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Porträt von Wortlaut Gewinner Lukas Gmeiner

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Lukas Gmeiner gewinnt Wortlaut, den FM4 Kurzgeschichtenwettbewerb

Lukas Gmeiner gewinnt mit dem in Leichter Sprache geschriebenen Text „erbseneintopf“ Wortlaut, den FM4-Kurzgeschichtenwettbewerb.

von Zita Bereuter

„Hond ihr koan bessera gfunden?" typisch Vorarlberger Understatement als erste Reaktion auf den Wortlautgewinn. Lukas Gmeiner erhält den Anruf am Abend. Tagsüber erreicht man ihn schwer, ist er doch eingespannt zwischen Studium, seiner Arbeit in einem Berliner Förderzentrum und dem Broterwerb als Fahrradkurier. Ob es sicher kein Scherz sei, fragt er nach und muss sich setzen. „Krass!“ Er lacht und freut sich.

Lukas Gmeiner

1987 geboren, studiert Rehabilitationspädagogik und arbeitet an einem Berliner Förderzentrum und als Fahrradkurier. Privat sehr glücklich. Beruflich äußerst prekär. Freut sich über aussagekräftige Jobangebote im Bereich der Rehabilitation und darüber hinaus.
Schreibt Kurzgeschichten mittlerweile nur noch exklusiv für FM4 Wortlaut (Shortlist 2017) und hält Kurzvitas für die wahre literarische Herausforderung.

Der Siegertext

Hier gibts den Siegertext von Wortlaut 2019 als Download: Lukas Gmeiner - „erbseneintopf“.

Nach dem Telefonat fragt ihn sein Kind, wer das war. Er erklärt, eine Frau hat angerufen und gesagt, dass er gewonnen hat.

Das Kind: „Warum hast du gewonnen?" Er: „Keine Ahnung." „Ich konnte es nicht sagen. Danach sind wir Zähne putzen gegangen. Und dann hab ich die Kleine ins Bett gebracht."

Lukas Gmeiner war irritiert - und ist es noch immer. Eigentlich warte er einfach nur, bis alles, bis die Lesung im phil vorbei sei, erklärt er. Dann könne er aus seiner Traumwelt zurückkommen und werde feststellen, alles nur geträumt zu haben. „Dann komm ich wieder zurück in die Realität und das hat alles nicht so richtig stattgefunden. Das ist alles sehr irreal.“

Willkommen in der Traumwelt von Lukas Gmeiner - Willkommen in der Realität von Wortlaut. Die Jury war von „erbseneintopf“ beeindruckt.

Ich wohne in einem Haus.
Und dieses Haus gehört mir.
Mir ganz alleine.

Mein Haus hat eine große Tür und vier große Fenster.
Zwei Fenster gehen vorne raus zu dir.
Zwei Fenster sind an den Seiten.
Hinten in meinem Haus sind keine Fenster.
Was ich ganz hinten im letzten Zimmer verberge?
Das verrate ich nicht.
Das ist privat.

„Ich hasse Erbseneintopf, aber diesen Text liebe ich.“ (Jurystimme)

Die Jury, die Tagebuchslamorganisatorin Diana Köhle, die BestsellerautorInnen Marc Elsberg, Verena Rossbacher und Daniel Wisser und die Vorjahresgewinnerin Mercedes Spannagel, war sich hingegen ganz sicher, dass dieser Text gewinnen muss.

Sie waren begeistert von dieser „sehr fein und intelligent und gleichzeitig sehr gefühlvoll erzählten Geschichte“. Es sei ein Text, der „unauffällig zuerst daherkommt und dann sich als wahnsinnig trickreich erweist.“ Das sei „irre beeindruckend.“

In diesem Text „wird jemandem eine Stimme gegeben, der eigentlich keine Stimme hat und das ist sehr berührend und gut gelungen.“ Viel sei von „Einfühlung und Empathie heutzutage die Rede in der Literatur“ und „der Text „erbseneintopf“ ist ein Beispiel, wo das wirklich grandios gelingt.“ „Ein Text mit einer eigenartigen Form, auch etwas eigenartigen Formatierungen, der wirklich gegen den Strich gebürstet ist und der einem stummen Charakter einen Text, eine Stimme gibt. Das ist großartig gelungen.“

