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Portraitfoto Band Viech

(c)Gerfried-Guggi

„Niemand wird sich erinnern, dass wir hier waren“ von Viech: Popmusik mit Mut zum Scheitern

Lieder über das Erwachsenwerden, das Scheitern, die Familie und natürlich über die Liebe. „Niemand wird sich erinnern, dass wir hier waren“ vom Grazer Trio Viech ist ein schlichtes, rohes und emotionales Lo-Fi-Pop-Meisterwerk.

Von Andreas Gstettner-Brugger

„Wo siehst du dich in 15 Jahren“?

Eine Frage, die Sänger und Songschreiber Paul Plut vom Trio Viech überhaupt nicht ausstehen kann. Deshalb stellt er sie uns gleich zu Beginn des Eröffnungssongs „FAQ“ der neuen Platte „Niemand wird sich erinnern, dass wir hier waren“. Sie passt thematisch eigentlich sehr gut zu den Themen des Albums, allerdings retrospektiv betrachtet, geht es doch viel um Reflexion und Betrachtungen des Lebens, wenn Paul uns fragt, ob wir denn einmal später wieder nachhause ziehen wollen, oder wer in einer Partnerschaft als erstes stirbt. Das Ganze findet jedoch nicht auf einer abgehobenen Meta-Ebene statt, denn nach den recht existenziellen Fragen biegen gleich ganz banale, alltägliche um die Ecke, wie „Warum stimmt das Passwort nicht?“ oder „Trinkst du Kaffee vor dem Schlafengehen?“ Dazu glitzern die Akkorde der Vibrato-Gitarren und der sanfte Rhythmus lädt uns ein, innezuhalten und selbst über all diese Fragen nachzudenken.

Genau dieser Spannungsraum zwischen den großen, emotionalen Momenten des Lebens und den alltäglichen Augenblicken füllen Christoph Lederhilger (Schlagzeug), Martina Stranger (Bass) und Paul Plut mit wundervollen, rohen, reduzierten und zerbrechlichen Popsongs.

Ein Album der Überwindung

Es sind jetzt fünf Alben, die die Band Viech mit wechselndem Line-Up in den letzten acht Jahren veröffentlicht haben. Vom hymnischen Indie-Pop über rockigen Disco bis zu schlichten Singer/Songwriter-Liedern haben Paul Plut und seine Musiker*innen musikalisch schon viele Wandlungen durchgemacht. Mit „Niemand wird sich erinnern, dass wir hier waren“ sind sie nun bis zum Kern ihrer muskalischen und textlichen Seele vorgedrungen.

Denn nicht zuletzt ist es - wie der Titelsong darlegt - ein Album über Vergänglichkeit. Ein Hauch von Melancholie durchzieht die meisten Songs, aber nie Verbitterung, Verzweiflung oder große Trauer, denn für Paul liegt in der Vergänglichkeit aller Dinge und Gefühle auch ein sehr großer Trost, nicht immer das Größte und Beste machen und aufrecht erhalten zu müssen. Das handelt er mit jener Geschichte ab, als er in einem Familienurlaub in Lignano die erste Liebe große Liebe kennengelernt hat, mit der er Hand in Hand durch die Straßen gegangen ist.

Albumcover "Niemand wird sich erinnern, dass wir hier waren" vom Grazer Trio Viech

Viech

Paul: „In dem Moment habe ich gedacht: Das ist der großartigste Moment in meinem Leben. Daran werde ich mich immer erinnern. Und zehn Jahre später weiß ich nicht mal mehr den Namen der Person, in die ich damals verliebt war.“

„Niemand wird sich erinnern, dass wir hier waren“ ist allerdings kein Album, mit dem Paul zurückschaut, sondern ein Album, für das sich der sympathische und ruhige Songschreiber überwinden hat müssen. Gleich auf mehreren Ebenen. Paul versteckt sich nämlich nicht mehr hinter Metaphern oder assoziativen Bildern, mit denen er bisher seine Texte gespickt hat. Die Songs sind ein Versuch, sich zu trauen die Dinge auszudrücken, die einem am Herzen liegen. So ist der Song „Lieb dich (tun nur so)“ jener, an dem die Band am meisten gearbeitet hat, obwohl der Text lediglich aus acht Zeilen besteht. Es hat viel Überwindung gekostet, „ich lieb dich“ in ein Lied zu verpacken und das Gefühl und die Zweifel auszuhalten, zu banal oder zu wenig eloquent und intellektuell zu sein. Daher erklärt sich der Zusatz in Klammer „(tu nur so)“ wie Paul schmunzelnd meint, der die große Bedeutung dieses Satzes und Gefühls gleich wieder ein bisschen abschwächt.

Popmusik ist für uns alle da

„Niemand kann sich erinnern, dass wir hier waren“ von Viech ist eines der besten Alben aus Österreich dieses Jahr. Das liegt daran, dass die schlichten, manchmal alltäglichen, manchmal sehr emotionalen Momente, die Paul beschreibt, auch wir in unserem Leben schon einmal erlebt haben. Das vielleicht traurigste Stück der Platte „Manchmal ist alles an mir falsch“ beschreibt so ein Gefühl, das man in der Adoleszenz wahrscheinlich öfter in sich getragen hat.

