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Szenenbild aus "Little Joe"

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Die Hirnfresser kommen! (Oder auch nicht)

Gefühlsvergletscherung trotz Kuschelhormon-Ausschüttung! „Little Joe“, das englischsprachige Debüt der österreichischen Regisseurin Jessica Hausner, erzählt von einer Pflanze, deren Duft glücklich machen soll.

Von Pia Reiser

Wer sagen wir mal über 40 ist und ein gutes Gedächtnis hat, der denkt, wenn er little joe hört, als erstes an „Bonanza“, die Pferde- und Raulederjackenserie. Männer trugen Cowboyhüte und jede Episode endete damit, dass Männer sich an einem Zaun die Arme um die Schultern legten und lachten - meistens stimmte ein Pferd wiehernd mit ein. Mensch und Fauna harmonisch vereint. Mensch und Flora potentiell im Clinch hingegen, das inszeniert die österreichische Regisseurin Jessica Hausner in ihrem Film „Little Joe“, der nach der Premiere in Cannes - und Vorstellungen im Rahmen der Viennale - mit Anfang November in den österreichischen Kinos anläuft.

Der Frankenstein-Mythos habe sie fasziniert, so Hausner. Die Wissenschaft erschafft etwas, worüber sie dann die Kontrolle verliert. In „Little Joe“ ist das möglicherweise Monströse eine Pflanze. Wissenschafterin Alice (Emily Beecham) ist Teil eines Teams, das mittels Gentechnik eine Pflanze gezüchtet hat, die - wenn man sich entsprechend um sie kümmert - einen Duft absondert, der bei Menschen die Ausschüttung von Oxytocin auslöst. Das Glücks- und Kuschelhormon. Die Pflanze soll glücklich machen. Trotz Verbot nimmt Alice eine der Pflanzen mit nach Hause, schenkt sie ihrem Teenagersohn und benennt das rotblühende Gewächs nach ihm: Little Joe.

Szenenbild aus "Little Joe"

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Frankenstein und Körperfresser

Eine Kollegin von Alice äußert schnell den verdacht, dass sich Menschen, die mit der Pflanze in Kontakt gekommen sind, verändern. Und langsam glaubt auch Alice eine Veränderung bei ihrem Sohn zu bemerken. Findet hier eine duft-induzierte Entfremdung statt, hat die Pflanze starken Einfluss auf bestimmte Hirn-Regionen - oder ist das einfach nur die Pubertät?

Nicht nur „Frankenstein“ findet sich in „Little Joe“, die Ausgangslage, dass Menschen in ihren Mitmenschen eine nicht ganz festmachbare Veränderung bemerken, stammt aus einem Klassiker des Horrorgenres, der bereits viermal verfilmt worden ist: „Invasion of the Body Snatchers“. Ein fünftes Stück Genrekino des gleichen Stoffs interessiert Drehbuchautorin und Regisseurin Jessica Hausner natürlich nicht. Sie inszeniert eine sorgsam schleichende Sinfonie des Unbehagens. Man wartet auf das Monster, das nie kommt. Oder schon die ganze Zeit da ist.

Denn formal steckt der Film in einem engen und strengen Korsett, auf Erzähl- und erst recht auf Deutungsebene herrscht aber größtmögliche Ambivalenz. Das zeigt sich auch in den Texten zu dem Film und den Themen, die darin auftauchen: Glück, Mutter-Kind-Beziehung, Mutterbild, Medikamentensucht. Vielleicht ist „Little Joe“ auch ein Rorschach-Test - was man darin sieht, sagt mehr über einen selbst aus, als über den Film.

Little Joe Filmstills

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Farben, Haare und Haarfarben

Was sagt es dann über mich aus, dass ich nach dem Film nur über die Farben (und die Haare) des Films reden wollte? Jessica Hausner freut sich beim Interview darüber, sie würde auch gern über Haare und Farben reden. Aber wie kann man auch nicht genau das tun, angesichts dieses ausgetüftelten Farbkonzepts. Hellmintgrüne Laborkittel, himbeerfarbene Gummihandschuhe, orange Stromkabel. Die Blusen von Emily Beecham leuchten in orange und altrosa und ein signalartiges Rot findet sich nicht nur in den Blüten der titelgebenden Pflanze. Autos, Sessel, Logos, in fast jedem Bild springt einem etwas Rotes entgegen. Auch die Haare von Alice sind rot, geschnitten zu einem bowl cut, auch so ein Detail, das „Little Joe“ aus der Zeit rauslöst.

Wunderbar der Zeit entrückt ist „Little Joe“, dazu kommt die Sichtbarkeit der Inszenierung - Hausner hat kein Interesse daran, das echte Leben auf der Leinwand abzubilden. Es entsteht eine Distanz, die „Little Joe“ noch interessanter macht. Und obwohl hier theoretisch also jede Menge Kuschelhormone ausgeschüttet werden sollten, ist das Psychodrama alles andere als ein kuscheliger Film. Da ist die Sterilität des Labors und der Glashäuser, in denen Alice arbeitet und da ist die zunehmende Kälte zwischen den Figuren - kontrastiert durch die umwerfende Farbwelt.

Szenenbild aus "Little Joe"

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Elegant und streng sind die Bilder und die Kamera tanzt dazu eine ausgefuchste Choreografie. Als Gegenpol zur kontrollierten visuellen Welt dieses einzigartigen Films herrscht auf der Soundebene fast schon Hysterie und Anarchie. Da erklingt eine nervöse, unvorhersehbare Komposition des Japaners Teiji Ito aus den 1970er Jahren. Und zu diesem Sound inszeniert Hausner einen Jump Scare, der selbst erprobte Horrorfilmschauer aus dem Sessel katapulieren wird. „Little Joe“ ist ein hochstilisiertes Gemälde mit Thriller-Unter- und philosophischem Überbau.

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