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Tätowierter Mann in Liegestützposition

A24

A24: Die Filmfabrik, der wir etliche Kinowunder verdanken

Hinter dem Rassistendrama „Skin“ steht eine der spannendsten Produktionsfirmen der Gegenwart: A24 verbindet künstlerische Ambition und popkulturelle Relevanz.

Von Christian Fuchs

Als drei junge Produzenten 2012 gemeinsam in New York einen Filmverleih gründen, zeichnet sich noch nicht ab, dass sie damit das Kino ein großes Stück (mit-)retten. Daniel Katz, David Fenkel und John Hodges sehen zu der Zeit einfach eine Lücke auf dem Markt.

Es muss doch weiterhin ein Publikum für Filme geben, die im allerbesten Sinn zwischen den Stühlen sitzen, denken die Initiatoren von A24. Filme, die unabhängig von der Hollywood-Maschinerie mit ihren berechenbaren Sequels, Prequels und Blockbustern entstehen. Filme, die aber auch mehr wollen als nur bei Arthouse-Festivals vor abgeklärten Kritikern vorgeführt zu werden.

Mit Harmony Korines wahnwitzigem Beach-Noir-Streifen „Spring Breakers“ (2013) macht A24 als Verleihfirma gleich von sich reden. Zu irritierend für die Multiplex-Crowd und viele puristische Filmanbeter gleichzeitig, wird der knallbunte Anschlag auf den guten Geschmack von einer eingefleischten Anhängerschar gefeiert.

Ein idealer Startpunkt jedenfalls für die New Yorker Indie-Company, die sich in den folgenden Jahren auf atemberaubende Weise an der Trennlinie von Kunst und Kommerz positioniert. Hymnisch gelobte Werke wie „Under The Skin“, „Ex Machina“ oder „The Witch“ erweitern Genregrenzen und geben einem wieder den Glauben zurück, dass im Science-Fiction- und Horror-Bereich visionäre Blickwinkel möglich sind.

Mehrere Frauen im Bikini in einem schummrigen Lokal

A24

„Spring Breakers“

Audiovisuelle Poesie, Popkultur und Politik

Nach ersten Erfolgen erweitert sich A24 vom bloßen Verleih zur Produktionsfirma. Das Kidnappingdrama „Room“ räumt bei den Oscars ab, der Nazi-Horrorthriller „The Green Room“ schockt und fasziniert gleichermaßen, „American Honey“ und „20th Century Women“ erwecken Assoziationen zum befreiten New-Hollywood-Kino der wilden 70er. A24-Filme wirken generell oft ungezähmt, ignorieren die eisernen Dramaturgie-Regeln der Filmhochschulen zugunsten einer puren Schwelgerei in audiovisueller Poesie.

Gleichzeitig sind Regisseur*innen wie Jonathan Glazer, Andrea Arnold, Mike Mills oder Sofia Coppola ganz stark an Popkultur und Politik interessiert. Der Afroamerikaner Barry Jenkins ist in dieser Hinsicht auch ein prototypischer Vertreter der A24-Schule. Sein preisgekröntes Coming-of-Age-Stück „Moonlight“ erzählt die Geschichte unterdrückter Homosexualität in grellen Neonfarben.

A24 Logo

A24

Auch der griechische Regie-Außenseiter Yorgos Lanthimos fügt sich perfekt in den Reigen der Künstler ein, die mit A24 zusammenarbeiten. Meisterwerke wie „The Lobster“ oder „The Killing of a Sacred Deer” beklemmen als dystopische Sozialstudien, berauschen aber auch auf eine ästhetische Weise, ganz unabhängig von der jeweiligen Botschaft.

Und wenn man schon von der Optik redet: Die Marketingabteilung von A24 muss aus ganz besonderen Menschen bestehen. Jedes Plakat, jede Typo, jeder Werbebanner im Netz sieht einfach so wahnsinnig gut aus, man möchte als Cinephiler seine Wohnung mit den Plakaten der hier genannten Filme tapezieren. Passenderweise gibt es zu vielen Produktionen auch T-Shirts (siehe die hinreißenden Motive zum Folkhorror-Epos „Midsommar“) und seit einiger Zeit erlaubt der A24 Podcast Einblicke hinter die Kulissen. Filmemacher*innen wie Martin Scorsese, Claire Denis oder Ari Aster plaudern darin miteinander über ihre Obsessionen und Arbeitsweisen.

