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„Lass uns mit den Toten tanzen“: Roman der Sea-Watch-Kapitänin Pia Klemp

Die Geschichten, die Pia Klemp als Kapitänin im Mittelmeer erlebt hat, sollten erzählt werden. Aber ist ein Roman die richtige Form dafür?

Von Sophie Liebhart

Seit 2015 war Pia Klemp im Auftrag von Sea-Watch und Jugend rettet im Mittelmeer unterwegs. Doch dann wurde ihr Schiff Iuventa beschlagnahmt, die italienische Staatsanwaltschaft ermittelt jetzt gegen die Crewmitglieder wegen Beihilfe zu illegalen Migration. Bei einer Verurteilung drohen Pia Klemp bis zu 20 Jahre Haft.

Pia Klemp - Lass und mit den Toten tanzen

Maro Verlag

Der Roman „Lass uns mit den Toten tanzen“ ist im maro Verlag erschienen.

Weil sie im Moment keine Rettungseinsätze mehr fahren darf, hat die Pia Klemp ihre Zeit anders genützt und ein Buch geschrieben. „Lass uns mit den Toten tanzen“ ist ein Roman über eine Kapitänin, die hinaus auf das Mittelmeer fährt, um Menschen zu retten. Es ist eine fiktive Geschichte - angelehnt an Klemps eigene Erfahrungen. Wenn eine Sea-Watch-Kapitänin ihre Erlebnisse schildert, dann ist das aber immer auch ein Statement. Ein Buch darüber zu schreiben, bringt also auch die Herausforderung mit sich zu entscheiden: Was tun mit der eigenen Betroffenheit, wohin mit dem moralischen Zeigefinger?

Pia Klemp löst diese Fragen in ihrem Roman „Lass uns mit den Toten tanzen“ nicht immer ganz souverän. Ihre Kapitänin wirkt oft etwas zu misanthropisch, während es ihre Mission ist, Leben zu retten: „Ich entkoppel mich von der Welt. Tschüss Volk, tschüss hanebüchene Regeln. Wir sind jetzt unser eigener Planet und schwimmen losgelöst vom Gesellschaftsquatsch herum.“

Alltag auf einem Rettungsschiff

Was „Lass uns mit den Toten tanzen“ dann aber doch sehr lesenswert macht, sind die Alltagsszenen, die die Kapitänin schildert. Man ist dabei, wenn die Crew das Schiff seefertig macht, fiebert mit, wenn sie sich auf den nächsten Rettungseinsatz vorbereitet.

„Ein Paket nach dem anderen fliegt von einem Paar Hände zum nächsten und verschwindet auf unserem Schiff. Das Schiff, in das all unsere Leben für drei Wochen gequetscht werden, in dem man von seiner Koje in den Arbeitsplatz fällt, auf dem man gleichzeitig Putzfrau und Feuerwehrfrau ist und zwischendrin Menschen vor dem Tod bewahrt. Solche Wirklichkeiten passen auf diesen Klumpen Stahl, nur keine Privatsphäre und keine Fehler. Während der Lieferant noch auf eine Unterschrift wartet, sind wir mit dem Kopf schon im Einsatz, lassen Boote zu Wasser, kämpfen mit Seekrankheit und Regierungen, ziehen schwer Körper an Bord, werden von Schicksalen und Wellen erschlagen, streiten mit Milizen und ich schau sehnsüchtig den Vögeln zu. Mut und Dummheit liegen gefährlich nah beieinander.“

Die Kapitänin reflektiert ihre eigenen inneren Widersprüche und stellt sich selbst, ihrer Crew und damit auch den Leserinnen und Lesern die Frage, in welcher Welt wir eigentlich leben wollen.

Schiff Iuventa von Sea Watch im Hafen, daneben steht ein Polizist

Bellina FRANCESCO/AFP

Vor allem als ihr Schiff beschlagnahmt wird, stellt sie die Welt, in der wir im Moment leben, in Frage: „In diesem Europa ist es kein Argument, dass wir die einzigen im Suchgebiet sind. Es geht nicht darum, Leben zu retten, es geht darum, nicht zu sehen, wenn Menschen sterben. Wut über die Skrupellosigkeit kocht – mal wieder – in mir hoch, Wut darüber, dass wir zuschauen müssen, wie Formalien die Vernunft und die Menschenwürde schlagen.“

Literatur und Aktivismus

Die Autorin und Menschenrechtsaktivistin Pia Klemp hält regelmäßig Plädoyers gegen die aktuelle europäische Migrationspolitik. Sie sieht das Schreiben als eine weitere Möglichkeit, um wachzurütteln.

Ob Literatur hier das richtige Tool ist, lässt sich zwar in Frage stellen, irgendwie ist es plötzlich aber auch nicht mehr so wichtig, wenn man sich in einem Rettungseinsatz auf hoher See wiederfindet.

„Überall um uns herum sind Leute im Wasser. Sie versuchen, in unsere Richtung zu schwimmen, andere fuchteln verzweifelt mit den Armen. (...) Ihre panischen Rufe wandern über die wenigen Meter Wasser zwischen uns, und sie brennen, ätzen, schneiden, fressen sich in unser Bewusstsein. Man weiß beim ersten Ton, dass man das nie vergessen wird.“

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