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Marriage Story

Netflix

Viennale Tagebuch: Hollywood abseits heiler Welten

Timothée Chalamet schmollt. Scarlett Johansson leidet. Robert Pattinson dreht durch. Ein paar Notizen zum starbesetzten US-Kino auf der Viennale 2019.

Von Christian Fuchs

An einem regnerischen Tag ist „A Rainy Day In New York“ bei der Viennale ausverkauft. Anscheinend zählt das Prädikat „Woody Allen“ in Wien mehr als die finsteren Gerüchte, die den Regisseur seit #metoo wieder umhüllen. Auch die Tatsache, dass sich Hauptdarsteller Timothée Chalamet von dem Film distanzierte, dürfte im Gartenbau-Kino wenige interessieren. Brav wird an allen erdenklichen Stellen der Beziehungs-Komödie gelacht, am Ende folgt der übliche Applaus im Saal.

Egal, wie man zum Mensch Woody Allen steht, ob prinzipiell ablehnend oder hochgradig ambivalent, wie der Schreiber dieser Zeilen: Seine filmischen Leistungen sind eine Sache für sich. Unter den mittlerweile 54 Regiearbeiten des Mannes, „A Rainy Day In New York“ mitgezählt, finden sich zirka zehn Meisterwerke und nocheinmal soviele ziemlich tolle Streifen. Das ist eine künstlerische Ausbeute, an die etliche Regisseure auf der heurigen Viennale wohl niemals herankommen werden.

Unabhändig davon plätschern Woody Allens aktuelle Arbeiten meist auf belanglose Weise vor sich hin. Der Trademark-Weltekel des Regisseurs flackert nur mehr gelegentlich auf, die sarkastische Komik ist schon lange nicht mehr auf der Höhe des Zeitgeists. Sein neuester Film schließt in diesen Punkten leider nahtlos an. „A Rainy Day in New York“, der ein junges Bobo-Pärchen aus Arizona durch Manhattan irren lässt, bietet wenig zwingende Anreize für einen Kinobesuch.

A Rainy Day in New York

Frenetic Films

Blondinen-Klischee und Dandy-Charme

Auch wenn man weiß, dass der angebliche Frauenfeind Woody Allen in seiner Karriere großartige feminine Figuren kreiert hat (Hallo Annie Hall!), hilft einem das bei „A Rainy Day in New York“ nicht weiter. Der superen Elle Fanning zuzusehen, wie sie als naives Blondinen-Klischee durch hausbackene Fremdgeh-Szenarien stolpert, tut weh. Einziges Highlight, neben ein paar existentialistisch-zynischen Sätzen, ist Timothée Chalamets Präsenz. Der „Call Me By Your Name“ Shooting Star schafft es mit Extra-Charme seinen verhuschten reichen Dandy-Charakter sympathisch zu machen. Man wünscht sich Jason Schwartzman an seiner Seite - und einen anderen Regisseur.

Alle hier erwähnten Filmen haben einen fixen österreichischen Kinostart.

Zum Beispiel einen Typen wie Noah Baumbach. Unter allen Filmemacher*innen, die der Spirit früher Woody Allen Filme prägte, ist der New Yorker der verlässlichste Qualitäts-Lieferant. Trotzdem gelingt es Baumbach seine starbesetzten Tragikomödien nur mehr mit Hilfe von Netflix zu finanzieren. Auch das Scheidungsdrama „Marriage Story“ wurde für den Streaming-Kanal gedreht, darf aber als Prestige-Projekt kurz im Kino laufen. Und eben auch bei der Viennale.

Paradoxerweise denke ich mir nach der Vorstellung - selbst als großer Baumbach-Fan - dass dieser Film gar nicht so zwingend die luxuriöse Riesenleinwand braucht. Natürlich wirken die Großaufnahmen von Scarlett Johansson und Adam Driver als unglückliches Paar im Gartenbau fantastisch. Aber ich kann mir auch vorstellen, dass der überlange „Marriage Story“ mit seinen schlichten Bildkompositionen in den eigenen vier Wänden funktioniert. Inklusive - schlagt mich, liebe Cinephile - Küchen- und Klo-Pausen.

Marriage Story

Netflix

Historienkino der ganz anderen Art

Der visuell zurückhaltende „Marriage Story“ ist einfach das, was man exzellentes Schauspielerkino nennt. Perfekt bis in die kleinsten Nuancen beschwören Johansson und Driver die Abgründe einer Ehe herauf, umgeben von einem brillianten Ensemble. Der bisweilen fast anstrengende Realismus dieser Upperclass-Scheidungshölle wird dabei, wie es sich für Noah Baumbach gehört, ständig gebrochen: Durch feinsinnigen Humor und gut dosierte Indiefilm-Romantik.

