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Blumenaus Medien-Journal

Warum mehr Talk keinen Public Value bringt; und was der Neukirchner-Trick bewirken könnte.

Zwei Thesen zum aktuellen österreichischen Journalismus. Warum vermehrte Diskussions-Sendungen nicht den Public Value, sondern strategische Spins fördern. Und wie Politiker*innen, die Günther Neukirchner folgen, die aktuelle Interview-Kultur ändern können.

Von Martin Blumenau

Zwei Thesen zum aktuellen österreichischen Journalismus.

Vorwort: Ich will hier nicht verallgemeinern. Sehr viele machen ihren Job großartig. Ich sehe aber in letzter Zeit auch Anzeichen dafür, dass aus bisherigen Ausnahmen langsam die Regel wird und die in den folgenden Punkten angesprochenen Verhaltensweisen in Mode kommen.

These 1: Mehr ist weniger; Dauertalk ist kein Public Value, sondern strategischer Spin.

Mehr TV-Sender und mehr Diskussions-Sendungen fördern weder Qualitäts-Journalismus (Stichwort: Public Value) noch stärken sie die Demokratie. Die seit dem Wahlkampf bei Puls 24, dem Fellner-TV, Servus und den anderen Privat-Stationen aber auch dem ORF gefühlt ununterbrochen tagende Runden der letztlich immer selben Politiker*innen und ihrer strategischen Handlanger*innen präsentiert deren parteiisch gefärbte Agenda.

Journalismus beginnt aber erst dort, wo auch diese Aussagen eingeordnet werden. Das passiert, wenn tatsächliche Expert*innen und Journalist*innen als Talk-Gäste antreten und neben Erläuterungen auch das Aufzeigen von Optionen, also eine differenzierte Darstellung anbieten - dort aber, wo von Parteien und Lobbys gestellte Spin Doktoren die Meinungsführung übernehmen, wird demokratischer Diskurs nur vorgespielt. Denn der Abtausch von zuvor sorgsam geübten Statement-Schablonen, die ausschließlich und gezielt Interessen bedienen, hat nur den dünnen Mehr- und Nährwert von Propaganda.

Besonders schlimm ist das in populistisch inszenierten Duellen zwischen Gefolgsleuten weit auseinanderliegender Ideologien. Wer etwa Identitären eine mediale Plattform bietet, rückt deren Spins automatisch in Richtung Mitte bzw. Normalität, bietet somit Legitimität an. Wie es mit dem bis vor kurzem in jeder Klima-Wandel-Debatte obligaten Klimawandel-Leugner passiert ist.

Die explosionsartige Vermehrung der TV-Sprechrunden ist zum einen auf die seit einigen Jahren quasi permanenten Wahl-Auseinandersetzungen (Präsidentschaft, Nationalrat, EU, Landtage etc...), zum anderen auf die Installierung des neuen, wie oe24 an CNN orientieren Senders Puls24, zurückzuführen. Diese Rund-um-die-Uhr-Sender brauchen permanente Befüllung, die das Gefühl der Dauer-Wiederholungs-Schleife vermeidet. Und das billigste Programm ist der Talk: ein Studio, Gäste, fertig ist die Sendestunde.

Für den Hintergrund, die Reportage, die Einordnung, den Faktencheck, die Differenziertheit und Detail-Betrachtung bei komplexen Themen (seit Sinowatz wissen wir ja: sie ist sehr kompliziert, diese Politik) ist wenig Platz, weil diese Programme Zeit und Geld brauchen. Und davon hat der kleine österreichische Medien-Markt notorisch zu wenig.

Weil die auf allen Kanälen feuernde Dauer-Diskussions-Sendung der letzten Monate aber auch noch halbwegs gut angekommen ist, quotentechnisch, weil die Elefantenrunden und -Duelle die emotionalen Grundbedürfnisse eines Massenpublikums fastfoodtechnisch gut bedienen, drohen die Diskussionen zu einem journalistischen Allheil-Mittel zu werden.
Obwohl sie in ihrem Kern das Gegenteil sind: Sie vernebeln, wo Aufklärung nötig wäre, sie emotionalisieren, wo Sachlichkeit seinen Platz bräuchte, sie verblödeln drängenden Ernst und blasen Mücken zu Elefanten auf. Weil so viel davon quasi gleichzeitig aufs Publikum losgelassen wird, ist nicht einmal eine prozentuell zweistellige nachträgliche Inhaltsanalyse möglich - von einem Echtzeit-Check, wie er in einer optimal funktionierenden Second-Screen-Kombination mit Live-Web-Analyse technisch möglich wäre, gar nicht erst zu träumen. Was bleibt, ist eine Oberflächen-Betrachtung nach Casting-Show-Kriterien, die Beurteilung einer Performance.

Nun ist Politik aber kein Show-Tanz, bei dem Schrittfolgen und das strahlende Lächeln zählen, sondern ein ganz praktischer Wettlauf um die besseren und gesellschaftlich ausgewogensten Ideen, die Kunst der differenzierten Betrachtung, die die Blickwinkel ALLER inkludiert. Die Show-Inszenierung der Talk-Runden und Debatten spiegelt das jedoch in keiner Weise wieder - von der fehlenden Repräsentanz (nur die Frauen-Quote hat sich gebessert; die Klassenschranken bis hin zu den im österreichischen TV unsichtbaren Kindern der Migration bleiben festgeschrieben) der österreichischen Gesellschaft will ich erst gar nicht anfangen.

