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Die Rückkehr der „Killerspiel-Debatte“

Nach dem Anschlag von Halle, hat der deutsche Innenminister dazu aufgerufen, die Gamer-Szene im Blick zu behalten. Gamer*innen reagieren empört und sarkastisch. Doch die Thematik ist komplexer, als es diese Debatte vermuten lässt.

Von David Riegler

Die Debatte um gewaltvolle Videospiele ist so alt wie Gaming selbst. Schon Anfang der 1980er Jahre gab es Kritik an den damals neuen Spielautomaten, zum Beispiel „Space Invaders“ in dem man auf pixelige Aliens schießt.

Der Begriff „Killerspiel“ wird geboren

Im deutschsprachigen Raum hat der CSU-Politiker Günther Beckstein den Begriff „Killerspiel“ Ende der 90er Jahre geprägt. Mit diesem Begriff bezeichnet er Videospiele, die Gewalt beinhalten, allen voran Ego-Shooter. Er forderte 2006, dass Vertrieb, Herstellung und Kauf solcher Spiele mit einem Jahr Haft bestraft werden.

17 Jahre später flammt die Debatte von damals wieder auf. Am 09.Oktober versucht ein bewaffneter Mann in eine Synagoge in Halle, Sachsen-Anhalt einzudringen. Er schafft es zwar nicht in das Gotteshaus, tötet aber zwei Menschen in unmittelbarer Nähe zur Synagoge.

Die 36 Minuten des Angriffs streamt der Attentäter live auf der Streaming-Plattform Twitch. In dem 36-Minuten-Clip leugnet er den Holocaust, lässt frauen- und ausländerfeindliche Aussagen los und bezeichnet sich selbst als „Loser“. Er wechselt dabei zwischen Deutsch und gebrochenem Englisch hin und her.

Der Attentäter verwendet Gamer-Slang

„Hallo, mein Name ist Anon, und ich glaube, der Holocaust ist nie passiert.“ So leitet der Attentäter das Video ein. Anon ist ein Begriff, der oft in Internet-Foren wie 4Chan oder 8Chan verwendet wird. Dort werden oft gewalttätige und rechtsextreme Inhalte geteilt wegen der schwachen Moderationsmaßnahmen. Rechtsextreme nutzen diese Foren um sich zu vernetzen.

In einem mutmaßlich echtem Bekennerschreiben verwendet er Begriffe, die man vor allem in der Gaming-Szene verwendet und setzt sich selbst Zwischenziele, sogenannte „Achievements“, in denen er beschreibt wie viele Opfer er bei seinem Angriff töten möchte.

In den Medien wurde schnell ein Zusammenhang zwischen dem Attentat und Videospielen hergestellt, mit Überschriften wie: „Er will wie in einem Spiel Punkte sammeln und gelobt werden“ oder „Er plante seine Taten wie Computerspiele“.

Doch nicht nur die Medien, sondern auch hochrangige Politiker*innen stellten eine Verbindung zwischen Videospielen und dem Attentat her. Der deutsche Innenminister Horst Seehofer ortet das Problem innerhalb der Gamer Szene. In einem ARD-Interview sagt er: „Wir müssen die Gamer-Szene stärker in den Blick nehmen“.

Reflexartige Gegenwehr

Gamer*innen waren plötzlich im Mittelpunkt der Diskussion, ohne, dass überhaupt definiert wurde wer zu der sogenannten „Gamer-Szene“ dazugehört. Gaming ist nämlich kein Randphänomen mehr. Allein in Österreich gab es laut einer Studie im Jahr 2017, 4,9 Millionen Videospieler*innen.

Viele Menschen, die sich dem Gaming verbunden fühlen, sahen sich durch Seehofers Aussagen zu Unrecht verurteilt. Die Reaktionen reichten von Empörung bis Sarkasmus.

