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Martin Blumenau

Blumenaus Sport-Journal

Die Rugby-WM: Eine Frage von Klasse und warum es in Österreich eine Randnotiz bleibt

Morgen ist Finale der Rugby-WM, des drittgrößten Sportereignisses der Welt. Die Allzeitbesten sind im Halbfinale raus, spannend wird es trotzdem, wenn auch nur für wenige hierzulande.

Von Martin Blumenau

Der Sager dass die Rugby-WM das drittgrößte globale Sportereignis ist, kursiert gerade wieder, recht unüberprüft. Die Baseball World Series (die eben die Washington Nationals, ausgewiesene Gegner Trumps, gewonnen haben) oder der Superbowl beim American Football, das Stanley Cup Finale der NHL oder die NBA-Finals sind sicher allesamt größer, aber eben rein nordamerikanisch. Sportarten wie Basketball oder auch Handball, Volleyball sind global deutlich weiter gestreut als Rubgy, ein Sport, der letztlich nur drei Weltregionen auf echtem Spitzen-Level gespielt wird: rund um den Ärmelkanal, auf den pazifischen Inseln und den Südzipfeln der Süd-Kontinente. Das ist mehr als beim noch geografischer beschränkten Cricket, aber dann doch recht monokulturell (britisch) geprägt.

Eine Frage der Klasse

Dazu kommt noch die Frage der Klasse: Im britischen Mutterland ist Rugby, das Lauf- und Raufspiel, ein Gentleman-Sport der Upper Class-Colleges und Unis. Diese Distinktion, die sich gezielt vom Proll-Sport Fußball, der anderen großen britischen Entwicklung, abgrenzt, wirkt bis heute nach. In Südafrika etwa ist Rugby überwiegend weiß, Fußball schwarz dominiert; in Argentinien, Frankreich, den britischen Teams (da starten England, Wales, Schottland sowie, weltweit einmalig und EU-weitsichtig, eine gemeinsame irische Mannschaft) ist Rugby klassische Oberschicht-Unterhaltung. Das spiegelt sich auch im immer noch sehr starken Amateur-Charakter des Sports wider: Werbung und Sponsoren kommen dezenter, weniger grell daher, die Strukturen sind auf (manchmal seltsamen) Werten und ungeschriebenen moralischen Gesetzen aufgebaut (etwa wer für welche Nationalmannschaft spielen kann/darf).

Selbst im pazifischen Raum, vor allem in Neuseeland, der führenden Rubgy-Nation, wo der von den Kolonialherren importierte Sport sich vortrefflich mit den Traditionen der Maori (Neuseeland), Polynesier (Samoa, Tonga) und Melanesier (Fiji) getroffen hatte, hat sich innerhalb der Clans eine Art Rugby-Upper-Class entwickelt. Australien, deren Indigene, die Aborigines, keine so kampfbetonte Ausrichtung haben, mischt sich die englische Eton-Tradition mit (wie bei vielen Weltklasse-Teams üblichen) Importen von Polynesiern/Maori.

Daraus hat sich eine Rugby-Nomenklatura entwickelt, die den Kreis jener, die überhaupt Entwicklungsschritte machen können, so klein gehalten wie etwa im Welt-Eishockey, wo die Weltrangliste ebenso stabil ist (deutlich stabiler als etwa beim Fußball, der ja auch von Großmächten geprägt ist). Auch etwas, was einem auf Klasse gegründeten Sport natürlich gefällt.

Die Liebe zu den All-Blacks

Um beim Fußball zu bleiben: die Brasilianer dieses Sports, was die Eleganz betrifft, sind die Neuseeländer. Aber auch die Holländer, was die strategischen Innovationen betrifft. Und diese beiden Tatsachen sind der Grund für meine Liebe. Und es ist Liebe. Denn beim Fußball habe ich das nicht: diese persönliche Betroffenheit, wenn deine Mannschaft verliert, die sich zu Beleidigtheit und Wahrnehmungsverzerrung hochsteigern kann, wie es bei Liebe eben ist.

Natürlich kann (und muss) ich anerkennen, dass die All Blacks in ihrem Halbfinale völlig zurecht ausgeschieden sind: Gegner England war in den meisten Belangen besser, hatte einen Matchplan, der die gegnerischen Stärken (die Versuchs-Dichte, die Ball-Stafetten etc) neutralisierte und sich so über viele Kicks deutlich in Vorteil brachte. Auch beim Rugby hat sich die moderne Analyse, haben sich die Taktik-Coaches, hat sich die Sportwissenschaft durchgesetzt; selbst Nationen, die früher ausschließlich auf klassische Tugenden und ein Augen-Zu-und-durch-Spiel gesetzt hatten, bespielen ihre Gegner mittlerweile höchst strategisch. Wales, der zweite geschlagene (und über seinem Niveau spielende) Halbfinalist ist so ein Beispiel. Schottland, die Mannschaft, die neben Argentinien als einzige der Top 9 nicht ins Viertelfinale schaffte, ist ein Gegenbeispiel. Mit etwas mehr Planung hätten sie die Überraschung dieser WM, Gastgeber Japan, noch ausbremsen können. So aber surfte der Außenseiter auf einer woge von Hausherren-Euphorie, durch das Taifun-Desaster erweckte kollektive Leid und ihrem überwältigendem Losgeh-Spiel (das auf die zur Hälfte im Ausland geborene, eingebürgerte Truppe zurückzuführen ist) ins Viertelfinale; scheiterte dort ebenso wie die nicht mehr erstklassigen Australier, die unglücklich agierenden Franzosen (die das Halbfinale verdient gehabt hätten) und das gegen Neuseeland einfach zu naive Irland, den irgendwie versehentlichen Weltranglisten-Ersten des Vorjahres.

