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Eine Gesellschaft mit mehreren Männern und Frauen ist erstaunt

Jean-Claude Moireau

„Gelobt sei Gott“ ist ein inniger Film über einen Missbrauchsskandal

Dass François Ozons neuer Spielfilm „Gelobt sei Gott“ in den Kinos gezeigt wird, ist der französischen Justiz zu verdanken: Die Geschichte über sexuellen Kindesmissbrauch bezieht sich auf den wahren Fall eines Pfarrers. Der Versuch, jegliche Vorführung zu verhindern, wurde abgelehnt.

Von Maria Motter

Dass Männer für die Action und Frauen für die Gefühle zuständig sind, das ist im Kino zu oft so, findet der französische Regisseur François Ozon. Dessen Filme drehten sich bislang stark um Weiblichkeit („8 Frauen“, „Swimming Pool“ oder „Eine neue Freundin“). Ozon wollte jedoch seit langem einen Film über Männer und Gefühle drehen, sagt er in einem Interview. Dann ist er auf die Website des Opfervereins „La parole libérée“ gestoßen: Die heute erwachsenen Männer dokumentieren ihre Lebensgeschichten und sie kämpfen darum, dass der Priester, der sie sexuell missbraucht hat, keinen Kontakt mehr zu Kindern haben darf.

Ausgezeichnet mit dem Großen Preis der Jury der Berlinale, startet „Gelobt sei Gott“ am 18. Oktober 2019 in den österreichischen Kinos.

„Gelobt sei Gott“ heißt das innige Drama, das die langen Folgen von Missbrauch sehr genau und in den einzelnen Beziehungen zeigt und sich auf einen wahren Fall bezieht: Bernard Preynat ist wegen zigfachem sexuellen Missbrauch von Kindern angeklagt. Als katholischer Pfarrer hatte er die Aufsicht über Pfadfindergruppen.

Ein Pfarrer fasst einem Buben, der auf einer Kirchenbank sitzt, an die Schulter

Jean-Claude Moireau

Der wahre Fall des früheren Pfarrers Bernard Preynat ist die Grundlage des Spielfilms „Gelobt sei Gott“.

Eine Brutalität, die nicht in drastischer Bildsprache inszeniert wird

François Ozon verzichtet auf Schock. Er inszeniert nicht den Missbrauch. Nur in wenigen Rückblenden sind die Männer wieder Kinder auf einem Pfadfinderlager. Opfer können unter Flashbacks leiden. In der brutalsten Szene des Films sitzt die Hauptfigur Alexandre, ein 40-jähriger Finanzexperte und gläubiger Familienvater, seinem einstigen Peiniger gegenüber. Das Treffen, das als Aussprache von einer Mitarbeiterin des Kardinals initiiert wurde, soll auf deren Wunsch mit einem gemeinsamen „Vater Unser“ enden. Der Pfarrer greift nach Alexandres Hand und lässt sie das Gebet über nicht los. Melvil Poupaud ist als Alexandre die personifizierte Contenance. Doch wie sehr der gläubige Alexandre mit sich und der Institution katholische Kirche kämpft, sieht man ihm in jeder dieser Sekunden an.

Ursprünglich wollte François Ozon einen Dokumentarfilm machen. „Aber dann habe ich sehr schnell begriffen, dass das, was mir da an Intimen berichtet wurde, nicht vor einer Kamera wiederholt werden sollte“, sagte Ozon auf der Berlinale. Viele der Männer hatten schon Interviews für Dokumentarfilme gegeben, es waren Bücher geschrieben worden. In Frankreich hat der Fall seit 2016 Schlagzeilen gemacht. „Es war ihnen lieber, dass jetzt Fiktion daraus wird“, so Ozon.

Opfervereine stehen der Macht der Kirche gegenüber

Die Fiktion verdeutlicht das Ausmaß von Missbrauch in einer Institution. Die Vertuschungsversuche und die Macht der Kirche stehen dem Bemühen einzelner Angehöriger gegenüber, ernst genommen zu werden. Man mag sich wundern über die leise Machart dieses Films, doch er wirkt sehr nach und kann eigene Erinnerungen hervorrufen. Und die Fiktion bricht mit vertrauten Erzählmustern.