Die Debatte rund um gewaltvolle Inhalte in Videospielen läuft seit Jahren immer ähnlich ab und löst bei Gamer*innen massives Unverständnis für die Verurteilung ihrer Leidenschaft aus. Doch wer hat Recht in dieser Debatte? Was macht es mit uns Menschen, wenn wir virtuell auf andere Menschen schießen?

Was sagt die Forschung?

Dieser Frage hat sich Jörg Matthes in seiner Forschung gestellt. Er ist Professor am Institut für Publizistik und Kommunikationswissenschaften an der Universität Wien. Er sieht das Problem in der Debatte darin, dass sie sehr vereinfacht geführt wird mit falschen Logikketten:

„Es stimmt, dass viele Menschen Gewalttäter*innen auch tatsächlich gewalthaltige Spiele spielen. Aber das ist nicht notwendigerweise die Ursache, denn zum Beispiel essen auch viele Gewalttäter*innen gerne Pizza und sie werden aber nicht aufgrund der Pizza gewalttätiger.“

Der Zusammenhang scheint nur auf den ersten Blick logisch, denn aus wissenschaftlicher Sicht gibt es keine Hinweise darauf, dass Spiele Gewalttaten auslösen: „Daher ist die Trennung von Ursache und Wirkung hier die ganz entscheidende Frage und es greift zu kurz, das Computerspielen als Ursache für den Rechtsterrorismus auszumachen. Das entspricht auch nicht der wissenschaftlichen Befundlage.“

Gaming hat Auswirkungen

Auch wenn die Wissenschaft keinen Zusammenhang zwischen Games und Gewalttaten erkennen kann, eines wurde mehrfach bewiesen: Gewalthaltige Videospiele können zu einer erhöhten Aggression führen. Doch Aggression führt nicht automatisch zu Gewalttaten sagt Jörg Matthes: „Da reden wir jedoch nicht von einem terroristischen Anschlag. Wir reden von aggressiven Tendenzen, beispielweise im Umgang mit anderen Menschen gereizt zu sein.“

Was die Debatte schafft ist, dass sie eine komplexes Problem auf einen Faktor runterbricht. Eine derartig grausamen Tat zu verstehen ist auch für Forensiker*innen nur schwer möglich benötigt intensive Ermittlungen zur Psyche und zum Umfeld des Täters.

Laut Jörg Matthes wäre eine Debatte über Gewalt in Videospielen sehr wichtig, jedoch nicht wie sie derzeit geführt wird. „Natürlich neigt die Politik, gerade bei so einer schweren Tat oftmals dazu, eine einfache Lösung präsentieren zu wollen. Aber so einfach ist es nicht.“

Ein Verbot von gewalthaltigen Videospielen würde laut den wissenschaftlichen Erkenntnissen von Jörg Matthes nicht dazu führen, rechtsterroristischen Anschläge und Amokläufe zu verhindern.

Die Debatte könnte sinnvoll sein

Aber auch für Gamer*innen kann sich ein selbstkritischer und differenzierter Blick auf die Debatte lohnen, denn nur so kann man auf Probleme aufmerksam machen und Lösungen erarbeiten, anstatt fast 40 Jahre in derselben Position zu verharren. Einerseits muss man sich die Frage stellen, ob die Gaming-Szene ein Problem mit Rechtsextremismus hat? Andererseits muss man auf die eigene psychische Gesundheit achten, damit die nachgewiesene Aggressionssteigerung nicht zum Problem wird.

Eine Anlaufstelle für psychische Gesundheit bei Gamer*innen ist der Verein „Gamers Health“. Der Verein hat es sich zur Aufgabe gemacht, zu beraten und zu unterstützen, wenn beispielsweise die erhöhte Aggression eintritt. Einer der Vereinsgründer, Maximilian Anibas wird heute Abend auch im FM4 Spielekammerl sein und Fragen zu dem Thema „Gewalt in Videospielen“ beantworten. David Riegler und Robert Glashüttner werden die Fragen stellen und auch natürlich spielen, wie es in der FM4-Spielekammerl-Show üblich ist.

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