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Konzertfoto Seeed

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Friede, Freude, Seeed

Seeed spielen in der ausverkauften Stadthalle Wien ein Konzert. Alle sind glücklich, alle kuscheln ein bisschen. Harmloser geht es nicht.

von Johann Voigt

Der große „Bam Bam“-Schriftzug, der immer wieder die Bühne ziert, kann nur eine Erinnerungsnotiz der Berliner Band an sich selbst sein. Eine Erinnerung daran, dass sie ja immer noch von Reggae- und Dancehall-Soundsystems geprägte Musik machen. Doch Wien ist nicht Kingston, Jamaika. Seeed sind nicht aggressiv, sind nicht „Bam Bam“. Seeed, das zeigt das Konzert in der Stadthalle sehr gut, sind eine international erfolgreiche Band für die ganze Familie geworden. Ihre Show ist auf Hochglanz poliert. Alles sitzt. Alle Instrumente klingen perfekt. Es gibt keine Brüche, keine Störtöne.

Seeed-Konzerte sind nicht subversiv, nicht progressiv, aber immerhin inklusiv.

Menschen essen Brezeln, trinken sehr teures Bier aus Bechern mit den Konterfeis der Seeed-Musiker. Kinder sitzen auf den Schultern ihrer Eltern, Pärchen lächeln sich verliebt an, Freund*innen tanzen miteinander. Die Stimmung ist immer dann so richtig gut, wenn die Band ihre alten Songs oder Solo-Songs von Sänger Peter Fox anspielt: „Schüttel deinen Speck“ zum Beispiel. Und wenn Peter Fox zum Song erklärt, dass Speck etwas Gutes sei, dann kann man das mit etwas gutem Willen als Body-Positivity-Statement lesen. Oder man lässt es. Das Konzert ist ein unpolitischer Raum, aber immerhin einer, in dem alle für zwei Stunden friedlich nebeneinander existieren können. Ein Typ im Freiwild-Hoodie steht ganz selbstverständlich neben einem Typen mit Dreadlocks.

Eine Band für alle

Seeed gibt es seit über 20 Jahren. Dass sie mit „Bam Bam“ gerade ihr fünftes Album veröffentlicht haben, scheint in der Stadthalle keine so große Rolle zu spielen. In Seeed-Songs, so scheint es, haben viele der Zuschauer*innen ihre Erinnerungen an gute Zeiten, an Jugend, ans Tanzen konserviert. An diesem Abend können sie diese Erinnerungen wieder abrufen. Das macht den Reiz von Seeed als Liveband aus. Seeed ist für alle. Immer dann, wenn die Zuschauer*innen auf den Sitzplätzen im oberen Rang bei einigen der Songs aufstehen, klatschen, dann ist das an diesem Abend die höchste Form des Exzesses. Mehr ist nicht mehr drinnen. Nach Gras riecht es auch nicht, obwohl der Supportact, die deutsche Rapperin Nura, eine Zeile übers Kiffen nach der anderen rappt. Auf der Bühne sagt sie den Satz des Abends: „Ich habe gehört, österreichische Politiker verhalten sich wie deutsche Rapper.“ Sie spielt damit auf Strache an und hat recht. In der deutschen Rapszene wird ähnlich viel gepöbelt, gibt’s ähnlich viele machistische Ausschweifungen wie im Strache-Umfeld. Leider ist Nura an diesem Abend die einzige Frau auf der Bühne und performt schließlich zusammen mit Seeed den gemeinsamen Song „Sie is Geladen“ vom „Bam Bam“-Album.

Zeitgemäße Ergänzung zu Deutschrap

Wenn man Seeeds Schaffen wirklich gerecht werden will, muss man das neue Album klar vom Wien-Konzert, klar von allen ihren Konzerten trennen. Denn der Sound von „Bam Bam“, dem ersten Album nach dem viel zu frühen Tod des dritten Seeed-Sängers Demba Nabé, ist gerade so zeitgemäß wie nie, er ist nicht retromanisch. Zum Glück! Das hat viel mit deutschsprachiger Rapmusik zu tun. Mit Rappern wie Raf Camora oder Gzuz & Bonez von der 187 Strassenbande. Sie alle zehren ähnlich wie Seeed von der jamaikanischen Soundsystem-Kultur, von Reggae und Dancehall und spinnen diese Einflüsse wiederum in einem Rap-Kontext weiter. Mit dieser Formel haben sie sich zu den erfolgreichsten Künstlern in Deutschland und Österreich entwickelt. Seeed ergänzen diese Entwicklung. Denn während Gzuz & Bonez Gewaltfantasien und Sexismus propagieren, schaffen Seeed einen harmloseren, einen friedlichen deutschsprachigen Entwurf dieser Musik. Mit Kalenderspruch-Texten zwar, aber immerhin. Das macht die Band relevant und das legitimiert ihren Kuschelkurs. Aufs Kuscheln können sich schließlich immer alle einigen.

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