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Mikael Torfason

Stroux Edition

Mikael Torfason und seine isländische Familiensaga

Mikael Torfason ist einer der wichtigsten zeitgenössischen Schriftsteller Islands, aktuell werden seine Stücke am Wiener Burgtheater inszeniert. Sein letztes Buch „Die Fallenden“ ist der zweite Teil seiner autobiographischen Romantriologie und handelt vom Tod seines Vaters.

Von Lisa Schneider

Jedem Land seine Klischees. In Österreich wären das etwa Berge und Dirndl, in Island dann Geysire und Pferde. Und vermehrter Konsum sehr starken Alkohols. Für den isländischen Schriftsteller Mikael Torfason ist Letzteres aber kein Klischee, sondern Lebensrealität. Sein Vater hat sich im wahrsten Sinn zu Tode gesoffen. Davon, und von dessen bizarrem, schillernden Leben handelt sein neuester Roman.

„Die Fallenden“ ist der zweite Teil einer Romantriologie, die der mittlerweile 46-jährige Mikael Torfason soeben beendet hat. Der erste Band, „Lost In Paradise“, war in Island ein Bestseller - und wurde auch in viele weitere Sprachen übersetzt.

Alles, was eine Familie zerstören kann

Im ersten Teil seiner Triologie hat Mikael Torfason von seiner Kindheit erzählt. Vom Aufwachsen mit einer lebensbedrohlichen Darmkrankheit, die auch dadurch verschlimmert wird, als dass seine sehr jungen, sehr armen Eltern zu dem Zeitpunkt den Zeugen Jehovas angehören und Bluttransfusionen ablehnen.

Der religiöse Fanatismus seiner Eltern prägt Mikael Torfasons erste Lebensjahre, so wie später deren Scheidung. Während seine Mutter an immer stärkeren Depressionen leidet, wächst er, gemeinsam mit seinem älteren Bruder, beim Vater auf. Der wird schnell zum schweren Alkoholiker, der „mindestens einen Liter Wodka am Tag getrunken und sich zusätzlich an den Wochenenden besoffen hat“.

Die Fallenden" is about me trying to save my father’s life“, erzählt Mikael Torfason im FM4-Interview. Sein Vater wird nach Jahren schweren Trinkens, einem Entzug und einem Rückfall schließlich wegen Leberversagens ins Krankenhaus gebracht. Er wird kurze Zeit später sogar nach Schweden ausgeflogen, weil er dort auf eine Transplantation warten soll. Diese wird aber generell nur genehmigt, wenn der oder die Betroffene in den letzten sechs Monaten keinen Alkoholmissbrauch betrieben hat. Das trifft im Fall von Mikael Torfasons Vater nicht zu.

Cover "Die Fallenden" von Mikael Torfason

Stroux-Edition

„Die Fallenden“ von Mikael Torfason erscheint in einer deutschen Übersetzung von Tina Flecken bei Stroux Edition.

Auf der Suche nach dem Vater

Das Buch „Die Fallenden“ ist Momentaufnahme und Rückschau. Während Mikael Torfason seinen Vater nach Schweden begleitet und ihn teilweise im Krankenhaus selbst pflegt, unterhalten sie sich über die Familiengeschichte und die darin verkehrte Rollenverteilung: „Ich habe lange mit dem Gefühl gekämpft, dass ich für sie (Anm. meine Eltern) verantwortlich bin. Dieses Verantwortungsgefühl bezeichnet man auch als Co-Abhängigkeit, und die kann zu einem äußerst ungesunden Zustand führen.“

Mikael Torfason erzählt nüchtern von seiner Kindheit und wie sein Vater, dessen unstete Lebensart, Marotten, aber auch dessen rigorosen Talente sie geprägt haben: „He was a man larger than life, a very Peer Gyntian character“. Er habe immer versucht, ihn zu verstehen. Vielleicht, so schreibt er, ist dieses Buch ein neuer Versuch: „Ich habe oft zu meinem Vater aufgeschaut, ich habe ja keinen anderen. Ich habe ihn immer dafür bewundert, wie mutig und großzügig er ist. Wir sind beide extrem und voller Widersprüche, aber das muss kein Nachteil sein. Papa und ich haben nie halbe Sachen gemacht. Keiner von uns hat Angst, gegen den Strom zu schwimmen, und wir sind immer ein bisschen anders als andere.“