Mann und Frau stehen sich gegenüber

A24

Amerikanische Abgründe

In sämtlichen medialen Äußerungen, Gesten und Werbekampagnen ist bei dieser Ausnahmefirma die ungezügelte Liebe zum Kino spürbar. Das betrifft Lichtspieltheater als Ort wie auch die sorgfältig kuratierte Zusammenarbeit mit diversen Streaminganbietern.

Währenddessen wird die Liste der Spitzenfilme, die mit A24-Hilfe entstehen, immer länger und sprengt bereits jeden Rahmen hier. „A Ghost Story“, „The Florida Project“, „Lady Bird“, „Hereditary“ oder “Under the Silver Lake” seien als persönliche Favoriten erwähnt. Aber A24 erlaubt auch dem einstigen Hollywood-Rebellen Paul Schrader ein überfälliges künstlerisches Comeback („First Reformed“) oder finanziert mit „Mid90s“ das tolle Regiedebüt des Schauspielstars Jonah Hill.

Eine Frau und ein tätowierter Mann stehen vor einem Auto

A24

„Skin“

Der neueste Streifen der New Yorker Traumfilm-Fabrik, der jetzt bei uns anläuft, wühlt – wie viele A24-Werke – wieder einmal in den Abgründen der amerikanischen Befindlichkeit. „Skin“ schildert den wahren Fall des Ex-Neonazis Bryon „Babs“ Widner, der sich vom polizeilich gesuchten Rassisten zum Aussteiger aus der rechtsradikalen Szene wandelte.

Der israelische Regisseur Guy Nattiv verzichtet bei seiner Läuterungs-Geschichte weitgehend auf pseudopsychologische Erklärungen und kitschige Rückblenden. Zwar blitzt immer wieder Sentimentalität auf, wenn Bryon seiner Freundin Julie ewige Liebe schwört. Aber die Hassverbrechen des langjährigen Gewalttäters vergisst man dadurch keinen Moment. Bevor sich „Skin“ letztlich doch zu einem Pamphlet für die Hoffnung verwandelt, bleibt er lange bewusst ambivalent. Nattiv setzt auf gespenstische Spannungsmomente, wenn etwa die Skinhead-Familie den Ausreißer zurückholen will. Und er zeigt auch das Verhältnis zu dreifachen Mutter Julie zwiespältig. Die Brutalität, sie lässt den zerrissenen Bryan nicht los.

Ein tätowierter Mann liegt in einem Krankenhausbett

A24

„Skin“

Mitreißendes Schauspielerkino

Selbst wenn die Dramaturgie irgendwann erwartbare Wege beschreitet – dass einen der Film bis zum Ende packt, verdankt sich dem herausragenden Ensemble. A24 steht nämlich auch stets für Topcasting und mitreißendes Schauspielerkino. In diesem Fall sorgen Vera Farmiga und Bill Camp als verlogene Nazi-Eltern und Danielle MacDonald als selbstbewusste Julie für Gänsehaut. Der wandelbare junge Brite Jamie Bell wiederum spielt die Hauptrolle dermaßen körperlich, im wahrsten Sinn des Wortes, dass das Zusehen manchmal schmerzt.

Auch „Skin“ repräsentiert, zugegeben etwas weniger ausgeprägt als andere Streifen, den Ansatz von A24: komplexe Storys auf primär filmische und originelle Weise zu erzählen. Besonders far out und angeblich extrem bildgewaltig ist dabei das nächste Vorzeige-Produkt der Firma: „The Lighthouse“, ein schwarzweißes, klaustrophobes Historien-Kammerspiel rund um die Leuchtturm-Wächter Robert Pattinson und Willem Dafoe.

Zwei Männer vor einem Leuchtturm

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„The Lighthouse“

Robert Eggers, einer der zentralen Vertreter der New Indie-Gothic, gehört schon seit seinem Debüt „The Witch“ zu den Hausregisseuren von A24. Dass sein stockdüsterer Hexenschocker nun ein stylisches Begleitbuch bekommt, freut ihn sicher ganz besonders. Genau, die coole Company ist jetzt unter die Verleger gegangen, auch zu „Ex Machina“ und „Moonlight“ erscheinen limitierte Bücher mit Skripts und Skizzen, prächtig aufgemacht. Ach ja, wer es bei diesem Text schon eine ganze Weile vermutet hat, dem gestehe ich an dieser Stelle endlich: Ich bin ein uneingeschränkter A24 Fanboy, keine Frage.

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