Erklär-TV als Nachhilfelehrer

Jedes Spiel aller bisher erwähnten Mannschaften untereinander garantiert mit ziemlicher Sicherheit hohe Klasse, entweder von Tempo, Wucht oder strategischer Finesse her. Alles andere ist Entwicklungshilfe für die dritte Welt, auch wenn sie zu den WM-Teilnehmern gehören. Und Österreichs Rugby ist noch eine Klasse drunter, wirkt dagegen wie Anfänger in Zeitlupe. Und genau deshalb ist das Interesse hierzulande überschaubar - ohne lokalen Bezug bleibt auch das drittgrößte Sportereignis der Welt eine Randnotiz bei den Sport-Meldungen - dieses Schicksal teilt sie mit der vorhin erwähnten World Series.

Im Live-TV zu sehen waren viele Spiele auf einem deutschen Tschin-Bum-Kanal der Pro7-Sat1-Gruppe, mit freundlichen Nachhilfe-Anmerkungen von Moderatoren und Experten (muss nicht gegendert werden, der gesamte Sport produziert reines Testosteron) ähnlich wie es bei anderen Weltsportarten, die im realen Österreich eben Randsportarten sind, wie dem American Football, wo selbst bei der Superbowl-Übertragung die einfachsten Begrifflichkeiten erklärt werden. Im Gegensatz zum Kreuzeck, Einfädler oder Kacherl, den Begriffen der Nationalsportarten, die wir alle im Schlaf mitbrabbeln können.

Die wenigen, die den Sport hierzulande betreiben (und ich bin mit einem verwandt) und die wenigen, die irgendwann reingekippt sind und dann sogar zu Ausflügen zu großen Spielen haben hinreißen lassen, werden global gesehen viele Gleichgesinnte finden. In Österreich bleibt Rugby im Ranking wohl auf dem gefühlten 88. Platz stecken (der viele Winter- und der viele Pferdesport machen’s aus; und außerdem ist das der aktuelle Platz Österreichs in der Weltrangliste).

Finale Preview

Die All Blacks haben im kleinen Finale Wales demoliert, aber das ist nur ein kleiner Trost für den Rekordweltmeister - das morgige Finale bestreiten England, Champion von 2003 und Doppel-Weltmeister Südafrika, die vor allem durch den nationalen Versöhnungs-Titel 1995 im eigenen Land (Stichworte: Nelson Mandela, Chester Williams, Invictus, Matt Damon...) überlebensgroß wurde.

Unser Liebling beim Zuschauen war der Verbinder Faf De Klerk, ein 170 cm-Zwerg hinter Zweite-Reihe-Riesen: Ob er aus der Politiker-Familie kommt oder nur zufällig diesen recht häufigen Namen hat? Vielleicht zieh ich zum Finale mein Springbok-Shirt an, um den sentimentalen Favoriten zu unterstützen.

Gewinnen wird trotzdem England, die sind sowohl körperlich als auch taktisch aktuell die Besten, auch weltranglistentechnisch; und sie haben schließlich mein Team besiegt, also muss ich eigentlich zu ihnen halten.

Nachgereichtes PS nach dem Finalspiel

Dass es Südafrika dann doch geschafft hat, ist überraschend und erfreulich zugleich.
Die sportliche Überraschung, mit der kein Experte im Vorfeld gerechnet hatte, ist dass sie England mit den eigenen Mitteln gequält und geschlagen haben
Und erfreulich ist dieser Titel, weil die Springboks seit Invictus-Zeiten ja eine tatsächlich seriös gemeinte Transformation angegangen sind - nämlich aus einer fast rein weißen Mannschaft die vielfältige Auswahl einer Rainbow Nation zu machen. In der aktuellen Auswahl stehen fast genauso viele People of Colour wie Weiße, sie hat sogar einen schwarzen Captain. Und das nicht weil es sich zufällig so ergeben hat, sondern weil man es so geplant hatte. Mit Quoten. Und die haben das Team nicht runternivelliert, sondern die Basis verbreitert; und den vormals weißen Sport für das ganze Land geöffnet, und so der südafrikanische Hymne, die in den fünf wichtigsten Landessprachen gesungen wird, über den reinen Symbolwert hinausgeholfen.
Dass sie ihr 3. WM-Finale gewonnen haben,

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