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Die Band im Grünen auf einer Decke sitzend

Beto Barkmo

Einen Gang runterschalten – Chastity Belt im Interview

Vergangenes Wochenende hat die garagige Noise-Pop-Band Chastity Belt die Live-Premiere ihres neuen Albums in Wien gefeiert – beim Waves Vienna Festival. Die perfekte Gelegenheit, um über ihr neues Album zu reden.

Von Michaela Pichler

Chastity Belt haben nicht nur einen sehr guten Bandnamen, die US-amerikanische Garage-Band ist auch bekannt für humoristische Songtexte über gesellschaftliche Normen. Surfige Gitarrenriffs und ein punkiger Drive haben Chastity Belts Inhalte bisher musikalisch begleitet. Jetzt ist ihr viertes Album erschienen, auf dem sie es um einiges langsamer angehen als in ihren Anfangstagen. Beim Waves Vienna in der WUK Halle präsentierten sie die neuen Songs das erste Mal vor Publikum. Kurz davor hatten Julia Shapiro, Lydia Lund, Annie Truscott und Gretchen Grimm aber noch genug Zeit für ein Interview.

Als die Band erfährt, dass das Waves Vienna auch von einer Musikbranchenkonferenz begleitet wird, möchten sie sich am liebsten selbst für ein Panel aufstellen: „Natürlich zu „Frauen in der Musik“, was sonst!?“, scherzen die vier Musikerinnen. „Es ist das einzige Thema, über das wir sprechen können, von dem wir eine Ahnung haben!“ Den Humor haben Chastity Belt in ihrer bisherigen Laufbahn glücklicherweise nie verloren, vor allem wenn es um Sexismus geht, der ihnen auch 2019 noch oft genug begegnet.

Liest man Interviews mit der Band aus Walla Walla, Washington, tritt in diesen häufig die Frage nach der Professionalität im Umgang mit den eigenen Instrumenten auf: Männliche Journalisten fragen, ob sich denn mittlerweile nach all den Jahren ihre musikalischen Fähigkeiten an Gitarre, Bass und den Drums verbessert hätten. Eine Frage, mit der eine klassische All-Dude-Rockband nur in den allerseltensten Fällen konfrontiert wird. „Wir versuchen in solchen Situation immer höflich zu bleiben und erklären dann, dass es ziemlich normal ist, dass man mit den Jahren nach und nach besser wird, es passiert mit der Zeit und der Übung quasi wie von selbst!“ Lautes Lachen erfüllt den Backstageraum. „Irgendwie ist es bei Musikerinnen nur noch viel aufregender für alle, wenn sie besser werden!“

Plattencover: Nachtaufnahme mit Blitz, zwei Frauen, der Bandname ist mit Holzscheiten auf dem Boden ausgelegt

Hardly Art

Das selbstbetitelte, vierte Album der US-Amerikanerinnen Chastity Belt ist auf dem Label Hardly Art im September erschienen.

Friendship over everything

Wie gut sie denn mittlerweile als Band sind, kann man sich auf ihrem neuesten Plattenwurf anhören, dem vierten Album „Chastity Belt“. Der Titel lässt darauf schließen, dass sich die Band mit diesem Output musikalisch angekommen fühlt. „Es fühlt sich wirklich so an, als würde uns das neue Album am meisten repräsentieren. Und irgendwie war es auch die allerletzte Möglichkeit, ein Album nach uns zu benennen – da sind wir ein bisschen spät dran!“, meint Sängerin Shapiro. Chastity-Belt-Bassistin Annie Truscott fügt hinzu: „Wir können tun, was wir wollen, es gibt keine Regeln für uns!“ Wenn es doch eine einzige Regel für Chastity Belt gibt, dann ist es „friendship over everything“, wie sie schmunzelnd im Interview gestehen. Mittlerweile sind die Wahlseattlerinnen schon fast zehn Jahre als Chastity Belt auf der Bühne. Tipps fürs Zusammenbleiben haben sie dabei zu genüge: „Man sollte einfach immer nett zueinander bleiben, das Tourleben ist schon hart genug, da muss man sich auch nicht noch extra gegenseitig runterziehen. Und ein kleines Dankeschön hat noch nie geschadet!“

Take a break

Bereits am Opener-Titel „Ann’s Jam“ singen die vier ein mehrstimmiges „This is a start“-Mantra: Das vierte Album fühlt sich wie ein gemeinsamer Neuanfang der vier West-Coast-Musikerinnen an. Und das kommt nicht von ungefähr: Im letzten Jahr mussten Chastity Belt einen Gang runterschalten und legten eine Bandpause auf unbestimmte Zeit ein. Eine gute Entscheidung, wie sie im Interview erzählen: "Eine Pause ist besser als sich einfach zu trennen. Und das kann man eigentlich auch perfekt auf Beziehung beziehen“, lachen sie wieder. „Wir haben einfach keine Eile und jede soll tun können, was sie möchte. Und es wird sich alles ergeben. Und zusammen bleiben wir sowieso!“

Die einjährige Auszeit hat den West-Coast-Musikerinnen sichtlich wohlgetan. Das Sich-eine-Pause-Nehmen wurde deshalb auch auf dem neuen Album verewigt. Der Titel „Rav 4“ zelebriert das Aufgeben – wenn Sängerin Shapiro singt: „It’s true what she said / giving up can take some guts“. Mut zur Resignation – eine der schönsten Zeilen am neuen Album.

Die Band auf einem Sofa sitzend

Radio FM4 | Michaela Pichler

Introspektion statt Selbstironie

Bisher bestimmten selbstironische Witze und satirische Statements die Songtexte der Chastity Belts auf den Vorgängerplatten. Auf dem vierten Album hat sich die Band aber gegen witzige Songtexte entschieden. Persönliche Alltagsweisheiten der Chastity Belts ziehen sich inhaltlich durch das ganze Album. „Als wir mit der Musik begannen, waren unsre Songs Witze. Zuerst war es irgendwie lustig zu versuchen, eine Reaktion von den Leuten darauf zu bekommen. Aber irgendwann war das nur mehr das einzige, auf das die Leute hörten. Und das nervte mich einfach. Also habe ich aufgehört, Songs zu schreiben, nur um irgendeine bestimmte Reaktion hervorzurufen.“

Ein Song, der diese introspektive Herangehensweise im Songwriting auf den Punkt bringt, ist „Drown“, ein Titel, der sich über sechs Jahre Schreiben und Komponieren gezogen hat. „Fogging up the Mirror / See yourself disappear“ – Chastity Belt singen vom Verschwinden, wenn man sein Selbst nicht einmal im Spiegel mehr erkennt, vom Schwinden der Hoffnung und vom trotzdem Durchhalten.

Auf ihrem vierten Album nehmen sich Chastity Belt Zeit: zum Runterkommen und zum Reflektieren. Das klingt nach weniger Punk-Attitüde als auf den Vorgängerplatten, dafür aber nach mehr verträumten Klangteppichen, Bassmelodien und mehrstimmigen Gesangspassagen. Sogar Streicher sind diesmal zu hören: „Annie hat ihre Fiddle rausgeholt!“, lacht Shapiro. Und auch die trägt mit zartem, von Hall durchtränktem Streichen zur musikalischen Entschleunigung der Chastity Belts auf hohem Niveau bei.

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