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Death Stranding

Kojima Productions

Walking Simulator deluxe

Hideo Kojimas „Death Stranding“ ist atemberaubend schön, monoton und albern - und lässt sich sehr, sehr, sehr viel Zeit.

Von Rainer Sigl

So geht epischer Hype: Seit 2016 verwirrt, fasziniert und verstört der japanische Ausnahmeentwickler Hideo Kojima die Öffentlichkeit mit häppchenweisen Trailern für sein Spiel. „Death Stranding“, so der mysteriöse Name des ersten Spiels nach Kojimas konfliktreicher Trennung von seinem Publisher Konami, zeigte in diesen Videoclips Filmstars wie Norman Reedus („The Walking Dead”“) und Mads Mikkelsen, aber auch die Regisseure Guillermo del Toro und Nikolas Winding Refn, Babys in- und außerhalb männlicher Körper, brennende Teerseen und und und. Was es nicht zu sehen gab: Gameplay. Die längste Zeit war unklar, was zur Hölle man denn in diesem Spiel überhaupt zu tun bekommen sollte und was für ein Spiel sich hinter dem Hochglanzverwirrhype verbergen würde.

Letzte Woche ist „Death Stranding“ erschienen und alle Unklarheiten sind Geschichte. Die Antworten auf die brennendsten Fragen fallen allerdings ernüchternd und ambivalent aus.

Paketbote in der metaphysischen Postapokalypse

Die Basics: In der Gestalt des Boten Sam Porter Bridges (Reedus) sind wir in einer seltsamen Postapokalypse unterwegs, in der sich die Welt der Lebenden und der Toten vermischt haben. Kaum ein Mensch traut sich aus den Bunkern nach draußen. In einem Gewaltmarsch von der US-Ostküste nach Westen sollen wir die versprengten menschlichen Siedlungen zusammenführen und auf dem Weg Dutzende, ach was: Hunderte Auslieferaufträge erledigen. Dafür planen wir unseren Pfad durch das atemberaubend schöne, zerklüftete Land, schnallen uns absurd riesige Gepäckmengen an den Körper und wackeln vorsichtig los. Gefahr droht hauptsächlich durch unkontrolliertes Stolpern und Hinfallen, in zweiter Linie durch menschliche Banditen und übernatürliche Geister.

Nur langsam bekommen wir im Spielverlauf Werkzeuge und Waffen, um uns verteidigen zu können und die Mühsal der endlosen Lieferungen etwas einfacher zu machen. Ein asynchroner Multiplayer-Teil erlaubt uns, praktische Konstruktionen wie Straßen, Leitern oder andere Bauwerke mit anderen echten Mitspielern zu teilen, ohne diese jemals zu Gesicht zu bekommen. In langen, filmisch eher nur durchschnittlich gelungenen Cutscenes wird die verworrene Geschichte weitererzählt; so richtig schlau wird man aus der pseudophilosophischen Science-Fantasy-Story um Jenseits, Terrorismus, den Zerfall menschlicher Beziehungen und Elternschaft aber eigentlich nicht. Dazu kommt hin und wieder Kojima-typischer Humor und ein eher missratenes Menümanagement. That’s it - im Großen und Ganzen.

Kurz und provokant gesagt: „Death Stranding“ ist ein atmosphärisch umwerfend schöner Walking Simulator, in dem man physikalisch aufwendig simuliert Dinge von A nach B schleppt. Lohn der Mühe sind bedeutungsschwangere Videos, die man - je nach Fanboy-Neigung - entweder voll deep oder ein bissi albern finden wird.

Death Stranding

Kojima Productions

Kunst mit Pacing-Problemen

„Pacing“ ist ein nützlicher Begriff für die Beschreibung eines großen Problems dieses Spiels: Damit ist das Tempo gemeint, in dem „Death Stranding“ seinem Publikum das Weiterkommen erlaubt. Dass geschätzte drei Stunden der ersten vier Stunden des Spiels aus nicht interaktiven Videos bestehen, ist leider nur ein erster Hinweis darauf, dass Hideo Kojima diesbezüglich wenig auf sein Publikum einzugehen bereit ist. Erst ab der Hälfte seines zwischen 50 und 80 Stunden langen Spiels würde man damit „Spaß“ haben, meinte er vor kurzem in einem Interview. Und tatsächlich dauert es sehr, sehr, sehr lange, bis sich ein Rhythmus einstellt, in dem die Spielmechaniken fühlbar ineinandergreifen.

„Death Stranding“ ist für PS4 erschienen.

Dass sich ein Kreativer herausnimmt, das Publikum eines Hochglanz-Entertainmentprodukts so lange absichtlich zu frustrieren, ist zugegeben großartig und kühn. „Death Stranding“ erlaubt es sich, seiner eigenen Vision zu folgen und sich auf gewisse Weise selbst, durch die Abschreckung all jener, die diese erste Spielhälfte nicht überwinden, sein ideales Publikum zu formen.

Umberto Eco hat über seinen berüchtigt sperrigen literarischen Stil gesagt, die ersten, besonders mühsamen hundert Seiten seiner Romane wären dazu da, nur „den idealen Leser“ durchzulassen. Dasselbe darf man jenem Entwickler, der sich allzu gern selbst als Auteur des Mediums sieht, durchaus zugestehen. Wer sich metaphorisch gesprochen durch 20 Stunden Frust und Eintönigkeit erfolgreich bergauf gekämpft hat, findet sich in diesem Spiel einige glorreiche Momente lang auf einer Hochebene wieder - allerdings nur, um schnell wieder vor einem noch steileren Anstieg bis zum Gipfel zu stehen. Dass der Weg das Ziel ist, mag dabei manche mehr, manche weniger motivieren.

Auf jeden Fall interessant

Ist „Death Stranding“ diese Mühsal wert? Das hängt stark davon ab, was man sich von seiner Zeit in diesem Spiel - oder Spielen überhaupt - erwartet. Als pure, eskapistische Unterhaltung kommt der Lohn für die Mühen hier zu spät und fällt in Form einer esoterischen Handlung noch dazu für alle Nicht-Fanboys eher durchwachsen gelungen aus.

Ist „Death Stranding“ ein gutes Spiel? Sagen wir so: Es ist auf jeden Fall ein interessantes und außergewöhnliches, vermutlich sogar wichtiges Spiel. Als sperriges Einzelstück im Werk eines Games-Querkopfs ist es auf jeden Fall eine interessante Erfahrung, für die man allerdings die nötige Geduld mitbringen sollte - und eine gewisse Toleranz für die Selbstverliebtheit seines Schöpfers, die sich in vielen Details zeigt.

Hideo Kojima wollte eben mehr machen als „nur ein Spiel“. Irgendwie ist ihm das auch gelungen. Das ist dann wohl der bedeutendste Unterschied zwischen Kunst und Unterhaltung: Kunst darf alles - auch langweilen.

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