Alexandre, gespielt von Melvil Poupaud, und seine Ehefrau, gespielt von Aurélia Petit, stehen sich in der Wohnung gegenüber, während einer Söhne Klavier spielt

Jean-Claude Moireau

Melvil Poupaud und Aurélia Petit zählen zum Cast von „Gelobt sei Gott“ - als Ehepaar, das ein Kampf eint.

Auf allzu große Wendepunkte hofft man vielleicht vergeblich. Auch gibt es mit Alexandre zwar eine Hauptfigur, doch gefühlt mitten im Film rücken plötzlich andere Männer, andere Opfer, und mit ihnen andere Bewältigungsstrategien ins Zentrum der Geschichte. Scham, Wut, Verzweiflung über die Untätigkeit der Kirche, über das Wegsehen im Familien- aber auch im Kirchenkreis quälen sie. FM4-Filmexpertin Pia Reiser hat sie vortrefflich beschrieben:

„Ozons männliches Triptychon fächert verschiedene Männertypen auf. Der elegante, erfolgreiche Alexandre, stets gefasst und wenn er keinen Burberry-Mantel trägt, dann steckt er in einer Barbour-Jacke. Vater von fünf Kindern, seine eigenen Eltern siezt er. Alexandre geht das Ganze methodisch an. In Francois (Denis Menochet, eine Urgewalt des französischen Kinos) brodelt es dagegen schon mehr, er gründet eine Gruppe für betroffene Männer, und schließlich ist da noch Gilles (Swann Arlaud, gesegnet mit den ewig müden Augen wie Mathieu Amalric), dessen ganze Existenz gezeichnet ist von den sexuellen Übergriffen des Paters. Und so zieht Ozon einen Bogen vom gefassten Alexandre zu Gilles, unkontrolliert, fahrig, stellenweise aggressiv.“

So sehr Alexandre etwa auf die Unterstützung seiner Frau setzen kann, deren Haltung Ozon in einem kurzen Dialog klarmacht, so sehr stagnieren die einzelnen Bemühungen, bis er andere Opfer ausfindig macht und die Männer sich zusammentun. Happy-End darf man sich allerdings keines erwarten. Dafür bleibt François Ozon diesmal (und doch für seine Filme auch ein bisschen ungewöhnlich) zu sehr im Realismus.

François Ozons Film gegen das Stillschweigen von Kindesmissbrauch

Ein Kind, das sexuell missbraucht wird, muss sich im Durchschnitt sechs Erwachsenen anvertrauen, ehe ihm geglaubt wird. Das Drama „Gelobt sei Gott" sei der Versuch, die Stille um den Missbrauch von Kindern in großen Institutionen aufzubrechen“, sagt Regisseur François Ozon. An Originalschauplätzen durfte nicht gedreht werden, die Finanzierung des Films stellte sich als mühsamer heraus als bei vorangegangenen Produktionen.

Und da kommt „Gelobt sei Gott“ nicht zu spät. In Australien ist Kardinal George Pell im März 2019 wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern zu sechs Jahren Haft verurteilt worden. Pell ging in Berufung, sie wurde abgelehnt. Seine Anwälte kämpfen weiter gegen das Urteil. Fast zur gleichen Zeit empfängt Papst Franziskus, ein ehemaliger Vertrauter von Pell, im März diesen Jahres den französischen Kardinal Philippe Barbarin im Vatikan. Barbarin soll Jahrzehnte lang gewusst haben, dass der Pfarrer Bernard Preynat Kinder sexuell missbraucht. Ein Rücktrittsangebot des Kardinals lehnte der Papst ab. Barbarin wurde angeklagt und verurteilt - allerdings ist das Urteil nicht rechtskräftig, denn Barbarin ging in Berufung.

Dass der Fall Preynat die Gerichte beschäftigte, kann man jetzt in Ankündigungen zum Film lesen. Doch der Prozess gegen Bernard Preynat wegen Missbrauchs von über 70 Kindern beginnt erst im Jänner 2020. Priester ist Bernard Preynat keiner mehr: Ein Kirchengericht enthob ihn der klerikalen Würde wegen „des Missbrauchs seiner Autorität“ und „der großen Zahl der Opfer“.

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