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DIIV 2019 - Pressefoto

Coley Brown

Neues Album von DIIV

Nach Drogensucht und Social-Media-Rants ist „Deceiver“, das neue Album der US-Rockband DIIV, die vielleicht letzte Chance, noch einen Fuß auf den Boden zu bekommen.

Von Christian Lehner

„Taker“ ist ein Song über das Lügen. Und darüber, wie man die anderen verurteilt, weil sie einem die Lügen nicht mehr glauben", sagt mein Gegenüber an einem heißen Sommertag in Berlin. Zachary Cole Smith hat jahrelange Erfahrung darin, sich und sein Umfeld zu täuschen. Einst galt der mittlerweile 32-Jährige als Posterboy der Rockszene Brooklyns. Cole, wie er sich selbst ruft, hatte den richtigen Look (seine 7/8-Schlabberhosen und die gefärbten Strähnen von 2013 sind der Fashion-Hype der Stunde), er hatte Talent und mit Sky Ferreira eine ebenso begabte Partnerin an seiner Seite.

Die ersten Engagements verdankte Cole seiner Objektivierung. Der einem gewissen Kurt Cobain äußerlich Nicht-Unähnliche wurde in Restaurants und auf den Straßen New Yorks angesprochen, ob er nicht in dieser oder jener Band spielen wolle – Instrument und Beherrschung egal. Cole hätte beleidigt sein können, ergriff jedoch die Chance in Form einer Stromgitarre und anderer Lärmerzeuger. Der Sohn eines Metal-Musikers gastierte für kurze Zeit in den Bands Beach Fossils, Soft Black und Darwin Deez, ehe er Anfang der Dekade jene Formation ins Leben rief, die wir heute als DIIV kennen (der ursprüngliche Name Dive war bereits vergeben).

Neben Model-Jobs u.a. für Saint Laurent und Auftritten bei der Paris Fashion Week entfachte Cole mit DIIV ätherische Soundwolken im Geiste des Dream-Pop und Shoegaze der 1980er-Jahre. Retromania, Chill-Wave und Lo-Fi waren in den auslaufenden Nullerjahren die Klammern der ersten Millennial-Musiker*innen-Generation, die sich im damals hippsten Stadtviertel der Welt in DIY-Venues wie Glasslands Gallery, Death By Audio und 285 Kent herumtrieb. Die talentierte Truppe rund um Zach Cole Smith erspielte sich schnell einen guten Ruf und auch die Kritiken zum Debüt „Oshin“ stimmten.

Vom Posterboy zum Junkie

2019 sieht Cole aus wie ein asketischer Mönch. Sein Körper ist gezeichnet von der jahrelangen Heroinsucht, den Entzügen und Rückfällen. Den Kopf geschoren und eine Nickelbrille tragend sitzt er im Berliner Office seiner Plattenfirma und spricht über das zweite Comeback-Album. Das erste trug den Titel „Is There Is Are“, erschien – abermals unter kräftigen Beifall der Kritik – 2016 und hatte erstmals die Sucht des Sängers zum Thema.

Heute ist Cole dieses musikalisch ambitionierte Album etwas peinlich. Er habe in den Texten eine schnelle Lösung gesucht, sei zu sehr auf der Oberfläche der Probleme verblieben. Der Leidensweg der Drogenabhängigkeit wurde zwar beschrieben, aber als abgeschlossen erklärt. „Wenn du ein Junkie bist, bist du es ein Leben lang,“ sagt Cole rückblickend. „Ich habe das unterschätzt. Ich bin zwar heute abstinent, aber ich habe realisiert, dass ich ständig daran arbeiten muss, damit das auch so bleibt.“

DIIV 2019 in Berlin

Christian Lehner

Zachary Cole Smith (l) und Colin Caufield (r) von DIIV beim FM4-Interview in Berlin.

Auf „Is There Is Are” war Sky Ferreira zwar noch mit einem Feature im Song „Blue Boredom“ vertreten, doch die Beziehung ging in die Brüche. 2013 war das Paar von der Polizei mit Drogen erwischt worden - ein gefundenes Fressen für die Klatschpresse, die Smith und Ferreira als die neuen „Kurt & Courtney“ herumreichte.

Nicht genug des Ungemachs: 2014 brach ein Shitstorm über die Band herein. DIIV-Bassist Devin Ruben Perez wurde als übler 4Chan-Troller enttarnt. Perez ließ sich sexistisch und rassistisch über andere Musiker*innen aus. Smith hielt zunächst noch an Perez fest, weil dieser als Kind selbst Opfer von Rassismus und Missbrauch wurde. Später ersetzte er den Bassisten jedoch durch Colin Caulfield, der die Band bereits zuvor in verschiedenen Rollen begleitet hatte und der beim FM4-Interview in Berlin den Wingman von Cole gibt.

Sendungsbild Interview Podcast

Radio FM4

Das Interview mit DIIV hier im FM4 Interview Podcast

Im Februar 2017 dann ein Hilfeschrei via Instagram. Der DIIV-Frontmann kündigte an, sich erneut in ein Entzugsprogramm zu begeben und entschuldigte sich bei allen, deren Vertrauen er missbraucht hatte.

„Ich unterzog mich einer strikten Behandlung, die über die Sucht hinaus den Alltag reguliert“, erzählt Cole. „Diese Tools halfen uns auch dabei, als Band wieder zusammenzufinden - weg vom Egotrip hin zum gemeinschaftlichen Songwriting.“ Die Band, die sich davor einen Sport daraus machte, nie zu proben und neue Musik in kurzen Sessions aufzunehmen, brütete nun stundenlang gemeinsam über Songs. Das neue Album trägt den Titel „Deceiver“, auf Deutsch „Betrüger“. „Ich glaube, es ist nicht schwer zu erraten, wer damit gemeint ist“, sagt Smith und wirkt dabei so humble wie das ganze Interview über.

Songs tragen richtungweisende Titel wie „Skin Game”, „Taker“ oder „For The Guilty“. Es geht um Schuld, Sühne und die Sehnsucht, die man spürt, wenn der Geist in einen fast schon toten Körper zurückkehrt. “Apologize to all I see/For everything I used to be”, heißt es da etwa im Stück “Between Tides”.

Herzblut im Trockennebel

Erstmals haben DIIV einen externen Produzenten engagiert. Sonny Diperri hatte zuvor bei den Nine Inch Nails und M84 an den Reglern gesessen. Das Resultat: „Deceiver“ klingt wesentlich schwerer als seine Vorgänger. Der Sound erinnert an frühe Lärmapostel wie Sonic Youth oder My Bloody Valentine. „Es gibt für beinahe alle Zutaten Referenzpunkte. Die Texturen der Gitarren orientieren sich stark am Shoegaze-Sound, die Dynamiken an Bands wie etwa Slint oder True Widow. Sonny war sehr hilfreich, diese Elemente einzupassen“,so Cole im Interview.

„Deceiver“ gelingt der Spagat zwischen köperlosem Schwebezustand und einer Gravität, die den Songs Struktur und Richtung gibt. Da steckt eine Menge Herzblut im Trockennebel. Es ist vielleicht die letzte Chance für Zach Cole Smith und seine Band, noch einen Fuß auf den Boden zu bekommen. Mögen sie dort auf viele Soundpedale steigen und nicht wieder ausrutschen.

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