FM4-Logo

jetzt live:

Aktueller Musiktitel:

Buchcover von Wir haben keinen Kontakt mehr

FM4

Zwischenmenschlicher Vollkontakt

Die Erzählung „Wir haben keinen Kontakt mehr“ vom Wiener Autor Andreas Jungwirth: Ein Leben erzählt in 14 Begegnungen.

Von Daniel Grabner

Was für eine Geschichte bzw. was für ein Bild würde man von einer Person erhalten, würde man nicht die nächsten Menschen in ihrem Leben, nicht die Verwandten, die engsten Freund*innen und Partner*innnen befragen, sondern die anderen, die One-Night-Stands, die Kurzbeziehungen, irgendwelche Arbeitskolleg*innen aus früheren Jobs? Ergäbe das ein authentischeres Bild von einer Person? Wäre es die geheime Kehrseite, all das was sonst im Verborgenen bliebe, oder unwichtige Vergangenheit?

In der Erzählung „Wir haben keinen Kontakt mehr“ vom Wiener Autor Andreas Jungwirth, berichten genau solche Kurzbekanntschaften von der Hauptfigur David. Jungwirth, der bisher Hörspiele und zwei Jugendromane veröffentlicht hat, schlägt damit in eine andere Kerbe. Gerade mal 78 Seiten lang ist diese teils poetische, teils sexuell explizite Geschichte, erzählt aus der Sicht von 14 Menschen, die der Hauptfigur David über die Jahrzehnte von seiner Jugend bis ins Erwachsenenalter, meist nur auf kurzen Etappen begegnet sind.

Sehnsucht und Angst vor Nähe

David wächst am Land auf, mit neun Jahren bemerkt er, dass er auf Männer steht. Bei einem Kurztrip nach Wien mit 18 ist er zum ersten Mal mit einem Mann alleine. Bevor es zu intim wird, läuft er nach Hause. Er beginnt Zoologie zu studieren, wechselt dann aber zu Germanistik. Sein Leben ist geprägt von oberflächlichen Affären, Beziehungen, die in ihren ersten Zügen verebben oder auseinanderbrechen, der Ambivalenz von Sehnsucht nach Nähe und Angst davor. Kaum lässt er jemanden in seine Nähe, stößt ihn David auch gleich wieder weg. Nachdem ihm der angehenden Autor Valentin seinen Roman schenkt, konstatiert ihm David nicht nur einen belanglosen und langweiligen Roman geschrieben zu haben: „Ich meine dich und das Buch, sagte David.“

Ein Porträt des Autors Andreas Jungwirth

Jorghi Poll/Edition Atelier

Die Erzählung „Wir haben keinen Kontakt mehr“ von Andreas Jungwirth ist im Edition Atelier Verlag erschienen.

Autoaggression und Kontrollverlust

„Wir haben keinen Kontakt mehr“ wirft 14 Schlaglichter auf einen Menschen, der im Drahtseilakt zwischen Nähe und Distanz mehr und mehr die Kontrolle verliert. Nachdem ihm eine Affäre erzählt, HIV-positiv zu sein, möchte sich David von ihm anstecken lassen, und eine spielerische Rangelei mit einem Date ein paar Jahre später gerät außer Kontrolle, als David wild auf den wehrlosen am Boden liegenden Mann einprügelt.

„[...]und wenn du ihm später die Tür öffnest, checkst du ihn ab, und wenn er keine Fakefotos in seinem Profil hatte und auch das Alter halbwegs korrekt angegeben hat und er nur ungefähr dem entspricht, was du dir vorgestellt hast … lässt du dir keinen Ausweis zeigen, natürlich nicht … du willst einfach einen Schwanz blasen und dich ficken lassen. Du willst, dass der andere da ist. Du willst nicht alleine sein. Du willst einem anderen Menschen nahe sein. Du willst Vertrauen haben. Und wen du zu diesem Vertrauen nicht fähig bist, fühlst du dich als Verräter.“

Andreas Jungwirths Erzählung ist aber nicht nur dieses lückenhafte Psychogramm eines Boarderliners. Daneben gibt es Einblick in die Lebenswelt von schwulen Männern ab den achtziger Jahren. Auch hier die Ambivalenz: der lose Zusammenhalt einer Szene auf der einen Seite und die Ausgrenzung seitens der Gesellschaft auf der anderen Seite.

Am Ende der Geschichte ist David tatsächlich in einer langjährigen und funktionierenden Beziehung mit Stefan. Stefan ist es auch, der als letzte Person über David berichtet und sich die Frage stellt, was er alles nicht von seinem Partner weiß. „Wir haben keinen Kontakt mehr“ ist eine dichte, raffiniert konzipierte und kurzweilige Geschichte, eine Empfehlung.

mehr Buch:

Aktuell: