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Iris Productions

Viennale Tagebuch: Von Cleverness zu Pathos

Wenn zwischen einer Diversity-Komödie wie „Booksmart“ und dem Poesie-Overkill des neuen Terrence Malick Films „A Hidden Life“ bloß eine kurze Drängelei im Foyer liegt.

Von Christian Fuchs

Film-Kritiker*innen sind ja ein verwöhnter Haufen. Während die meisten Menschen einen Kinobesuch mit relativ teuren Eintrittspreisen und einer Kassa-Schlange verbinden, im schlimmsten Fall auch mit raschelnden Chips-Packerln und aufleuchtenden Handy-Displays auf den Nebensitzen, genießen wir morgendlichen Luxus.

Um 9.30 Uhr findet sich an manchen Wochentagen ein kleines Grüppchen in einem erstklassigen Wiener Kino zur Pressevorführung ein. Wird ein neuer Marvel-Film oder gar ein „Star Wars“ Sequel gespielt, kann sich die Menge der Anwesenden schon mal vervielfachen. Ansonsten herrschen viel Platzfreiheit und ungestörte Konzentration auf die Leinwand. Während der Sound eines Blockbusters schon mal brachial aus IMAX-Boxen in den Saal donnert, wird im Zuschauerraum nicht einmal geflüstert.

Man kann eine derartige Zurückgeworfenheit auf den Film auch unangenehm empfinden. Vor allem wenn man Kinobesuche in Cliquen gewohnt ist, wo das soziale Erlebnis mehr zählt als alles Andere. Mich erinnert das isolierte Seherlebnis dagegen im besten Sinn an meine Kindheit und Jugend. Unmengen an Zeit habe ich damals alleine im kleinen steirischen Provinzkino verbracht. Einsam fühlte ich mich dabei nie.

Gartenbaukino

APA/HANS PUNZ

Oase des Easy Going Kinos

Warum ich euch mit so einer langen persönlichen Einleitung hier langweile, während ihr doch nur heiße Viennale-News lesen wollt? Weil Kritiker*innen, aber vor allem auch Cinephile aller Altersgruppen und Geschlechter, manchmal zugegeben soziophobe Ansätze haben. Und weil Österreichs zentrales Filmfestival an diesem Punkt alljährlich zur Herausforderung wird. Nichts symbolisiert für mich die Viennale so sehr wie das brechend volle Foyer des Gartenbaukinos, diese wogende Welle an Besucher*innen, die einen manchmal auch mitspült.

Gleichzeitig ist das Gedränge am ersten offiziellen Festival-Tag diesmal durchaus verständlich. Läuft doch mit „Booksmart“ zur Prime-Time ein leicht konsumierbarer amerikanischer Konsens-Indie-Film, wie er früher öfter im Festivalprogramm zu finden war. Inmitten der recht strengen heurigen Auswahl von Viennale-Direktorin Eva Sangiorgi, für die man definitiv einen kunstaffinen Blick braucht, sind solche Oasen des Easy Going selten.

Dabei ist es die leidenschaftliche Leiterin selbst, die im Katalog ein glühendes Plädoyer für das Regie-Debüt der Schauspielerin Olivia Wilde hält. Sangiorgi feiert „Booksmart“ als „coming-out and coming-of-age story surprising for its irony and irreverence. How refreshing it is to find two girls as protagonists, talking freely about their sexuality at the very moment when they’re maturing individually and socially.“

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Annapurna Pictures

Weibliche Odyssee durch die Party-Welt

Diesem Lob kann man auf den ersten Blick wenig entgegensetzen. Die Geschichte zweier Musterschülerinnen (Kaitlyn Dever und die fantastische Beanie Feldstein), die in einer Nacht alle Exzesse nachholen wollen, die sie während ihrer High-School-Laufbahn verpassten, präsentiert sich als offensives feminines Gegenstück zu Testosteron-Orgien à la „Superbad“.

„Booksmart“ verfällt dabei nicht dem Fehler, ein weibliches Pendant zur Party-Derbheit der Buben-Streifen müsse zurückhaltender, sensibler oder entschieden weniger raunchy sein. Wenn Molly und Amy auf ihrer Odyssee durch die Teenage-Party-Welt die eigene Disziplin und Kultiviertheit ad acta legen, reihen sich einschlägige Alkohol-, Sex- und Drogen-Erfahrungen aneinander. Olivia Wilde hat zusätzlich einige echt gute Witze parat, was den Film in der aktuellen Comedy-Wüste im Kino herausstechen lässt.

Auf den zweiten Blick leidet „Booksmart“ aber auch ein wenig an der eigenen Smartness. Denn trotz aller Peinlichkeiten, die den beiden Protagonistinnen widerfahren, flackert die echte Grausamkeit, die emotionale Zerrissenheit, die zu den besten Teenage-Klamauk-Filmen gehört, nie wirklich auf. Der Film spielt in einem poshen Vorort von Los Angeles, in dem der reaktionäre Backlash der Trump-Ära nie stattgefunden hat. Hier, in diesem Utopia aus Slackern und Strebern, sind alle Diskussionen rund um Gender und Hautfarben kein Thema mehr, sogar die gestörten Söhne reaktionärer Millionärs-Familien haben noch liebenswürdige Seiten, alles ist bunt und befreit.

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Polyfilm

Wenn man, wie der Schreiber dieser Zeilen, gerade die unglaubliche Serie „Euphoria“ schaut, die das exakt gleiche kalifornische Upperclass-Milieu als reines Horror-Szenario zeigt, bleibt Verwirrung zurück. In den formal berauschend inszenierten HBO-Episoden wimmelt es vor harten Drogen, Mobbing-Gewalt, männlichen Vergewaltigern und einem fatal verkorksten Umgang mit Handys, Porno-Websiten und dem Bankkonto der (noch schlimmeren) Eltern.

In „Booksmart“ ahnt man all diese und andere Bedrohungen nicht. Weit weg auch von der Melancholie und Weisheit von „Ladybird“ oder der bittersüßen Euphorie mancher Greta-Gerwig-Streifen wirkt Olivia Wildes zuckerlfarbene Beschwörung sämtlicher Diversity-Errungenschaften manchmal beinahe wie die ach-so-unschuldigen Komödien der 50er-Golden-Hollywood-Ära. Trotz Youporn-Scherzchen. Sehr unterhaltsam und flott inszeniert ist der Film aber natürlich schon.

Poetisches Kriegsverweigerer-Drama

Wenn man ehrlich ist, haben auch die Filme von Terrence Malick genauso wenig mit dem echten Leben zu tun wie „Booksmart“. „A Hidden Life“, das neueste Werk des umstrittenen US-Regie-Altmeisters, ist etwa in einem Fantasie-Österreich Anfang 1940 angesiedelt, in dem der überbordende Kitsch von „Sound of Music“ nur eine idyllische Alm weit entfernt ist.

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Iris Productions

Ironie ist aber auch am weiten Horizont nicht in Sicht, Pathos dafür omnipräsent. Der Kontrast zwischen der inklusiven Highschool-Gaudi und dem poetischen Kriegsverweigerer-Drama könnte nicht größer sein. Und ich wünsche mir ausnahmsweise eine längere Wartezeit im Foyer, um einen Schalter im Kopf umzulegen. Aber it’s Viennale-Time und von starken Kontrasten zehrt das Festival ja auch.

Also für die nächsten drei Stunden im Gartenbau-Sessel versinken. Es ist vielleicht nicht unwichtig anzumerken, wie sehr ich mich auf diesen Film gefreut habe. Alles das, was viele Kritiker und Kinobesucher in der letzten Dekade an Terrence Malick verstört, das liebe ich: Der radikale Bruch mit narrativen Traditionen. Das pure Zelebrieren von Schönheit. Die philosophischen Off-Monologe über den Sinn des Daseins. Die versammelten Superstars aus Hollywood, die alles für die lyrische Kunst von Mr. Malick tun, selbst auf die Gefahr hin, aus dem finalen Film herausgeschnitten zu werden.

„A Hidden Life“, der lange unter dem Arbeitstitel „Radegund“ angekündigt wurde, folgt in dieser Hinsicht den kontroversen Malick-Meisterwerken der letzten Jahre wie „Knight of Cups“ oder „Song To Song“. Und doch nicht. Zum einen hat der Regisseur das Martyrium des österreichischen Bauern Franz Jägerstätter überwiegend mit Schauspieler*innen aus dem deutschen Sprachraum verfilmt. Zum anderen zwingt die tragische true story den Filmemacher einen Hauch mehr in Richtung Erzählkino, inklusive altmodischer Artefakte wie Dramaturgie oder Dialoge.

Beides sorgt zumindest bei meiner Wenigkeit durchaus für gewisse Irritationen zwischendurch. Von den vielen vertrauten österreichisch-deutschen Akteuren - etwa Karl Markovics, Johannes Krisch, Tobias Moretti, Franz Rogowski oder Bruno Ganz in einer letzten Rolle - funktionieren manche mehr, manche weniger vor der entfesselten Kamera. Glücklicherweise fügen sich August Diehl und vor allem Valerie Pachner in den Hauptrollen in die Malick-Choreographie ein. Das Sprachgemisch aus Englisch (im Vordergrund) und verschiedensten deutschsprachigen Dialekten (im Hintergrund) lenkt ab.

Bilder sagen mehr als Worte

Überhaupt tut Dialog dem Regisseur nicht gut, zumindest was sein filmisches Spätwerk betrifft. Die überwältigendsten Momente hat „A Hidden Life“, wenn Malick die Bilder seines Kameramanns Joerg Widmer sprechen lässt. Die erste Stunde des Films, wenn die Schergen der Nazis noch nicht an der abgelegenen Almhütte des Ehepaars Jägerstädter angeklopft haben, wird zur berauschenden Erfahrung. Atemberaubende Bergpanoramen füllen die Riesenleinwand des Gartenbau-Kino aus, der Naturverklärer Malick schwelgt zu klassischer Musik in lichtüberfluteten Kompositionen.

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Iris Productions

Wenn dann für den gläubigen Christen Franz der Einberufungsbefehl in den Krieg folgt, wenn er lieber den Tod wählt als den Treueschwur auf Adolf Hitler zu leisten, gelingt es „A Hidden Life“ auch den NS-Terror visuell angemessen zu verpacken. Im Gegensatz dazu mildern manche theatralische Sprechpassagen den Schrecken aber eher unfreiwillig.

Trotz mancher Einwände, ein neuer Malick ist ein Fest für das Kino, wie auch die ganze Viennale, die erst so richtig begonnen hat.

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