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KiWi Musikbibliothek: Autor*innen schreiben über ihre Lieblingsbands

Der Verlag Kiepenheuer & Witsch lässt in seiner neuen Reihe „Musikbibliothek“ Autor*innen über ihre liebsten Bands oder Solokünstler*innen schreiben. Das ist vor allem im Fall von Anja Rützels Buch über Take That eine große Lesefreude.

Von Lisa Schneider

Es gibt keinen besseren Weg, eine Band kennenzulernen, als über jemanden, der sie liebt. Natürlich ist jeder gute Fan überschwänglich, euphorisch, und was den Gegenstand seiner Liebe und die Berichterstattung über ihn betrifft komplett subjekiv. Und das ist gut so.

Der Verlag Kiepenheuer & Witsch hat mit der „Musikbibliothek“ jetzt eine neue Reihe ins Leben gerufen, in der Autor*innen, Künstler*innen oder Musiker*innen sich in einem kurzen Buch zu ihrer Lieblingsband, zu ihrem Lieblingsmusiker oder ihrer Lieblingsmusikerin äußern. Eine „radikal subjektive Liebeserklärung“, wie es der Verlag nennt: Gerade sind die ersten vier Bändchen der KiWi-Musikbibliothek erschienen. Thees Uhlmann schreibt über Die Toten Hosen, Sophie Passmann über Frank Ocean, Anja Rützel über Take That und Tino Hanekamp über Nick Cave.

Anja Rützel über Take That

Vorab: dieses Buch ist fantastisch, weil unglaublich lustig, pointiert und selbstironisch. Im Interview zum Buch erzählt die deutsche Journalistin und Autorin Anja Rützel, „immerhin hätte ich genauso gut David Bowie aussuchen können, den ich ja auch sehr mag“. Wäre es nicht so, so einfach, David Bowie cool zu finden.

„Neben meiner großen Liebe zu Tieren ist meine Zuneigung zu Take That womöglich das letzte Restchen nicht laminierte Naivität, die in meinem verklärungsarmen, allzeit spöttelbereiten Leben noch Platz hat, das Fitzelchen ungehemmte Weltverkitschung, das mir im Erwachsenenleben nicht abhanden gekommen ist (...).“

Cover Anja Rützel über Take That

Kiepenheuer & Witsch

Gleich zu Beginn ihres Buchs nimmt Anja Rützel etwas sehr Schönes vorweg: nämlich, dass man nicht elf bis fünfzehn Jahre alt sein muss, um Fan einer Boyband zu werden. Sie selbst, geboren 1973, hat erst in ihren Mittzwanzigern ihre Leidenschaft für Take That entdeckt. Was, wie sie schreibt, ihre Verbindung zu ihrer sieben Jahre jüngeren Schwester verstärkt - und ihr Leben nachhaltig verbessert hat. Nicht immer muss alles verkorkst sein, um gut zu sein. Es muss oft nicht mal gut sein.

„Andere Bands liebe ich wegen ihrer smarten Texte, ihres weltzerschmetterenden Radaus, ihrer grabesschweren Harmonien oder aus anderen nachvollziehbaren, mit Erwachsenen-Argumenten erklärlichen Gründen, die ich jederzeit zu einem feuilletonistisch gedachten Textchen zusammenschreiben könnte, ohne mich komplett lächerlich zu machen. Meine Liebe zu Take That aber ist eine Teenieliebe, hysterisch irrational, die sich an Quatschdetails aufhängt, kritikrelevante Vergleichssysteme ausknipst und sich einfach mal glühwangig gehen lässt, ohne bang nachzudenken (...).“

„Bang nachdenken“ nämlich über den konstruierten Charakter einer Boyband, die einem vor Augen hält, wie die Musikdindustrie eben arbeitet: ziel- und damit gewinnorientiert. Dafür wird die Boyband oft gehasst oder lächerlich gemacht, weil sie einem klar macht, dass es am Ende ums Geldmachen geht. Die Erkenntnis schmerzt kurz. Aber dann laufen Songs wie „Back For Good“. Und ihre visuelle Untermalung:

"(...) das Video, das Vi-de-o! Ein letztes Mal spielen Take That kurz vor Robbies Abgang die beliebte „Huch, ich bin versehentlich in den Regen gekommen und jetzt pitschepatsche nass, alles klebt ja förmlich an meinem Muskelkörper, na so was"-Boyband-Motivkarte, und allein für Howards sinnlos hohe Ohrklappenmütze, die ihn aussehen lässt wie einen bedröppelten Hütehund, und für die Szene, in der Robbie seinen Pelzmantel herumschleudert, kann man sich das immer, immer wieder anschauen.“

Für jede Lebenslage, gut oder schlecht, gibt es für Anja Rützel einen Take That-Song, ein Video oder ein Songzitat: "Ich singe ja gern „Unaware, but underlined, I figured out this story (no, no!)/ It wasn’t good (no, no!)" vor mich hin, wenn ich mal einen Text abgebe, den ich selbst nicht so dolle finde.“

Müsste man dieses Buch mit einer Take That-Songzeile bewerten, wäre es diese: „Let it shine / just let it shine“.

