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Kanye West

Kanye West

HipHop-Lesekreis

Der schwierige Weg in den Himmel

Die gar nicht so überraschende Wandlung Kanye Wests vom Rap-Saulus zum -Paulus ist von vielen Zweifeln überschattet. Soll die Gospel-Platte „Jesus is King“ von seinen idiotischen Meldungen über die Sklaverei ablenken oder gar Geld machen? Der FM4 HipHop-Lesekreis im Investigativmodus!

Von Stefan „Trishes“ Trischler

Man hätte es eigentlich früh ahnen können: Schon auf Kanye Wests Debüt-Album The College Dropout rappt der damalige Roc-A-Fella-Produzent auf dem Song mit der längsten Halbwertszeit über ein Gospel-Loop von seinem ständigen Begleiter Jesus - auch wenn das, wie er mutmaßt, schlecht fürs Geschäft wäre.

Als das Geschäft dann extrem gut lief, wandte sich der Rap-Superstar aber zusehends von seinen Wurzeln in der Kirche ab. Ging es ihm zuerst noch um sehr berechtigte Kritik am Trennenden, das Religionen zwischen Menschen stellen, galt er für Gläubige wohl spätestens ab dem egotrippenden Albumtitel Yeezus und dem Song I Am A God als Gotteslästerer und verlorene Seele.

Schon 2016 hat er allerdings auf dem Pablo-Album wieder heftig mit dem Gospel angebandelt und spätestens nach seinem sehr öffentlichen Zusammenbruch letztes Jahr brauchte Kanye West offenbar dringend Heilung und Halt. Die fand der Entertainer in seinen Sunday Sessions, den zunächst privat abgehaltenen, aber mangels Influencer-Impfung nicht lange privat gebliebenen Musik-Hangouts mit Gospelchor. Vom Intimen in die ganze Welt geht bei Kanye sehr schnell, so waren die Sessions bald beim Coachella Festival als auch in verschiedenen US-Großstädten auch für Fans und Believer zugänglich.

God is King, we the soldiers

Der FM4 HipHop-Lesekreis zum Nachlesen oder als Podcast. Das Buch gibt es auch im ORF Shop!

Das Album Jesus Is King will jetzt Zeugnis ablegen über Kanye Wests Wandlung vom Sünder zum Tiefgläubigen, in dessen Gegenwart keine Schimpfwörter mehr gesprochen werden dürfen und dessen Mitmusiker_innen angehalten wurden, rund um die Aufnahmen keinen außerehelichen Sex zu haben. Dabei macht nicht nur stutzig, dass Kanye West bis vor kurzem genau diese Dinge in seinen Songs gepredigt hat (mitunter über Gospel-Loops) - seine radikale Wandlung zum Born Again Fundamentalisten wäre nicht die erste (Kritiker! Elche!). Dass schon beim ersten öffentlichen Sunday Service auch passendes Luxus-Merchandise zum Verkauf stand, nährt jedoch den Verdacht, dass die Erleuchtung, selbst wenn sie wahrhaftig gewesen sein sollte, schnell wieder von irdischen Gedanken gefolgt war.

Jesus, give us wealth

Das ist nur schlüssig, fühlt sich Kanye West doch dem Prosperity Gospel zugehörig, einer in den USA entstandenen Verschränkung von Christentum und Turbo-Kapitalismus. Wenn man nur genug betet, beichtet (und spendet!), wird einem Gott Gesundheit und Reichtum schenken - so die Message, die sehr populäre Prediger in stadionartigen Superkirchen verbreiten, bevor sie im Privatjet zum Fernsehstudio fliegen und dem Zweitjob als Televangelist nachgehen. Wenn man sich seine Freude am Predigen in Interviews ansieht, ist es kein absurder Gedankenschritt zur Church of Kanye - zumal seine Schwiegermama Kris Jenner schon eine Kirche in Calabasas gegründet hat. Hatte ich schon erwähnt, dass Kirchen in den USA nicht steuerpflichtig sind?

It’s a hard road to heaven

Lässt man all diese Begleitgeräusche einmal kurz beiseite, spielt Kanye West auf Jesus is King altbekannte Stärken aus: Schön zerhackte Soul-Samples oder eingängige elektronische Beats sind ebenso vorhanden wie bizarre Rap-Vergleiche. Die Platte ist merkbar ausgereifter als das gar gehudelte Vorgänger-Album. Auch, dass Gospel-Chöre kraftvolle Klangkörper sind und sich vom Soul oft nur durch den Aggregatzustand der Objekte ihrer Leidenschaft unterscheiden, wird hier durchaus eindrucksvoll demonstriert.

Just hold on to your brother when his faith lost

Für Rap-Nerds besonders interessant ist Use This Gospel, wo die beiden Clipse-Brüder Pusha T und No Malice zum ersten Mal nach sechs Jahren wieder gemeinsam auf einem Track zu hören sind. Da letzterer dem Kokain-Rap zugunsten von Jesus den Rücken gekehrt hatte, ging das nur in einem „christlichen“ Kontext. Und ihre beiden schneidenden Rap-Stimmen funktionieren im Zusammenspiel mit Kanyes catchy Autotune-Chor auch ohne Beat hervorragend. Bis Kenny G kommt. Der Mann hat mit seinem Smooth Jazz das Saxophon eigenhändig an den Rand des künstlerischen Ruins getrieben und verrichtet auch auch hier sein zerstörerisches Werk - 80er Hall inklusive! Ihn als Valentinstags-Überraschung einzuladen ist eine Sache, ihn auch aufs Album zu packen spricht leider nicht für Kanye Wests künstlerisches Urteilsvermögen.

Dabei war das, zumindest im Vergleich zu seinen sonstigen Entscheidungen, zuletzt noch das verlässlichere gewesen. Nein, seine idiotischen Kommentare zur Geschichte der Sklaverei sind noch nicht vergessen - und den offen rassistischen Präsidentendarsteller unterstützt Kanye West bis heute. Unter diesen Umständen könnte man Jesus Is King auch dann nicht so richtig genießen, wenn es ein Meisterwerk wäre - die Gefahr besteht hier aber ohnehin nicht.

Mahdi Rahimi und ich haben im FM4 HipHop-Lesekreis noch ausführlicher über diese sehr spezielle Kanye West-Phase gesprochen und darüber, was ihm zur musikalischen Spiritualität eines John Coltrane fehlt:

HipHop-Lesekreis Kanye West 'Jesus Is King'

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