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DT64 – Das Jugendradio in der DDR

Schon einmal etwas von Radio DT64 gehört? So hieß der Jugendradiosender in der DDR, der beim sogenannten „Deutschlandtreffen“ im Jahr 1964, daher der Name, als Unterhaltungsprogramm ins Leben gerufen wurde. Ein bisschen das DDR-Pendant zu FM4 also, nur unter ganz anderen politischen Umständen.

Von Stefan Elsbacher

Man kann sich vorstellen, dass es für die Redaktion eine große Herausforderung bedeutet hat, ein glaubwürdiges Unterhaltungsprogramm für junge, musikinteressierte Menschen zu senden, die in einer eingemauerten kommunistischen Diktatur leben, in der vor allem alte Männer im Politbüro des Zentralkomitees das Sagen haben. Ein ziemlicher Spagat zwischen Propaganda und Pop.

Der Spagat ist fast 30 Jahre lang gelungen. Bis dann, 2 Jahre nach der Wiedervereinigung, plötzlich marktwirtschaftliche Fragen und politische Interessen verschiedener Parteien in den Vordergrund rückten. So demokratische Dinge halt.

Aber von Anfang an.

I want to hold your hand

1964 trafen sich bei der Propagandaveranstaltung, dem Deutschlandtreffen 1964, das von der FDJ, dem kommunistischen Jugendverband der DDR, organisiert wurde, über 300.000 Jugendliche aus Ost UND West, um gemeinsam die Deutsche Demokratische Republik hochleben zu lassen. Die Stimmung war durchaus frei und ausgelassen, die Kulturpolitik von der SED, also der Sozialistischen Einheitspartei noch nicht so „festzementiert“, obwohl die Mauer bereits seit drei Jahren stand. Auf die „Gefahr“ des Rock’n’Roll und der „Beatmusik“, wie sie gern von den Genossinnen und Genossen genannt wurde, wurde erst ein Jahr darauf von Erich Honecker aufmerksam gemacht. Noch wurden die Beatles und Dylan gespielt, getwistet und geshoutet und das von einer für das Treffen extra eingerichteten Radiostation für die Jugend, namens Sonderstudio DT64, das 99 Stunden ohne Unterbrechung auf der Veranstaltung sendete.

Das Programm erfreute sich solcher Beliebtheit, dass das staatliche Rundfunk-Komitee beschloss, den Sender täglich weiterzuführen. Der Berliner Rundfunk sendete ab sofort den „Abend der Jugend“ als Vorläufer des später fixen Programms DT64.

Ein Jahr später kam es zum erwähnten Plenum des Zentralkomitees 1965. Der noch FDJ-Vorsitzende Erich Honecker, der schon 1961 den Schießbefehl an der Berliner Mauer mitgetragen hat, besann sich seiner ideologischen Vorstellungen einer realsozialistischen Diktatur und setze zu einem Kahlschlag gegen die Jugend- und Kulturpolitik an: „Unsere DDR ist ein sauberer Staat. In ihr gibt es unverrückbare Maßstäbe der Ethik und Moral, für Anstand und gute Sitte.“

DT64 als Opposition im Einheits-Staat

Allerdings erkannte auch das Zentralkomitee den Draht zur Jugend und so hörte auch Hardliner Honecker die Signale, und die Sendezeiten von DT64 wurden weiter ausgebaut.

Marion Brasch war Moderatorin und Musikredakteurin bei DT64, sie schildert diese politisch beeinflusste Achterbahnfahrt in der Redaktion so: „Es gab immer diese Bewegungen, mal ne Öffnung, dann wurde es wieder ein bisschen strenger. Also das lief immer parallel zur kulturellen Entwicklung der DDR und wie Politik da verstanden wurde. Das spiegelte sich quasi in der mehr oder weniger größeren Freiheit bei DT64 wider.“

Marion Brasch

Holmsohn

Ein kräftezehrender Spagat zwischen seriöser Unterhaltung für ein junges, musikinteressiertes Publikum und den Propaganda-Versuchen zur Gleichschaltung der next Regime-Generation.

Trotzdem wussten die Genossen im Politbüro durchaus (hallo Stasi!), dass die Jugend viel lieber Westradio hört. Also wurde, eben um den Draht zur Jugend nicht komplett zu verlieren, DT64 bei den inhaltlichen Themen, als auch bei der Musikauswahl mehr Freiheiten eingeräumt.

60:40 Quote

Für den gesamten DDR-Rundfunk galt die sogenannte 60:40-Quote, die eben auch eine Zeit lang mehr und dann wieder weniger stark (von den Redaktionen heimlich) aufgeweicht werden konnte. Das hieß, 60% der im Radio gespielten Musik musste aus der DDR und dem sozialistischen Ausland kommen, 40% durfte (allerdings vom Komitee zensiert und umgeschnitten) aus dem Westen kommen.

Marion Brasch: „Und da wurde dann auch die Nischenfunktion von Musik total wichtig, weil über Musik konnte ja Botschaft transportiert werden, also auch politische Botschaft, so zwischen den Zeilen. Und das war dann quasi auch unser Job. Die Musikredaktion war eine Insel.“

Marion Brasch

Marion Brasch

Aber: „Also es gab natürlich Bands, die Texte gemacht haben, die nicht missverständlich waren, sondern sehr klar etwas benannt haben. Also es gab zum Beispiel Songs von „City“ und die haben ein Album gemacht, Casablanca, und da waren schon Texte drauf, die ans Eingemachte gingen. Also wo die Teilung Berlins thematisiert wurde, wo dieses Fernweh thematisiert wurde. Und die landeten dann auch bei DT64 auf dem Index, also im Giftschrank. Das durfte dann nicht gespielt werden.“

Eine Sendung hieß „Duett: Musik für den Rekorder“, immer nachmittags von 15-16 Uhr. Da lief jeweils eine Plattenseite mit einer „sozialistischen“ Band und eine Platten-Seite mit einer West-Band. So „schummelte“ sich die Redaktion zum Beispiel auch durch die Zensur.