Es ist einfach auch schön, Scarlett Johansson endlich einmal wieder abseits des Marvel-Universums zu sehen. Und sich auf ihre Gesten und Blicke zu konzentrieren, ohne von grellen Special Effects abgelenkt zu werden. Das kann man, mit Abstrichen, in einem anderen ungewöhnlichen Hollywoodfilm tun, den die Viennale ebenfalls im Programm hatte.

JoJo Rabbit“, ein Historienfilm der ganz anderen Art, erzählt die Geschichte eines deutschen Buben während des Zweiten Weltkriegs, der tatsächlich Adolf Hitler als imaginären Freund hat. Als der von NS-Parolen aufgehetzte Junge (bravourös: Roman Griffin Davies) bemerkt, dass seine Mutter (herrlich: Scarlett Johansson) ein jüdisches Mädchen in der Wohnung versteckt, zerfressen ihn innere Konflikte.

Jojo Rabbit

Disney

Weltkriegs-Grauen und bittersüßer Witz

Es gäbe etliche Möglichkeiten, eine solche diffizile Story zu erzählen, vom rührseligen Spielberg-Epos bis hin zu einem eiskalten Haneke-Drama. Der neuseeländische Regisseur Taika Waititi, der sich nach „Thor - Ragnarok“ auch kurz aus der Umklammerung der Marvel-Verpflichtungen gelöst hat, wählt einen kontroversen Weg.

Wie seine Vorbilder Charlie Chaplin und Roberto Benigni kontrastiert er das Grauen der Holocaust-Drohung mit bittersüßem Witz. Das gelingt manchmal nicht so gut, dann wieder auf umwerfende Weise. Man muss diese polarisierende, rabenschwarze und sehr sentimentale Comedy auch nicht unbeschränkt feiern. Aber Waititi, ein abgründiger Humanist und Herzenversteher, der selber auch in die groteske Hitler-Rolle schlüpft, nutzt mitreißend die popkulturelle Magie des Kinos.

Er choreografiert in knallbunten Farben und mit Songs von David Bowie und den Beatles ein Anti-Nazi-Märchen für Kinder und Kind-Gebliebene. Der Schlusssequenz verdanke ich dann meine erste und einzige Träne auf der heurigen Viennale.

Jojo Rabbit

Disney

Irrlichterndes Werk zwischen den Stühlen

Der verblödelt-verstörende Hitler-Geist in „JoJo Rabbit“ fügt sich durchaus ins Gesamtprogramm des heute ausklingenden Wiener Filmfestivals. Gewöhnliches Genrekino oder gar klassisch strukturierte Horrorfilme gibt es auf der Viennale natürlich nicht zu finden. Aber dafür einige Streifen, in denen die Gespenster der Politik oder der Psyche des Menschen entspringen, was ja auch die gruseligste Variante ist. In „The Lighthouse“ von Robert Eggers, einem absoluten Highlight in der letzten Festival-Nacht, verfallen zwei Männer in einem abgeschiedenen Leuchtturm langsam dem Wahnsinn.

Wer bei dem düsteren Meisterstück an Stanley Kubricks „The Shining“ oder „Eraserhead“ von David Lynch denkt, liegt nicht ganz falsch. Gleichzeitig betört der Jungregisseur Eggers, dessen Debüt „The Witch“ als stille Horror-Sensation gefeiert wurde, mit einem ganz eigenen Zugang. In grobkörnigen SW-Bildern, im altmodischen und nahezu quadratischen 1,19:1-Seitenverhältnis gedreht, taucht er in seinem wahnwitzigen Kammerspiel ins Ende des 19. Jahrhunderts zurück.

The Lighthouse

Universal

Willem Dafoe und Robert Pattinson fluchen, furzen und fiebern auf einer kleinen felsigen Insel im Nirgendwo um ihr Leben. Robert Eggers, der Ingmar Bergman ebenso unübersehbar verehrt wie schockierendes Albtraumkino, gelingt ein irrlichterndes Werk zwischen allen Stühlen.

Mögen andere Filme eventuell auf der Couch zuhause funktionieren, „The Lighthouse“ ist - wie einige andere Viennale-Beiträge auch - ein Argument für das Kino als Tempel, als Kirche, als sakralen Ort der Filmverzauberung.

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