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Florentina Holzingers Rücken, darauf angebracht eine Applikation wie eine große Fleischwunde

Josefin Arnell

Die Körperwelten der Florentina Holzinger

Österreichs größter Performance-Star über ihre neue Show TANZ, Spanner im Ballett und warum es Freude machen kann, sich einen Nagel in den Kopf zu hämmern.

Von Claudia Unterweger

Und wieder ist jemand umgekippt im Publikum. Diesmal in Reihe 7. Wer Florentina Holzingers neue Bühnenshow im Tanzquartier Wien erleben will, sollte einen guten Magen haben. Nicht ohne Grund eilt der zeitgenössischen Tänzerin der Ruf als „Extremperformerin“ voraus.

„TANZ“ von Florentina Holzinger läuft noch am 11. und 12. Oktober, 19.30 Uhr, in der Halle G, Tanzquartier Wien. Die Vorstellungen sind ausverkauft, für Restkarten gibt es Wartenummern an der Abendkassa ab einer Stunde vor Vorstellungsbeginn.

TANZ lautet der unschuldige Titel des Stücks über die Disziplinierung des Körpers. Allerdings - wie üblich bei Holzinger - versehen mit dem Hinweis „Ab 18“ und mit der Warnung vor einer „möglicherweise verstörenden Wirkung selbstverletzender Darstellungen“. Das Geschehen auf der Bühne beginnt als leicht schräge Ballettklasse, man sieht eine achtzigjährige Tanzlehrerin nackt unterrichten. Der Auftakt zu einer blutigen 2 Stunden-Gratwanderung zwischen Splatter, Lust und Schmerz.

Hämmere dir den Nagel rein

Schlagartig bekannt geworden ist Florentina Holzinger 2011/2012 mit der Bühnenperformance „Kein Applaus für Scheiße“. Heute arbeitet die Tänzerin und Choreografin von Wien und Amsterdam aus erfolgreich an ihrem Popstar-Status in der internationalen Tanzszene.

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Das Gespräch mit Florentina Holzinger gibt es auch als FM4 Interview Podcast.

Kompromisslos verquirlt die heute 33-Jährige klassischen Tanz, Akrobatik, Slapstick, Pop und Provokation zu einem widerborstigen, unterhaltsamen Mix - und sorgt damit regelmäßig für Begeisterung und Aufruhr. Das sensationslüsterne Publikum dankt es ihr mit ausverkauften Theatern.

Bis an die Grenze des Aushaltbaren ging es für manche schon bei Florentina Holzingers Performance „Appollon“ vergangenes Jahr. Damals hämmerte sie sich auf der Bühne des Wiener Volkstheaters einen Nagel durchs Nasenloch in den Kopf.

„Das ist wirklich gar nichts. Da tut es mir mehr weh, meine Kontaktlinsen einzusetzen“, sagt Holzinger achselzuckend im FM4-Interview. „Ich bin fasziniert von Körperpraktiken, die sich erlernen lassen und dadurch für mich kontrollierbar werden.“

Beim ersten Versuch rät sie allerdings zu näherem Studium der Anatomie des menschlichen Schädels. Und zum Gebrauch eines abgestumpften Nagels.

Tänzerinnen

Radio FM4 / Dalia Ahmed

Spät, aber doch wird seit rund einem Jahr auch in Österreich über #metoo in der Tanzszene geredet: Lolita-Fantasien, Sexismus und Schönheitszwänge scheinen strukturell tief verankert zu sein. Holzingers TANZ kann als queer-feministischer Gegenentwurf dazu gelesen werden. In ihrem ausschließlich weiblichen Bühnen-Cast lässt sie höchst unterschiedliche nackte Frauenkörper zwischen zwanzig und achtzig Jahren selbstbestimmte weibliche Sexualität darstellen.

Spanner mit Lederjacken am Schoß

„Ballett bietet enorm viel Spielraum für Erotikfantasien. Nirgendwo hat die Frau die Beine so gespreizt.“ Wenn dann, wie in TANZ (vermeintliche) Ballett-Elevinnen auch noch nackt auftreten, verirren sich schon mal besonders oft Spanner in ihr Stück.

„Das sind meistens Männer über 50, die alleine ins Theater kommen und mit Lederjacke überm Schoß die erste Reihe jammen. Die bereiten allerdings weniger uns auf der Bühne Unwohlsein, als denjenigen, die neben ihnen sitzen.“

Am 12. Oktober, 22 Uhr laden Florentina Holzinger und ihr Cast zur Dernierenfeier BLISS X TANZ ins Aux Gazelles in Wien. Mit dabei: DJ Hauswein, Therese Terror, u.v.m.

An einer geeigneten Strategie gegen diese Übergriffe wird noch getüftelt, erzählt Holzinger. „Wir haben überlegt: Wie können wir das verhindern? Allen Männer über 50 den Eintritt verwehren? Das schließt zu viele aus.“

Die Diskussion rund um Kunst und Porno, die sich oft rund um Holzinger entspinnt, hängt der Choreografin mehr und mehr zum Hals heraus. Auch deshalb diesmal der schlichte Titel: TANZ. Damit es endlich alle kapieren. „Wenn jemand ein Ticket zahlt fürs Theater, ist das klarerweise ein Theaterstück und kein Porno!“

Verlogene Aufregung über Ballettskandal?

Den Ballerina-Traum hatte Holzinger nie. Trotzdem lässt das klassische Ballett die Zeitgenössische Tänzerin und Martial Arts-Begeisterte nicht los.

„Ich arbeite mich ab an einer Tradition, die extrem problembehaftet ist. Gleichzeitig finde ich Ballett leiwand, weil es so eine fucking strikte Form ist, mit der ich gerne meine Battles führe. Für mich ist Ballett ein arges Resistance-Training.“

Holzinger will die Ballerina, die sich entscheidet, so mit ihrem Körper umzugehen, durch ihre Arbeiten empowern. Klingt ja ganz gut. Aber wer denkt beim Thema Ballettunterricht nicht an Schlagzeilen über Trainer*innen im Machtrausch, die Jugendliche quälen? Die Aufregung darüber findet die Choreografin verlogen.

„Die Leute, die sich über den Skandal an den Ballettschulen echauffieren - sind die blind? Die zahlen Geld, um ins Ballett zu gehen und sich dort Körper anzuschauen, die eben so rigide diszipliniert worden sind. Wie soll es denn anders gehen? Der Körper darf nur auf eine bestimmte Art aussehen und nicht anders. Dass Leute jetzt so tun, als ob sie das nicht schon gewusst hätten, ist ein Scherz.“

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