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Tristan Garcia - Das Siebte

Wagenbach

Nicht nur Katzen haben sieben Leben...

Der Gedanke an ein Leben nach dem Tod ist für viele Leute ein Trost. In Tristan Garcias Roman „Das Siebte“ wird es für den Protagonisten jedoch die grausame Realität: Er wird geboren, er lebt, er stirbt, und die Zeit wird wieder bis zu seiner Geburt zurückgespult. Und das sieben Mal.

von Livia Praun

In einer Zeitschleife gefangen sein – dieses Konzept wurde in vielen Büchern und Filmen schon aufgegriffen. Etwa in „Täglich grüßt das Murmeltier“, wo Bill Murray jeden Tag aufs Neue den 2. Februar erlebt. Oder „Edge of Tomorrow“, wo Tom Cruise jedes Mal, wenn er stirbt, wie in einem Videospiel einfach am Anfang seiner „Mission“ respawned. Das Prinzip der Zeitschleife greift auch der französische Autor Tristan Garcia in seinem Roman „Das Siebte“ auf. Hier erlebt der Protagonist jedoch nicht ein paar Stunden oder Tage immer wieder – sondern sein ganzes Leben.

Tristan Garcia

JF PAGA

Tristan Garcia

Der namenslose Protagonist führt ein ruhiges Leben in einer französischen Kleinstadt. Als er sieben Jahre alt ist, bekommt er plötzlich Nasenbluten. Unstillbares. Literweise fließt das Blut. Er wird nach Paris gebracht, und dort von einem Arzt behandelt, der erkennt, dass der kleine Junge unsterblich ist. Aber der namenlose Protagonist hat seine Zweifel, die, je länger er lebt, umso stärker werden. Nach einem unspektakulären, langen Leben stirbt er als alter Mann. Und wird dann wiedergeboren. „Es dauerte lange, bis ich begriff, dass ich wieder begonnen hatte ich zu sein, nichts mehr und nichts weniger.“

Er lebt exakt sein Leben wieder – zur selben Zeit, in derselben Umgebung, mit denselben Leuten – und mit den Erinnerungen von seinem vorherigen Leben. Er bekommt mit sieben Jahren das Nasenbluten, trifft wieder in Paris auf den Arzt und später wieder auf seine große Liebe Hardy.

Wieder stirbt er nach einem langen Leben. Und wieder wird er erneut geboren. Sieben Mal. Sein Leben wird zurück gespult, seine Erinnerungen und Erfahrungen aus den vergangenen Leben bleiben jedoch. Und von denen hat er viele: Ein Leben hat er der medizinischen Forschung gewidmet und ist Nobelpreisträger, in einem anderen wird er zu einer Art Jesus und findet zahlreiche Anhänger und in seinem fünften Leben wird er durch Sportwetten und Investments reich und zum Casanova. Trotz dieser vielen Jahre Erfahrung erreicht er selten das, was er eigentlich will – zum Beispiel seine große Liebe vor ihrem Unglück zu bewahren oder endlich wieder sterblich zu sein. Zwar wirken sich seine Entscheidungen auf den Verlauf des Lebens aus, aber sehr selten auf die Art und Weise, die er beabsichtigt hat.

Tristan Garcia - Das Siebte

Wagenbach

„Das Siebte“ von Tristan Garcia ist in einer Übersetzung aus dem Französischen von Birgit Leib bei Wagenbach erschienen.

Hier spielt Garcia mit der Theorie des Butterfly-Effekts. Diese besagt, dass selbst kleinste Einflüsse unberechenbare Folgen haben können. So kann der Flügelschlag eines Schmetterlings für einen Wirbelsturm am anderen Ende der Welt als Auslöser in Frage kommen. Jede kleine Entscheidung, die man trifft, hat ihre Auswirkungen. Im dritten Leben des Protagonisten bricht zum Beispiel plötzlich ein Bürgerkrieg aus, der über ein Jahrzehnt andauert. Ein Szenario, das sich sonst in keinem seiner anderen Leben wiederfindet. Aktiv an dem politischen Geschehen beteiligt war er nicht. Und trotzdem hat wohl irgendwas, dass er getan oder verursacht hat, diesen Krieg ausgelöst.

Die Unsterblichkeit lastet auf dem Protagonisten wie ein Fluch. Mit jedem Leben verliert er sich und seine menschlichen Prinzipien mehr. Er wird seinem Umfeld gegenüber gleichgültiger, es scheint ja egal was er macht - alles beginnt wieder von vorne. Das führt so weit, dass er in seinem fünften Leben mordet und Hardy, die Frau, die er in allen seinen Leben über alles liebt, quält. In diesem Leben hat er es sich stets gut gehen lassen - edle Lokale, unzählige Liaisons mit Models und bekannten Persönlichkeiten, schöne Autos. Jedoch erkennt er im Laufe dieses Lebens, dass auch dieser Genuss nachlässt: „Das Einzige, was zählt, ist das erste Mal – egal auf welchem Gebiet, aber das erste Mal. Sicher gibt es auch den Genuss der Wiederholung, vorläufig. Dann lässt es nach.“ Die Perversion, zu morden und zu quälen, war in dem Fall für ihn nicht mehr als ein Erstes Mal.

Sein siebtes Leben verläuft dann aber anders als seine vorigen: Er bekommt kein Nasenbluten, der Arzt in Paris weiß nichts von seiner Unsterblichkeit und auch Hardy ist eine ganz andere. Er ist sterblich geworden, schlussfolgert der Protagonist. Sterblich zu sein – dies hat er sich stets gewünscht. Und doch beunruhigt ihn diese der Gedanke an sein womöglich letztes Leben zutiefst. Damit ist er wieder auf der Stufe der Leserinnen. Was mache ich mit diesem einen Leben, dass ich habe? Der Protagonist kommt selten weit, wenn er berechnend und vorausschauend lebt, wenn er versucht, Dinge zu unterbinden.

Wirklich wertvoll – das sind die Momente und Erfahrungen, die er sammelt, wenn er loslässt, und einfach zulässt, was da kommt.

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