Aber auch in den Wortsendungen wurde auf DT64 über eher unübliche Themen gesprochen: Über Homosexualität, Ausgrenzung und Rassismus sprach man in den 80ern vielleicht nicht einmal im Westradio so offen - und auch die Hörerinnen und Hörer kamen zu Wort.

In der Call In-Sendung „Antwort sofort“ war ein Politiker oder eine Politkerin zu Gast, und die Hörer*innen konnten anrufen und ihre Frage stellen. Auch da wurde natürlich vorher ausgesiebt. Aber es wurden auch nicht ganz so glatte Fragen durchgestellt. Die lange Leine galt auch hier.

Das „Parocktikum“ mit Lutz Schramm widmete sich der Underground-Musik aus Ost und West: Indie-Rock, Punk, die ersten Hip Hop-Bands wurden gespielt und die Bands als Gäste eingeladen.

Die friedliche Revolution im Herbst 1989

Marion Brasch: „DT64 war jetzt kein Sender, der sich mit Ruhm bekleckern konnte, im Widerstand zu sein, das waren wir nicht. Aber wir haben relativ früh den Aufstand geprobt und gesagt, wir können gewisse Dinge nicht mehr mittragen. Und da waren wir eines der ersten Medien überhaupt, die da einen Schritt nach vorne gegangen sind.“

DT64 berichtete von Anfang an sehr offen über die Montagsdemonstrationen in Leipzig, die im September 1989 begonnen haben.

Am 8. November sprach die Belegschaft des Senders ihrer Leitung das Misstrauen aus, am 9. November 1989 öffneten sich, auf Grund einer zu früh verlesenen Anweisung von Informationssekretär Günter Schabowski, bekanntlich die Grenzen in den Westen. Die Mauer war Geschichte, für DT64 begann aber möglicherweise das schwierigste Kapitel seines Bestehens.

Marion Brasch: „Und dann änderte sich das Programm natürlich. Von einem Tag zum anderen haben wir alles über Bord geworfen. Also zuerst haben wir die Giftschränke aufgemacht, haben die Musik rausgeholt, sind raus auf die Straße, also haben im Prinzip gespiegelt was passierte. Und es passierte jeden Tag etwas anderes. Wir haben nur noch geredet, wir haben wenig Musik gespielt, weil es gab viel zu besprechen.“

Das langsame Ende nach der Wiedervereinigung

Doch dann hieß es plötzlich, wie bei vielen DDR-Institutionen, auch die DDR-Radiosender sollten abgewickelt, also eingestellt, und dem West-Rundfunk eingegliedert werden. Ein Schock für DT64 und dessen treue Fanbase, der fast so eine Protestwelle ausgelöst hat, wie bei der friedlichen Revolution im Herbst ein Jahr davor. Tausende gingen in Dresden, Leipzig, oder Berlin auf die Straße, um für den Erhalt „ihres“ Lieblingssenders zu demonstrieren.

Mit Erfolg. Eine Zeit lang hat es DT64 das Leben „verlängert“. DT64 blieb hip. David Bowie kam vorbei, Marusha sendete die ersten Techno-Tracks in ihrer Sendung „Dancehall“, aus der sich dann die Rave-Party Mayday gemeinsam mit Westbam entwickelte.

Seit 1990 war DT64 unter dem Motto „Power from the East Side“ rund um die Uhr auf Sendung. Am 17. August 1990 sendete DT64 die längste Hitparade der Welt: „Top 2000 D“, mit 2000 von den Hörer*innen gewählten Liedern. Die Sendung lief über neun Tage. Siegertitel war Nothing Compares 2 U von Sinead O’Conner.

30 Jahre Mauerfall

Berlin-Serie zum Bingen
Der RBB widmet mit „Schicksalsjahre einer Stadt“ dem Berlin der Mauerzeit eine Serie mit Suchtpotenzial. (Christian Lehner)

Nachwendekinder
Der Journalist und Autor Johannes Nichelmann begibt sich in seinem Buch „Nachwendekinder - Die DDR, unsere Eltern und das große Schweigen“ auf die Suche nach den Wurzeln seiner Generation. (Ambra Schuster)

Aber wie es so ist, in marktwirtschaftlich orientierten Demokratien: Sie sind leider marktwirtschaftlich orientiert. Und es gibt mehr als nur eine Partei, die auch noch unterschiedlichen Interessen verfolgen. Dazu stritten sich auch noch kommerzielle Radiosender um die begehrte Frequenz. Kennt man auch bei uns. Allen Protesten zum Trotz übernahm der MDR schließlich den Sender. Seit 1. Mai 1993 heißt DT64 MDR Sputnik - und sendet bis heute.

Marion Brasch: „Trotzdem. Diese Proteste... Das waren 10.000e Leute, die da auf die Straße gegangen sind, unfassbar, haben dafür gesorgt, dass der Sender wesentlich länger überlebt hat, als alle anderen Programme der DDR.“

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