Tipp:

Eine Listening Session durch das neue Viech Album kannst du an unserem Soundpark Geburtstag am 26.10. am Nachmittag hören.

Auch das Herzstück des Albums, „Das ging schnell“ geht einem nahe. Es ist der „perfekte“ Soundtrack zum Erwachsenwerden, beschreibt er doch die kleinen und großen Momente einer wichtigen Lebensphase, mit denen man sich sofort identifizieren kann. Egal ob es das Fußballspielen beim Kindergeburtstag hinter dem Haus ist, bis die Sonne untergeht, oder die Verarbeitung des Liebeskummers, in dem man sich eine Zigarette nach der anderen anzündet. Oder das Spüren der Orientierungslosigkeit, wenn man umzieht und einen Job sucht. Bis hin zum großen Schritt der Kündigung in Richtung Unabhängigkeit.

Durch ihre sehr ehrliche Art und ohne gekünstelte Konstruktion schaffen es Viech, diese persönlichen Erinnerungen zu emotionalen Allgemeinplätzen zu machen

Paul: „Mein Ziel ist nicht, meine Biographie darzulegen in einem Popsong, sondern vielmehr eine Form von Empathie freizulegen. Popmusik ist für uns alle da und dafür, dass wir uns gemeinsam zu verstehen.“

Mut zum Scheitern

Musikalisch sind diese Lebensschnappschüsse mit knöchernem Sound und berührendem Spiel umgesetzt, in dem es scheppern und knartzen und man die kleinen Ungenauigkeiten heraushören darf. Auch hier bedurfte es für Paul Überwindung, diese „Fehler“ zuzulassen und auf dem Album zu verewigen.

Portraitfoto Band Viech

(c)Gerfried-Guggi

Und genau das transportiert die Gefühle, mit denen wir uns alle identifizieren können: Wir sind nicht perfekt, wir machen Fehler und sind trotzdem liebenswert. So haben Songs und Künstler*innen für dieses Album Pate gestanden, die mit ihrer Musik eine ähnliche Atmosphäre schaffen.

Paul: „Ein Song, an den ich oft denken hab müssen ist Sad Professor von R.E.M. Ich weiß nicht warum, aber wenn ich diesen Song höre, dann komme ich gleich in diese melancholisch-optimistische Stimmung, die für mich im ganzen Album steckt. Andere inspirierende Künstler für uns waren Fleedwood Mac, P.J. Harvey oder auch der kürzlich verstorbene Daniel Johnston, der sehr viel von dieser Naivität und gleichzeitig Offenheit in seiner Musik hat, die wir auch rüberbringen wollten.“

Allerdings wird das Scheitern nicht immer nachdenklich oder melancholisch zelebriert. Einer der ersten Songs, bei denen Paul den Mut aufgebracht hat, ganz direkt und klar vom Scheitern zu singen, ist „Sag Ja (ich bin ruiniert)“. Ein humorvolles Gegenstück zu Barack Obamas „Yes we can“, wo sich im Spiegel die Altersfalten auf der Stirn zeigen, wo früher Haare waren.

Jeder der fünfzehn Songs auf dem neuen Viech-Album ist etwas ganz besonderes und verhandelt eine bestimmte Gefühlswelt. Wie das sanfte und einnehmende „Da kommen wir zwei“, das sich um Familie, Verlust und Sehnsucht dreht. Oder „Die Party ist vorbei“, ein Lied über die Einsicht, nicht immer überall dabei sein zu müssen und sich nicht dem inneren Druck zu beugen der bei dem Gefühl entsteht, etwas zu verpassen. Und bei „1989“, dem Geburtsjahr von Schlagzeuger Christoph, der auch viele Texte mitgeschrieben hat, entschließen sich Viech zu beschwingtem und doch melancholischem Groove, Ideen und Konzepte loszulassen, nicht mehr auf die Suche zu gehen, sondern mit dem zufrieden zu sein, was gerade ist.

Viech live:

  • 10.12. Wien, Konzerthaus (Album-Release)
  • 31.01. Hard, Kammgarn

„Niemand wird sich erinnern, dass wir hier waren“ ist sowohl textlich als auch musikalisch ein ungeschminktes Album und eine zutiefst ehrliche Bestandsaufnahme des Lebens. Es ist ein mutiges Album, nicht nur seinen Gefühlen Ausdruck zu verleihen, sondern auch zu reflektieren und die innersten Bedürfnisse aufzuspüren, die wir alle zu oft im Alltag hintenanstellen. Gleichzeitig zelebrieren Viech die schönsten Momente, von denen wir uns wünschen, sie würden ewig dauern. Der subtile Witz und das „sich selbst nicht immer allzu ernst nehmen“ verleihen den Songs die nötige Leichtigkeit, um die Gefühle zu betrachten, die sie in uns auslösen. Das ist alles, was ein gutes Popalbum braucht.

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