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Cigarettes After Sex

Ebru Yildiz

fm4 artist of the week

Cigarettes After Sex und ihr neues Album „Cry“

Gute Liebeslieder müssen traurig und dürfen prätentiös sein. Die Ambient-Popband Cigarettes After Sex weiß das, und setzt ihre Erfolgsgeschichte mit dem zweiten Album „Cry“ nahtlos fort. Unser FM4 Artist Of The Week.

Von Lisa Schneider

Die Wörter „Everything is wrong, but it’s alright“ flackern in Form eines Postings vor einigen Tagen über den Bildschirm. Die Band Cigarettes After Sex hat bis zum 25. Oktober, Releasetag ihres zweiten Albums „Cry“, mit Textauszügen neuer Songs auf Social Media geteast. Alles ist falsch, aber das ist okay. Eine Bandphilosophie.

Vielleicht mag es daran liegen, dass Cigarettes After Sex in ihren späten Dreißigern angekommen sind, vielleicht haben sie der „overnight success“ vor wenigen Jahren und die anschließenden Welttourneen demütig, aber auch irgendwie immun gegen all den Erfolg gemacht. Beides ist in Ordnung.

Zur richtigen Zeit am ...

Acht Jahre lang werkt Mastermind Greg Gonzalez an seinen Songs, vornehmlich im Stiegenhaus der University of Texas, an der der ursprünglich aus El Paso stammende Musiker zu diesem Zeitpunkt noch eingeschrieben ist. Der Klang da war einfach besser. Cigarettes After Sex ist per definitionem halb Soloprojekt, halb Band, jedenfalls in changierender Formation beständig seit 2008.

Mit „Nothing’s gonna hurt you baby“, einem feinen, schnurrenden Pop-Noir-Stück, gelingt das, worauf Bands heute hoffen müssen: der virale Durchbruch. Millionen, Milliarden Streams folgen. 2017 erscheint, nach weiteren Singles, das tatsächlich sehnlich erwartete Debütalbum. Die Fanbase, die sich die damals nach New York gezogenen Cigarettes After Sex bis dahin schon erspielt hat, gleicht in seiner Größe ebenfalls einem kleinen Wunder.

Der Siegeszug geht weiter. The Guardian, Pitchfork und Co erheben das selbstbetitelte Debütalbum voll verwaschener Slowcore-Songs, hervorragender Melodien und der guten, alten Langsamkeit in die Liste der „besten Alben 2017“. Die Welt wird bespielt, auch wenn sich erst im Live-Auftritt das eigentliche Problem einer Band wie Cigarettes After Sex eröffnet: Wie transportiert man Musik, die doch so offensichtlich für das Zusammensein zweier Menschen geschrieben wurde, live, in einer großen Halle? Wo niemand die Klappe hält, alle ihr Bier verschütten und immer dieser eine Mensch mit dem größten Smartphone genau vor der eigenen Nase steht?

Die aktuelle Tourplanung hat, im Zuge der anstehenden Österreich-Gigs zumindest, genau dafür eine elegante Lösung gefunden. Aber dazu später.

Nimm dich ernst

Wenn irgendwie möglich, sind Cigarettes After Sex noch weicher, noch langsamer geworden. Allein die Liste der Songtitel bestätigt die These: „Kiss it off me“, wird hier gefleht, oder gehuldigt mit „You’re the only good thing in my life“.

Ernst, erdig. Manchmal auch kitschig. Weil eben so ernst und erdig. Selbstironie verkauft sich gut in der zeitgenössischen Popwelt, es ist umso interessanter, dass Cigarettes After Sex mit genau dem Gegenteil so erfolgreich sind. Hier wird nicht mehr gewitzelt, was auch schon am vorigen Album kaum, aber doch vorgekommen ist. Ein bestes Beispiel ist der Song „Young and dumb“ mit Zeilen wie: „Well, I know full well that you are / The patron saint of sucking cock“. Allein wenn Greg Gonzalez diesen Song live, wie immer gänzlich in schwarz gekleidet und mit geschlossenen Augen singt, muss man sich zwar anstrengen, aber man kann erkennen, dass er sich zumindest nicht immer zu hundert Prozent ernst nimmt.

