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25.10.19 FM4 Schnitzelbeats

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FM4 Schnitzelbeats

FM4 Schnitzelbeats- The Great „Austropop“ Swindle

Eine Kulturnation in der Reflexion ihrer Popgeschichte, heute: Der große „Austropop“-Schwindel.

Von Al Bird Sputnik

Lokale Färbungen des Zungenschlags, sogenannte „Idiome“ und „Dialekte“ gibt es in der Popmusik, seit es Popmusik gibt. Zugegeben, man muss die schillerndsten Artefakte in der österreichischen Musikgeschichte schon suchen, um sie zu finden. Aber es gibt sie, wie sich etwa am Beispiel alter und uralter Tonaufnahmen aus der Nachkriegszeit schön veranschaulichen lässt.

FM4 Schnitzelbeats - The Great „Austropop“ Swindle ist am 26.10.2019 ab 18:00 auf Radio FM4 und im FM4 Player zu hören.

Für die heutige Sendung haben wir beispielsweise eine Schellack-Veröffentlichung aus dem Jahr 1949 geborgen, auf der sich der Wienerlied-Sänger und Comedian Sepp Fellner in überschwänglicher Auseinandersetzung mit der Welt – und unter alkoholinduzierter Bewusstseinstrübung – verewigt hat: „A Rumba aus Grinzing“ (umseitig: „In Kritzendorf“), u.a. mit der originellen Textzeile: „Meiner Seel’, heit bin I bedient und mi draht’s wia a Blattl im Wind“.

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Ja, ein Song aus dem Jahr 1949 – und dennoch sind hier bereits alle wesentlichen Ingredienzen von „eigenständigem österreichischem Pop“ (vgl. „Dialektwelle“; vgl. „Austropop“) vertreten: Zeitgemäße Unterhaltungsmusik, die sich diskursiv an internationalen Strömungen orientiert – hier: lateinamerikanische Rhythmik, eine Rumba – trifft auf lokale Mundart mit „identitätsstiftender“ Funktion – hier: Wienerisch. Die Positionierung als urig-österreichisch, aber dennoch tanzbar-lateinamerikanisch ist ein Brückenschlag zwischen entfernten Welten. Eine schillernde Phantasmagorie, die manch Genre-Kenner als Austro-Exotika definieren würden.

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Dialekt goes Pop: Eine wirkungsvolle Rezeptur, die in der Nachkriegszeit immer wieder zur Anwendung kam. Auch, wenn das große mediale Echo häufig ausblieb. In dieser Tradition steht ebenso das nächste Ton-Beispiel aus heimischen Archiven: „Blue-Jean-Jack aus Meidling“, eine Rebellen-Hymne vom Jazz-Parodisten und langjährigen 3 Lausbuben-Komiker Dolf Kauer. Der Song aus dem Jahr 1962 ist hartgesottener Rock-N-Roll mit Lyrics in breitestem Wienerisch und stellt ein rares Zeitdokument dar, das das Narrativ österreichischer Musikgeschichte um eine wichtige Facette erweitert: „Vielleicht bin i a nur so außen, a guader Kern steckt in mir drin. Von heut auf morgen kann i’s ned ändern, weil i der Blue-Jean-Jackie bin.“ Ein Highlight des Schnitzelbeat, das in der 7“-Originalfassung heutzutage nur mit viel Glück zu finden ist. Weiterführende Infos zum Song finden sich in einer früheren Ausgabe dieser Sendereihe.

Während Pionierleistungen wie „Rumba aus Grinzing“ und „Blue-Jean-Jack aus Meidling“ allmählich wieder in Vergessenheit gerieten, erreichte der Dialekt dann irgendwann auch den Mainstream – und blieb. Erfinderische Redakteure des Jugend-Radiosenders Ö3 legten der Wiener Folk-Band The Worried Men Skiffle Group im Zeitraum 1968/69 experimentelle Mundart-Gedichte der Wiener Gruppe vor, sogenannte „konkrete Poesie“ von Sprach-Erneuerern wie HC Artmannn, Gerhard Rühm oder Fritz Achleitner. Frei nach dem Motto: „Schaut’s mal, ob ihr daraus was machen könnt’s!“ Und die Band konnte. Die auf diesem Wege entstandenen Neuvertonungen der Worried Men Skiffle Group waren bei den Ö3-HörerInnen dann derartig beliebt, dass die Telefone heißliefen, die Songs landeten auf den vordersten Plätzen der Radio-Hitparade und auch Schallplattenauskopplungen mussten rasch produziert werden. Kurzum: Ein Riesenerfolg. Zum ersten großen Hit der Worried Men avancierte damals die Nummer „Glaubst I bin bled?“ (1970) mit einer Textdichtung des viel-zu-früh-verstorbenen Dichter-Dandys Konrad Bayer.

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Ariola

Das Jahr 1970: Mundart in der österreichischen Popmusik wurde zum medialen Großereignis. Einen bedeutenden Beitrag zum Hype leistete zudem die Cabaret- und Rundfunk-Legende Gerhard Bronner mit seiner satirischen Hauptabend-TV-Sendung „Die große Glocke“. In dieser reichweitenstarken Show schickte er eine, bis dato nur Insidern bekannte Jazz-Chanteuse mit dem Wienerischen Souljazz-Kracher „Wie a Glock’n“ auf die Bühne. Die 24-jährige Marianne Mendt brachte die Dialektwelle in die Wohnzimmer des Landes – und wurde zum Gesicht einer neuen österreichischen Popmusik.

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EMI Columbia

Die „Dialektwelle“ entwickelte sich Anfang der 70er-Jahre zur Verjüngungskur der heimischen Musikindustrie und katapultierte etliche junge Talente vom Proberaum ins große Rampenlicht: The Madcaps, The Malformation, One Family, Heinrich Walcher, Georg Danzer, Wolfgang Ambros, ... und einige Zeit ging die Sache tatsächlich gut. Der Terminus „Austropop“ geisterte erstmals Mitte der 1970er-Jahre durch die österreichischen Medien, als hiesige Majorlabels ihre hauseigenen Archive in Form von Hit-Zusammenstellungen ausschlachteten.

Musik der aktuellen Ausgabe:
ANTON KARAS- The Harry Lime Theme (1949)
SEPP FELLNER- Rumba aus Grinzing (1949)
DOLF KAUER & THE CHARLY-COMBO- Blue-Jean-Jack (1962)
THE WORRIED MEN SKIFFLE GROUP- Glaubst I bin bled (1970)
MARIANNE MENDT- A Glock’n, die 24 Stunden läut’(1970)
W. AMBROS- G’söchta (1975)

Veröffentlichungen mit aussagekräftigen Titeln wie „The Austro Pop Story“ (Atom/1974), „Austro Popshop“ (CBS/1975) oder „Austro Pop `75“ (Atom/1975) waren Resultat dieser spitzfindigen Werbekampagne, die die Kassen im Weihnachtsgeschäft 1974/75 klingeln ließ. Der sogenannte „Austropop“ war ein Genre ohne Geschichte, ohne echte musikalische Ausrichtung und ohne subkulturelles Fundament. Ein Pseudo-Genre, das einzig und allein kommerziellen Attributen huldigte, an dem sich allerings noch eine Vielzahl kommender KünstlerInnen in Österreich würden abarbeiten müssen. Ein gutes Stichwort übrigens für die zornige Schlussnummer der heutigen „Schnitzelbeats“: Wolfgang Ambros mit „G’söchta“. Happy Nationalfeiertag Everyone!

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