren Bildern, die niemanden verletzen können. Immer wieder wurde Charlie Hebdo vorgeworfen, plump und rassistisch zu sein. Doch in seinem Comic zeichnet Luz eine kritische und reflektierte Redaktion, die Tabubrüche nutzt, um auf Missstände aufmerksam zu machen.

Schon vor dem Attentat im Jänner 2015 gab es immer wieder Drohungen gegen Charlie Hebdo. In „Wir sind Charlie“ kann man die Entwicklungen mitverfolgen. Radikale religiöse Gruppierungen versuchen die Zeichner mit Morddrohungen einzuschüchtern. Luz steht bis heute unter strengem Personenschutz.

Viele verbinden das Magazin nur mit dem Attentat im Jänner 2015. Doch für den Autor Luz waren die 25 Jahre davor bedeutsamer. Darum gibt er in „Wir waren Charlie“ einen intimen Einblick in prägende Momente der Redaktion.

Mit dem humorvollen Pinselstrich eines Karikaturisten wirken die Szenen lebendig und wunderbar komisch. Der Comic ist in Schwarz-Weiß gehalten. Nur die Realität von Luz zwischen den Traumsequenzen ist schwarz-blau.

Luz selbst hat Charlie Hebdo schon 2015 verlassen und arbeitet seitdem frei. Sein Buch „Wir waren Charlie“ hat etwas Tröstliches, denn beim Lesen wird man in die lebhafte Redaktion mitgenommen und vergisst dabei, dass alles nur eine Traumsequenz aus der Vergangenheit ist. Es ist eine Reise in eine andere Zeit, in der die Zeichner eines Satiremagazins noch nicht um ihr Leben fürchten mussten.

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