Cigarettes After Sex: Greg Gonzalez, Jacob Tomsky und Randall Miller

Ebru Yildiz

Von links nach rechts: Greg Gonzalez, Jacob Tomsky und Randall Miller

„When I hold you close to me / I could always see a house by the ocean“ lauten die ersten Zeilen der aktuellen Single „Falling In Love“. Mit ihnen, Greg Gonzalez und seinen beiden nun schon längeren Wegbegleitern Jacob „Jake“ Tomsky und Randall Miller stehen wir am Strand, genauer gesagt am Strand von Mallorca. Dorthin hat sich die Band ganz knapp nach Veröffentlichung ihres Debütalbums zurückgezogen, um die Gunst und Inspiration zu nutzen und gleich weiter zu schreiben.

In einem fantastischen Haus, halb antik, halb futuristisch. Und dort, legend has it, sind dort in romantischen Late-Night-Sessions die Grundgerüste der neuen Songs entstanden. Eine gute Band will auch gut vermarktet sein.

Neun Songs machen das neue Album aus, sie sind klanglich die logische Fortsetzung des ersten. Und sie sind einmal mehr in sich selbst geschlossen: „Cry“ ist ein Sog, bei dem sich die Einzelteile oft nicht auseinander dividieren lassen. Es liegt an der Kunstfertigkeit des Songwritings, dass sie trotz Ähnlichkeit nicht langweilig klingen.

Geschichtenfetzen und Bauchkribbeln

Greg Gonzalez lockt mit seiner seltsamen, aber auch seltsam guten, androgynen Stimme hinein in die dunkle, aber friedliche Höhle, die seine Musik ist: „When I was young I thought the world of you / You were all that I wanted then“.

Cover "Crush" von Cigarettes After Sex

Partisan

„Cry“ von Cigarettes After Sex erscheint via Partisan Records.

Der Einstieg ins Album mit der Single „Don’t Let Me Go“ ist ein Rückblick. Er schmerzt noch, der kurze Blick über die Schulter, und gleichzeitig ist klar, hier kann etwas Neues beginnen. Cigarettes After Sex schreiben Songs über die Liebe und ihre zyklische Natur. Und sie tun es wie immer langsam: Randdetails sind wichtiger als die fortlaufende Erzählung, es geht um kleine, oft alltägliche Szenen. So wie der Blick aus dem Fenster, der das Albumcover ziert. Man muss das ganze Bild nicht sehen, um die Geschichte zu verstehen.

Greg Gonzalez’ Texte sind sein Leben und umgekehrt. Er hat sich hörbar an Leonard Cohen abgearbeitet, genauso wie am alten Großmeister, was Liebesdinge und Popsongs angeht, Serge Gainsbourg. Und doch ist „Cry“ noch eine Spur subtiler geworden. Explizit wird es inhaltlich nur an manchen Stellen, wie etwa im Song „Pure“: „Wrapped your hair in a towel, but I watch you let it down / & it’s all soaking wet as you take me in your mouth“.

In Greg Gonzalez’ Texten schwingt nach wie vor eine verwirrende, teils auch verstörende Naivität mit. Noch dazu, weil bei Cigarettes After Sex dem Genre eigentlich entgegenlaufend die Stimme nicht tief im Mix versteckt ist. Dass es an manchen Stellen auf diesem Album umgekehrt besser wäre, schmälert zumindest nicht die einmal mehr großartigen Melodien.

Der Höhepunkt ist der Song „Heavenly“. Vor allem dann, wenn sich die Zeilen im Refrain zu einem Stoßgebet, einem enervierten Mantra wiederholen: „I’m giving you all my / giving you all my / giving you all my love“. Ein perfektes Liebeslied ganz im Zeichen der eigenen Aufopferung. Es tut weh, aber es tut auch gut.

Live in Wien

Cigarettes After Sex sind aktuell auf Tour und werden an gleich zwei aufeinanderfolgenden Tagen live in Wien zu sehen sein: am 18. und 19. November in der Arena Wien. Das ist nämlich die Live-Lösung, die der Band zugute kommt: lieber an zwei Abenden mit Hunderten, hingebungsvollen Konzertbesucher*innen, als einmal in einer großen Industriehalle, die der Intimität dieser Art von Musik niemals gerecht werden könnte.

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