Ich habe in den letzten Wochen einige Medien-Menschen davon sprechen gehört, dass die verstärkte Debatte auch verstärkten Public Value, also öffentlichen und demokratiestärkenden Mehrwert nach sich zieht. Ich fürchte, es ist genau andersrum: die Debatten der Spin-Doktoren haben sich als elitäre Scheingefechte entpuppt, die die Bevölkerung noch weiter von ihren Repräsentanten entfernen. Mehr Kanäle und mehr Ausspielwege können dann sinnstiftend agieren, wenn sie klare Kriterien des Qualitäts-Journalismus befolgen und sich zur präzisen und punktgenauen Einordnung der wesentlichen Standpunkte verpflichten, anstatt immer neue, heiß dahergeredete, unüberprüfte und zu wenig hinterfragte Worthülsen ins Bild zu setzen.

These 2: Der/die Erste, der/die den Neukirchner macht, wird alles ändern.

Es ist Interview-Alltag: die innenpolitischen Journalist*innen kreisen allzu gerne um scheinbare Widersprüche in ambivalenten Fragen, bei denen es eben keine eindeutige Antwort, sondern nur differenzierte Ansätze gibt. Die Komplexität dieser Fragen zu vermitteln wäre, das nur als sidestep, der eigentliche Job der Branche. Und dann kippt die Nachfrage in den Versuch eines Festnagelns auf eine simple Ansage, den berühmten medialen Sager, auf den alle Verantwortlichen (der Verwertbarkeit wegen) so hoffen. Oder es kommt zum Auslegen einer populistische double-bind-Falle, die jede Erst-Antwort auf eine Entscheidungs-Frage zur falschen macht und das in einer Replik dann auch triumphal ausspielt.

Was alle zu Verlierern macht: den auf einen (scheinbaren und meist nur oberflächlichen) Widerspruch reduzierten Verantwortungsträger, den zur differenzierten Darstellung nicht befähigten Journalisten und ein Publikum, das zunehmend nur noch unterhalten, nicht mehr aber informiert wird.

Dass diese destruktive Vorgangsweise (Politiker*innen mit populistischer Vereinfachung aufs Glatteis führen) das glatte Gegenteil von „constructive journalism“, also der Zukunft des Qualitäts-Journalismus ist, juckt mir zu wenige Menschen.

Weitaus verblüffender ist aber der Fakt, dass Politiker hierbei brav mitspielen. Ich bin davon überzeugt, dass der/die erste Teufelskreis-Durchbrecher*in sofort Sympathie und Nachahmungstäter finden wird und einen shift einleiten kann. Man müsste nur neukirchnern. Wie das geht? So:

Weil ich den steirischen Ex-Kicker nicht zum Helden machen will: die Fragen, die er bekommen hat, waren inhaltlich nachvollziehbar, und nur emotional falsch platziert. Wichtig aber ist die Direktheit seiner Antwort und sein sofortiger Gang auf die Meta-Ebene, indem er die Struktur und Richtung der Frage thematisiert. Wenn Politiker*innen den Mut finden, eine Fragestellung als zu wenig differenziert zu bezeichnen, wenn sie die Courage aufbringen, in kurzen Worten zu erklären, dass das „Ja oder Nein“, das „Entweder - Oder“-Spiel nicht nur in der Politik, sondern in den allermeisten Lebens-Situationen weder angebracht noch zielführend ist, dann haben sie es geschafft zu neukirchnern.

Soll heißen: das Publikum wird auf ihrer Seite stehen. So wie es bei Neukirchner der Fall war, der sich der „Gut gemacht!“-Schulterklopfer kaum noch erwehren konnte, dessen Popularität nach diesem Flash-Interview in ungeahnte Höhen schoss.

Konsequenzen hatte sein Stilbruch keine, dazu ist das Format des Flash-Interviews direkt nach dem Match, wo die Emotionen hochfliegen, zu speziell: da sind Ausbrüche einkalkuliert.

In der politischen Landschaft würde der Neukirchner-Trick (auf die Meta-Ebene gehen, dreiste Entscheidungs-Drängel-Fragen bei Themen, die sich nicht in Schwarz-Weiß abhandeln lassen, bloßstellen; populistische Ansätze als solche benennen; das Zu-kurz-Greifen als falsches Stilmittel ansprechen etc.) hingegen einiges ändern. Er würde die Interviewer*innen beschämen, bei ihrer Ehre packen und zu besseren Journalist*innen machen; weil sie herausgefordert sind und nicht bloß als natürliche auszusperrende Feinde, die größten Huren des Planeten oder als notwendiges Übel, sondern als inhaltlich wichtiger Bestandteil des demokratischen Diskurses wahrgenommen.

Das Neukirchnern hätte also nur Gewinner. Ich warte.

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