Der Hang-Man und seine Berge
International bekannt wurde Manu Delago für sein virtuoses Spiel des Hangs. Sein Percussion-Instrument sieht aus wie ein stählerner Wok mit Dellen, kann melodiös, weich erklingen wie eine Marimba, gleichzeitig perkussiv, hart wie eine Tabla-Trommel. Manus internationale Karriere beginnt mit einem YouTube-Video, mit dem er das Schweizer Instrument aus der Esoterik-Ecke zum Popkulturgut befreite.
Heute lebt der Perkussionist, 35, bereits 12 Jahre in London, tourt als Hangspieler mit Björk um die Welt und schreibt Grammy-nominierte Songs für Sitar-Virtuosin Anoushka Shankar. Und das Land Tirol ehrt den Propheten im eigenen Land demnächst mit dem Preis für Zeitgenössische Musik.
Was bedeutet bei solch dichtem Programm ein Rückzugsort wie Innsbruck, wo in neun wichtigen Lebensjahren seine musikalische Persönlichkeit herangereift ist?
FM4 Im Viertel: Eine Reportagereihe
In der Radioreihe FM4 Im Viertel spaziert Florian Wörgötter mit österreichischen Musiker*innen durch ihr Wohnviertel. Beim Flanieren durch spannende Gegenden erfahren wir, wie die Künstler*innen leben, wie ihr Grätzl klingt und wie sich dieser Sound in ihrer Musik wiederfindet.
- Episode 0: Mit Monobrother durch das Stuwerviertel in Wien Leopoldstadt
- Episode 1: Mit 5/8erl in Ehr’n über den Wallensteinplatz in Wien Brigittenau
- Episode 2: Mit EsRAP durch das Wiener Brunnenviertel aka Tschuschistan
- Episode 3: Mit dem Fuzzman durch Klagenfurt
- Episode 4: Mit Brenk Sinatra durch Kaisermühlen
- Episode 5: Mit Mira Lu Kovacs durch Hernals in Wien
Zwischen Bergen und Konzerten
„Eine Homebase wie Innsbruck ist wichtig für mich, weil ich hier beides habe: Natur und Kultur“, sagt Manu in ruhigen und präzisen Worten. In wenigen Minuten spaziert man hier vom Stadtzentrum hinaus ins Grüne, das von den Zweitausendern der Nordkette eingekesselt wird. „In den Bergen lade ich meine Batterien beim Entspannen auf, powere mich aber auch aus mit schwierigen Touren.“
Neben dem Sportsgeist bedeuten Berge für ihn auch Privatsphäre, die er nicht auf Social Media teilen muss. Außer: Er schleppt sechs weitere Musiker mit Bläsern und Streichern auf einen Dreitausender in Tirol und dreht einen Film vom Gipfelkonzert („Parasol Peak", 2017). Von Pop-Künstlerin Björk hat Manu gelernt, dass Musik mehr ist als nur Songs, sondern ein audivisuelles Gesamtkunstwerk – und dieses Projekt verbindet eindrucksvoll die Welten des Manu Delago: Musik und Berge.
„Der Sound von Innsbruck: Goldene Barockgitarren, föhnige Blechbläser und wackere Beats. Alles eher höhenlastig abgemischt“
Zufällig treffen wir vor dem Treibhaus das Ohr hinter diesem Mammutprojekt: Manus Tontechniker Michael Reisigl, dem er schon seit Anfangstagen vertraut. Was für ihn das härteste am Recording ohne Steckdose bei Eis und Schnee war? „Die Stamina“, gesteht Michael. „Mein Job war: Laufen, Laufen, Laufen. Aufnehmen, Einpacken, Heimlaufen.“ Für Manu hingegen kein Problem, schließlich bestieg er vor kurzem noch den Kilimandscharo auf über 5.000 Metern Höhe.
Kulturelle Nahversorgung
Der musikalisch prägendste Ort für Manu Delago ist das Treibhaus („der einzige Ort, an dem ich über 100 Konzerte gespielt hab“). Seit dem Teenageralter inspirieren ihn hier Musiker auf Konzerten. Mit manchen wie dem Jazztrompeter Eric Truffaz hat er danach auch selbst aufgenommen.
Wir pausieren im Treibhaus Café mit Blick auf den Fußballplatz der Volksschule. Manu trinkt einen großen Schluck vom Marillensaft, ohne mit dem Radler-Trinker anzustoßen. Vielleicht weil er selbst keinen Tropfen Alkohol trinkt, auch nicht in seiner Jugend, als er mit älteren Connaisseuren in der Band spielte: „Für mich war das Rebellischste nicht zu trinken.“

Florian Wörgötter
Das Treibhaus-Katerfrühstück mit Aspirin wird Manu also nur dann ordern, wenn ihm schlaflose Nächte Kopfschmerzen bereiten – oder wenn er zurück denkt, wie er als Kind mit dem Fußball ein Kirchenfenster eingeschossen hat und es dem Pfarrer persönlich beichten musste, um seinen Ball wieder zu bekommen.
Schlaf Kindlein Schlaf
Dieser Tage ist auch sein neues Album „Circadian“ erschienen, eine perkussive Traumreise durch diverse Schlafphasen. Hier im Konzertkeller des Treibhauses hat Manu das für ihn zentrale Stück „Delta Sleep (Live at 4:33 a.m.)“ aufgenommen, eine 21-minütige Komposition für sechs (!) Schlagzeuger. „Wir waren zwischen 1 und 6 Uhr alleine im Haus und haben gespielt, als die Stadt geschlafen hat.“

