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Gespenster zwischen Zagreb und Zürich in „Die Nachkommende“ von Ivna Žic

Mit ihrem ersten Roman erzählt die Schweizer Schriftstellerin mit kroatischen Wurzeln Ivna Žic auf neue, sehr dichte und herausragende Weise von der Identitätssuche einer jungen Frau. „Die Nachkommende“ ist für den Schweizer Buchpreis 2019 nominiert - Ivna Žic liest im Rahmen dessen am 7.11. auf der Buch Wien.

Von Lisa Schneider

Das Vergangene ist nicht tot; es ist nicht einmal vergangen“ hat William Faulkner einmal geschrieben („Requiem für eine Nonne“, 1951). Diese Feststellung durchzieht auf subtile Weise den Debütroman der Schweizer-kroatischen Schriftstellerin Ivna Žic. Er heißt „Die Nachkommende“.

Die 1986 in Zagreb geborene und in Zürich aufgewachsene Ivna Žic ist vor allem als Theaterregisseurin und -autorin bekannt, hat unter anderem schon am Luzerner Theater, am Schauspielhaus Zürich oder am Schauspielhaus Wien inszeniert. Oft kreisen die Themen ihrer Stücke um Migration, um (verschwimmende) Grenzen, um Erinnerung und vor allem auch um die Frage, was Heimat ausmacht - und wie sie konstruiert wird.

Zwischen den Gleisen, zwischen den Zeiten

Die unbenannte Protagonistin im Roman „Die Nachkommende“ reist viel, vornehmlich mit dem Zug. Als Kind ist sie mit ihrer Familie von Zagreb nach Zürich migriert, kurz bevor die Jugoslawienkriege in Kroatien ihre Höhepunkte erreichen sollten. Aktuell spielt sich ihr Leben in einem Dreieck zwischen Zürich, Zagreb und Paris ab. In Frankreich nämlich lebt ihr Geliebter. Er ist ein verheirateter Mann.

Als Leser*innen wachen wir gleich auf der ersten Seite des Romans gemeinsam mit der Protagonistin in einem stickigen Zugabteil auf. Sie ist gerade am Weg nach Zagreb.

„Sie schnarcht. Die Frau unter mir schnarcht, eine ganze Nacht hat sie geschnarcht, aus ihrer Liege kippen weiße Waden, Sommermückenstiche, sie schwitzt, ich schwitze, alle Stiche sind aufgekratzt, an den nackten Sohlen Wundpflaster und Striemen von Sandalen, blaue Venen, Haarstoppeln, Mundgeruch im Raum, Bitterkeit unter den Achseln. Keine Nacht mehr.“

Cover "Die Nachkommende" von Iva Zic

Matthes & Seitz Berlin

„Die Nachkommende“ von Iva Žic erscheint im Verlag Matthes & Seitz Berlin.

Nicht nur die ihr zugewiesene Reisegefährtin raubt ihr Schlaf, Nerv und Raum. Es sind die Familienmitglieder, denen sie entgegenfährt, die der Großelterngeneration, die sich schon vor dem Grenzüberqueren ihrer Gedanken bemächtigen. Schuldgefühle, Nostalgie, verdrängte Kindheitsträume. Sehnsucht.

Parallelleben und wieder Faulkner

In den drei Tagen, die der Roman als Spielraum hat, lernen wir eine junge Frau kennen, die zwischen ihrer und der Geschichte ihres Heimatlandes auf Identitätssuche ist.

„Die Architektur schweigt, ist wohl schön, irgendwie schön, trägt zwei oder mehr Kriege und alle Lügen in ihrem Putz, die des Alltagsstreits, warum kommst du erst jetzt nach Hause? Gestern hast du versprochen, um Abendessen hier zu sein! (...) Jede Ankunft und jede Abreise lassen diese alte Geschichte noch älter werden. Und zugleich von vorne beginnen.“

Nichts ist je vorbei, und alles wiederholt sich. Nicht nur in den Gedankengängen der jungen Frau, auch innerhalb der Familiengeschichte. Schon ihr Großvater wollte aus Zagreb fliehen, wollte Maler sein, in Paris. Dort, wo jetzt auch der geheime Geliebte der Protagonistin lebt. Ebenfalls als Maler.

Sprache macht Geschichte - und Heimat

So wie die Liebesgeschichte wahrscheinlich unglücklich enden muss, endet auch der Großvater. Resignierend, alternd, in seinen eigenen Tagträumem gefangen. Er kann nur mehr Fiktives erzählen, nichts aus der Erinnerung. Und das mit dickem, weißen Bart, bei dem man die Lippen in ihrer Bewegung nicht erkennen kann, in „Familiensprache, Küchentischsprache, die gepflegt wird, doch eine aufbewahrte Sprache lebt nicht wirklich“. Er selbst, eine Märchengestalt.

Am Ende ihres Romans zitiert Ivna Zic William Faulkner nicht direkt, aber sie wandelt seine eingangs erwähnte, berühmte Aussage ab. Sie schreibt: „Wer gestorben ist, lebt noch heute“.

Es sind die Gespenster der Vergangenheit, des Krieges, des Wiederaufbaus und der Flucht, die nicht nur die Großeltern und älteren Verwandten heimsuchen. Sie kleben auch an der jungen Frau, die mehr über ihre Herkunft erfahren will. Am Schluss steht die Frage, was Grenze bedeutet: zwischen Ländern, zwischen Menschen.

Ivna Žic auf der Buch Wien

Einige der nominierten Autor*innen für den Schweizer Buchpreis 2019 sind auf der BUCH WIEN zu Gast: Ivna Žic, Sibylle Berg und Tabea Steiner.

Gespräch und Lesung am Donnerstag, den 7.11. von 14.00-15.00 Uhr.

„(...) Und immer wieder komme ich hierhin, in diese unbekannt bekannte Stadt, in diesen unheimlichen Zustand, alles zu kennen und nichts. Oder: nichts zu wissen und alles zu verstehen. Blind durch die Straßen gehen zu können. Alles zu wissen, nichts zu verstehen. Diese Stadt, durch die schon die pelzmanteltragende Großmutter ging, durch die der flanierende Großvater ging und durch die die Mutter ging, als sie selber noch eine Tochter war.“

In extremer sprachlicher Verdichtung rauschen hier mehrere Zeitebenen und Biographien nebeneinander her, auf dass man oft nicht weiß, ob Traum oder Fakt beschrieben wird. Es ist eine Rastlosigkeit in den Sätzen, die nur selten von Punkten, und viel öfter nur von Beistrichen getrennt sind. So muss es passieren, wenn Form und Inhalt ineinanderfließen.

Ivna Žics Roman „Die Nachkommende“ steht auf der heurigen Shortlist des Schweizer Buchpreises und war auch für die Longlist des Österreichischen Buchpreises nominiert. Den Österreichischen Buchpreis 2019 hat mittlerweile Norbert Gstrein gewonnen - ob Ivna Žic mit dem der Schweiz ausgezeichnet wird, erfahren wir am 10. November.

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