Oft ähnlich, aber nicht immer: „Ich bin Schriftsteller und meine Ideen landen meistens in einem Buch oder Theaterstück. Das ist wohl der Unterschied zwischen Papa und mir. Ich wache nicht plötzlich in einer Sekte oder mit Leberzirrhose im Krankenhaus auf. Ich schreibe eher ein Buch darüber.“

Die Beschreibung als umtriebiger, unsteter aber doch irgendwie guter Peer Gynt hätte Mikael Torfasons Vater wohl gut gefallen: „Peer Gynth“ von Henrik Ibsen war das liebste Theaterstück des alkohol- und sexsüchtigen Lebemanns, der den ersten Unisex-Frisiersalon Islands eröffnet hat und dadurch reich wurde. Ein Rockstar seiner Zeit, der nebenbei auch die Schauspieler*innen fürs Nationaltheater in Reykjavik frisiert hat.

Die Leidenschaft seines Vaters zum Theater und vor allem zur Poesie hat Mikael Torfason anfangs in einem Akt der Rebellion abgelehnt, und später gänzlich übernommen.

Alles zu seiner Zeit

Mikael Torfason hat insgesamt schon sieben Romane veröffentlicht, einige davon wurden ausgezeichnet. Außerdem schreibt er Film- und Theaterdrehbücher und war Chefredakteur der größten Isländischen Zeitung. Er ist froh darüber, dass er diese sehr persönliche Geschichte erst jetzt geschrieben hat:

It has been very dramatic events, living with a crazy mother and an alcoholic father. But I’m very lucky to have written about it when I had the maturity not just to be angry about them. And it might sound strange, but you also need a certain humour about it all. It’s also hilarious, although it’s serious.

Hilarious und vor allem situationskomisch ist es etwa, wenn Mikael Torfasons Vater - gerade trocken - auf Mundspülung als Ersatzdroge umnsteigt. Und in einer Szene gut zwanzig Fläschchen im Handgepäck von London nach Island schmuggelt.

Der letzte Teil der Romantriologie

Auf die Frage, wie seine Mutter auf die beiden Bücher reagiert hat, antwortet Mikael Torfason: „It’s a very working class thing, I guess: We are not ashamed. My mother does not feel ashamed.“ Mehr noch, sie hat ihn beim Schreiben unterstützt - und beim Nacherzählen ihres oft schwierigen Lebens nichts zurückgehalten. Erst sehr spät ist bei ihr eine bipolare Störung diagnostiziert worden:

„Als sie versuchte, sich umzubringen, hatte sie fast fünf Wochen mit Depressionen im Bett gelegen. Sie dachte, der Tag der Abrechnung sei gekommen. Sie war vierundsechzig, und keiner liebte sie, davon war sie überzeugt. Dabei war es sie selbst, die sich nicht mehr liebte. Sie glaubte, sie habe zu viele Fehler im Leben gemacht und nichts Gutes verdient.“

Der dritte, letzte Teil von Mikael Torfasons autobiographischer Triologie ist ihr gewidmet und wird „A letter to my Mom“, auf Deutsch „Ein Brief an meine Mutter“ heißen.

„Edda“ und „Peer Gynt“ am Burgtheater Wien

Aktuell lebt Mikael Torfason in Wien. Am Burgtheater hat Mitte Oktober seine mit dem ebenfalls isländischen Regisseur Thorleifur Örn Arnasson erarbeitete Neuinszenierung der „Edda“ Premiere gefeiert. Ursprünglich als Auftragswerk für das Staatstheater Hannover geschrieben, wurde das Stück 2018 mit dem Theaterpreis „Der Faust“ ausgezeichnet.

2020, wenn Mikael Torfasons Romantriologie fertiggestellt und vielleicht auch schon auf Deutsch erschienen ist, wird sich ebenfalls in Wien, erneut am Burgtheater, ein Kreis schließen: Mikael Torfason inszeniert ab April 2020 einmal mehr mit Thorleifur Örn Arnasson eine Neufassung von Ibsens „Peer Gynt“.

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