Plötzlich bewege ich mich.
Jemand schiebt meinen Roll•stuhl.
Ich drehe mich um und sehe Momo.
Momo ist mein aller•bester Freund.
Momo grinst.
Und ich grinse auch.
Der Haus•meister schaut mich kurz an.
Dann schaut der Haus•meister wieder weg.
Jetzt schaut auch Herr K. in unsere Richtung.
Herr K. ruft:
Hey!
Hier•bleiben!
Wo wollt ihr hin?

Momo dreht sich nicht um.
Momo läuft einfach weiter.
Ich mag Momo.
Momo ruft:
Zur Klasse!

Leichte Sprache

„erbseneintopf“ sei ein Versuch, seine letzten zwei Jahre künstlerisch zu verarbeiteten. Sein Studium und seine Arbeit als Schulhelfer in einem Förderzentrum hätten Lukas Gmeiner da beeinflusst. „Ich bewege mich in dem ganzen Bereich.“ So hat Lukas Gmeiner einige Seminare zu Gewalt in der Behindertenhilfe absolviert und auch ein Seminar in „Leichter Sprache“. Darunter versteht man ein Sprachkonzept mit einem Regelwerk, das Texte leichter verständlich macht. Kurze Sätze, keine Nebensätze. Der Wortschatz ist eingeschränkt. Der Satzbau ist reduziert. Man versucht mit Subjekt, Prädikat, Objekt den Satz aufzubauen. „Das ist eine möglichst verständliche Sprache – die sprachliche Rampe für Leute, die auf der kognitiven oder sensorischen Ebene eine Beeinträchtigung haben, für Leute, die eine Nicht-Deutsche Muttersprache haben oder auch für Leute, die eine Demenzerkrankung haben.“

lugm

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Im Rahmen seines Studiums hat Lukas Gmeiner schließlich eine Geschichte in einfacher Sprache geschrieben. Das sei unüblich, normalerweise würden Texte in einfache Sprache übersetzt.

Für die akademsiche Arbeit bekam er einen Zweier, mit einer kleinen Adaption hat er damit Wortlaut gewonnen. „Ich würde mich freuen, wenn möglichst viele Menschen die Geschichte lesen und mir ein Feedback geben. Auch Menschen mit Beeinträchtigung – das ist ja eigentlich der Hauptgedanke, warum ich eine Kurzgeschichte in leichter Sprache gemacht habe, weil ich wollte, dass das wirklich für möglichst viele Menschen zugänglich ist. Dementsprechend bin sehr offen für Kritik und Anregung.“

Wortlaut 2019

Der Ich-Erzähler sitzt im Rollstuhl, hat sprachliche Probleme und ist Schüler in einem Förderzentrum. Dort glaubt er, einen Mord aufzudecken.

Die Vorjury war geteilter Meinung: darf man aus der Sicht einer beeinträchtigten Person schreiben oder muss man gerade diesen Menschen eine Stimme geben? Die Perspektiven waren auch seine Bauchschmerzen, erklärt Lukas Gmeiner. Aber er könne sich als Autor nicht unsichtbar machen, sei dadurch natürlich angreifbar und sei auch offen für Kritik.

„Ich wollte, dass das wirklich für möglichst viele Menschen zugänglich ist.“

Nach dem Mittag•essen stehe ich auf.
Die Vorhänge sind noch verschlossen.
Ich gehe an das Fenster.
Aber hinter dem Fenster sehe ich etwas.
Etwas leuchtet rötlich.
Da sind Flecken.

Ich öffne den Vorhang.
Ich sehe den Flur von der Schule.
Auf dem Boden sehe ich einen großen roten Fleck.
Neben dem roten Fleck sind viele kleine rote Flecken.
Den ganzen Flur hinunter sehe ich jetzt kleine rote Flecken.
Die Flecken sehen aus wie wie wie ...

Mein Herz beginnt schneller zu schlagen.
Das ist Blut.
Denke ich.