Florian Wörgötter
Doch statt polterndem Getrommel wiegen sich vietnamesische Gongs, indonesische Angklungs, eine sibirische Chrystal Harp und ein türkisches Aquadrum – alles melodische Percussion-Souveniers von Manus Konzertreisen. Das Ergebnis: das schlafwandelndste Stück, das Manu je geschrieben hat. „Beim Editieren bin ich selbst mehrfach eingeschlafen“.
Konservatorium und Clubkultur
Wir spazieren zum altehrwürdigen Tiroler Landes Konservatorium, wo Manu acht Jahre lang Schlagzeug studierte. Im Alter von 14 Jahren ist er hierher als musikalisches Wunderkind aus dem Musikgymnasium gekommen, das sich nun erstmals unter Szene-Musikern beweisen musste. Eigentlich wollte er die Ausbildung zum klassischen Schlagwerk umgehen, denn er spielte außerhalb bereits Rock und HipHop, Elektronik und Jazz. „Wirklich Musikmachen lernte ich in Proberäumen, in Clubs und auf Tour, in Workshops und im Privatunterricht. Alles wurde mit meinem Umzug nach London immer internationaler.“

Florian Wörgötter
Eine besonders wichtige Lehrstelle waren die wöchentlichen Sessions im Treibhaus und in den Bögenlokalen, deren Bars und Pubs nächtens mit der darüberfahrenden Eisenbahn um die Wette vibrieren. Am helllichten Tag heulen vor den „Bögen“ lediglich die Mopeds und Baustellen. Manu zeigt die Konzert-Instanz pmk, das Abalon mit dem „besten Toast“ und das Project, wo monatlich in der Session „Drum & Groove“ die Leute zu seiner Musik auf der Bar tanzten.
Manu erinnert sich an seine damalige Rockband HotchPotch, mit der er 2003 zwischen Englisch- und Mathe-Matura den Austrian Band Contest gewann. Ihren vierten Geburtstag feierten sie mit einer ausgedehnten Innsbrucktour: Drei Venues. Im Nightliner. An einem Abend. Die Tour startete im einstigen Stammbeisl Propolis in der Reichenau und endete nach fünf Stunden im pmk. Das Geburtstagsgeschenk der Stadt: Auf dem Parkplatz vor der Bogenmeile wurden zwei Schilder aufgestellt – Parken und Halten verboten. Ausgenommen: Tourbus.

Florian Wörgötter
Das grüne Wunder
Im tiefschwarzen Tirol tanzt die Stadt Innsbruck politisch aus der Reihe: Die Grünen stellen mit Georg Willi sogar den Bürgermeister der Landeshauptstadt. Umso beeindruckender, dass seine Wahl im Mai 2018 in jene Zeit fällt, als die Bundes-Grünen zum parlamentarischen Sabbatical gezwungen wurden.
Manu analysiert dessen Erfolg so: „Georg Willi ist ein sympathischer Politiker, mit dem die Leute connecten können. Der auch ins Treibhaus geht und sich wöchentlich den Fragen der Besucher stellt und mit ihnen diskutiert. Und: Er unterstützt auch Natur, Berge und Biken, was in Tirol sehr groß geschrieben wird.“

Florian Wörgötter
Mehrere Zufallsbegegnungen mit „Innsbrucker Musikerlegenden“ zeigen, dass Manu hier in Innsbruck noch immer Freundschaften pflegt. Auch wenn er in London inspirierende Kontakte knüpft, lieber geht er mit seinen Tiroler Musikfreund*innen auf Tour: „Je länger ich im Musikbusiness arbeite, desto wichtiger wird es, mit Freunden on the Road eine gute Zeit zu haben“.
Wer Manu Delago mit dem Circadian Ensemble Live erleben möchte:
9.10, Dornbirn, Spielboden
10.10., Graz, Dom im Berg
11.10, Salzburg, ARGE
12.10., Wien, Konzerthaus
13.10., Linz, Schauspielhaus
14.10., Innsbruck, Treibhaus
Let’s play Alpenboccia
Außerdem versammelt Manu jährlich viele Musiker*innen in Innsbruck, wenn er sein „Alpen-Boccia-Tournament“ organisiert – ein „hoch dotiertes“ Boccia-Spiel im hügeligen Gelände. Das Preisgeld: „Jeder Teilnehmer bringt als Nenngeld ein Brieflos. Der Gewinner kassiert den Topf voller Lose. Daher sind Gewinne in Millionenhöhe möglich. Zumindest theoretisch.“
Zu guter letzt die Abschlussfrage: Wäre Innsbruck ein Musikstück, wie würde es klingen? „Goldene Barockgitarren treffen auf föhnige Blechbläser und wackere Beats. Alles eher höhenlastig abgemischt.“
Publiziert am 09.10.2019