Tino Hanekamp über Nick Cave

Der Schritt von Take That zu Nick Cave könnte nicht größer sein. Journalist, Autor und Clubbesitzer Tino Hanekamp schreibt über ein Konzert von Nick Cave: „Die Intensität ist beinahe übergriffig. Das alles ist eine dermaßen große, starke Ansage und dann auch noch so aufgeladen mit Kontext, dass man schon nicht mehr von Entertainment sprechen kann. Es ist eher eine Erfahrung.“

Tino Hanekamp, Jahrgang 1979, für seinen Roman „So was von da“ mehrmals ausgezeichnet, wird als Teenager zum Cave-Jünger. Er ist zu dieser Zeit ein ebenso verlotterter, schlaksiger, schwarzhaariger junger Mann auf Sinnsuche wie Cave selbst, er verliebt sich zuallererst ins Klavieralbum „The Boatman’s Call“.

Es gibt natürlich auch Cave-Songs für alle Lebenslagen, dieser Künstler weiß Rat, und auch wenn er keinen weiß, weist er den Weg. Er ist mehr als ein Pop-Vorbild, er ist Priester, und das vor allem seit den aktuellen, immer größeren, immer intimeren Liveshows. Hanekamp schreibt Sätze, die man schon von vielen Menschen gehört hat, wenn sie über Nick Cave sprechen, respektive schwärmen. Es ist vielleicht das oben erwähnte Bowie-Syndrom: Auf diesem Planeten gibt es nur wenige, die so wirklich gar nichts mit Nick Cave und seiner Kunst anfangen können. Und seien es nur seine schwarzen, maßgeschneiderten Anzüge.

Tino Hanekamps Buch über Nick Cave ist ein Reisebericht, der einerseits zurückführt in die Vergangenheit des damals noch jungen Musikjournalisten, der mit 22 Jahren ein Interview mit dem Großmeister gehörig versemmelt hat. Und der sich andererseits in der Gegenwart abspielt, in Mexiko, wo Hanekamp mittlerweile lebt.

Er ist gerade mit seiner „Liebsten“ - dem Jargon des Buchs nach könnte man manchmal annehmen, Hanekamp wäre 20 Jahre älter als er ist - mit dem Auto unterwegs nach Mexico City, wo sie ein Konzert von Nick Cave And The Bad Seeds besuchen wollen. Im Anschluss daran soll der schon nervöse, vor allem aktuell in einer Schreibkrise steckende Autor einmal mehr die Möglichkeit auf ein Treffen und Interview mit Nick Cave bekommen. Eben wegen des Buchs, das Hanekamp gerade im Begriff ist zu schreiben.

Cover Tino Hanekamp über Nick Cave

Kiepenheuer & Witsch

Die Dialogform, in der das Buch streckenweise gehalten ist und über die Hanekamp seiner Freundin das Genie Cave näherbringen möchte, ist unglücklich gewählt - weil man Nick Cave und seine Musik nur sehr schwer in gesprochener Sprache beschreiben kann. Niemand sagt, Auto fahrend und Snacks essend, Sätze wie: „Ich meine, das war alles konkret genug, um mich damit identifizieren zu können, und theatralisch genug, um meinem Eskapismus ein paar Türen aufzutreten, hinter denen ich mich für meinen Eskapismus nicht schämen musste.“

Wo es an der Textform ab und zu hapert, gelingt etwas anderes: Tino Hanekamps Buch ist ein nur 150 Seiten (und es sind kleine Seiten, weil ein kleines Buch) langer, aber trotzdem fundierter Abriss über Nick Caves Leben. Privat und öffentlich, zwischen Erfolgen und Rückschlägen, zwischen Berlin, Melbourne und Brighton. Außerhalb der Dialogform findet Tino Hanekamp wunderbare Worte für Nick Caves mythisches, übermenschliches Auftreten:

„(...) wie Cave sich selbst sieht - als einen Mann der Worte und der Musik im ewigen Ringen um den magischen Moment, wenn aus Phrasen und Tönen etwas entsteht, das größer ist als das Leben. Der Künstler als Gott mit dem Wissen, dass er letztlich auch nur ein Narr ist.“

Fortsetzung folgt

Der Verlag Kiepenheuer & Witsch hat angekündigt, dass pro Jahr vier bis sechs weitere Bändchen die Musikbibliothek vervollständigen sollen. Weitere Infos & Updates, Gespräche mit den Autor*innen in Podcastform - und natürlich Playlists zu den Büchern gibt es hier.

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