Plötzlich höre ich Schreie.
Dann ist es kurz still.
Jetzt schreit wieder jemand.
Dieses Mal noch lauter.
Und noch länger.

2 Türen auf dem Flur öffnen sich.
2 Lehrer schauen heraus.
Ich folge den roten Flecken auf dem Flur.
Die Schreie werden lauter und wilder.
Ein Lehrer sagt zu mir:
Bleib hier Ole!

Nein!
Denke ich.
Das ist mein Fall.
Und ich fahre schneller.

Schreiben? Gibt die Lebenslage nicht her

Lukas Gmeiner schreibt Kurzgeschichten exklusiv für Wortlaut, lacht er. Er hat bis jetzt zwei Kurzgeschichten geschrieben, 2017 und jetzt. Mit beiden ist er in einem Wortlautbuch vertreten.

Mittlerweile gibt das seine Lebenslage nicht mehr her. Als Fahrradkurier fährt er aus einer existentiellen Notwendigkeit.
„Es gab so einen Lebensabschnitt, wo ich dachte, ich wäre gerne Autor und ich hab da Ideen. Und ich wollte vor längerer Zeit mal ein Buch schreiben. Das hab ich hier in die Biographie gar nicht mehr aufgenommen, weil ich so lange nicht geschrieben habe. Wenn man seit vier oder fünf Jahren keine Zeile mehr an seinem Buch schreibt, dann sollte man das vielleicht auch nicht mehr erwähnen.“

Mittlerweile findet er kaum Zeit zum Schreiben. „Ich weiß gar nicht, wann ich mich an den Schreibtisch setzen soll.
Manchmal steh ich für die Uni um vier Uhr morgens auf, weil ich Sachen vorbereiten muss. Und abends da ist meistens die Luft einfach raus. Wenn du den ganzen Tag arbeiten warst, und dann zwei Kinder, dann sitzt du auch nur mehr hoffentlich um neun auf der Couch und liest was oder ... meistens flimmert was.“

Vielleicht sucht er im Bereich einfache Sprache einen Freiraum für Geschichten. Ansonsten freut er sich, wie er in seiner Biographie schreibt, über aussagekräftige Jobangebote im Bereich der Rehabilitation und darüber hinaus.

Wir wünschen ihm beides: gute Jobangebote und Zeit zum Schreiben. Herzliche Gratulation, Lukas Gmeiner!

Buchcover von Wortlaut

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FM4 Wortlaut Party

Lukas Gmeiner liest „erbseneintopf“ bei der Wortlaut-Party am Freitag, 11.10. im phil.

Dort lesen auch die Zweitplatzierte Katherina Braschel ihre Kurzgeschichte „Spargel aus dem Glas“ und der Drittplatzierte Florian Schlederer den Text „Evelynes Kassette“ und die Großen Zehn werden ihre Preise erhalten.

Julius Meinl

WERBUNG

Alle drei Preisgelder werden von Julius Meinl zur Verfügung gestellt.

Lukas Gmeiner gewinnt:

  • 1000 Euro,
  • Veröffentlichung im Wortlautbuch, das im Herbst im Luftschacht Verlag erscheinen wird,
  • Veröffentlichung eines Auszuges im Album von STANDARD und in der Literaturzeitung Volltext
  • Je 100 Euro in Buchgutscheinen, zur Verfügung gestellt von der österreichischen Online-Buchhandlung morawa.at,
  • DER STANDARD Goodie Bag,
  • Ein Jahresabo der Literaturzeitung Volltext und
  • FM4 Goodies der Saison
Der Standard

WERBUNG

Ein Auszug aus dem Gewinnertext wird im STANDARD veröffentlicht.

Hier ist der ganze Text nachlesbar

Die GewinnerInnen von FM4 Wortlaut 2019

Portraits der drei Erstplatzierten gab es diese Woche in der FM4 Homebase und im FM4 Player.

Platz 3: Florian Schlederer: „Evelynes Kassette“ (7.10.)
Platz 2: Katherina Braschel: „Spargel aus dem Glas“ (9.10.)
Platz 1: Lukas Gmeiner: „erbseneintopf“ (10.10.)

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