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Leonard Cohen und Marianne Ihlen in Weiß

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„An der Ferse an einen Stein gefesselt ...“

Leonard Cohen hat sich in der Beziehung zu Marianne Ihlen als Mensch und Künstler gefunden - sie blieb zurück.

Von Boris Jordan

1960 – Der relativ unbekannte kanadische Dichter Leonard Cohen landet mit dem Gedichtband „Let Us Compare Mythologies“ einen kleinen Achtungserfolg, gewinnt einen kanadischen Literaturpreis. Er nimmt diesen und den Vorschuss auf das zweite Buch und reist auf die griechische Insel Hydra nahe Athen – und verliebt sich in die warme und freie Atmosphäre der Insel und nicht nur in sie ...

Marianne Ihlen lebt schon auf Hydra, mit ihrem Mann, dem norwegischen Schriftsteller Axel Jensen und ihrem kleinen Sohn. Sie sind Teil einer Künstlerkolonie um das australische Schriftstellerehepaar Johnston. Mariannes Beziehung mit ihrem jähzornigen und unzufriedenen Ehemann zerbricht, der sanfte Leonard freundet sich mit ihr an. Aus Cohen und ihr wird ein Liebespaar.

Leonard Cohen flieht vor der Idylle. „Ich bin immer weggerannt, auch wenn es gut ausgesehen hat, es hat eben für mich nicht so gut ausgesehen. Es war eine selbstsüchtige Zeit, aber es war eine Frage des Überlebens.“ Nach einem Nervenzusammenbruch reist er in die USA und findet eine völlig veränderte Welt vor, von der er in der warmen Luft von Hydra und in Mariannes Armen nichts gewusst hatte: die Welt von Beatnik Boheme, Drogen, einer lebendigen Folk-Szene in New York.

Mit Hilfe der Sängerin Judy Collins, der seinem allerersten Lied „Suzanne“ einen Chartserfolg beschert, lässt Cohen den nachdenklichen Dichter hinter sich und wird zum nachdenklichen Songwriter und – obwohl in vieler Hinsicht nicht hinein passend – zum erfolgreichsten melancholischen Popstar der Hippiezeit. Er hat seine künstlerische Identität gefunden – auf Kosten der Beziehung zu Marianne.

Marianne Ihlen bleibt auf Hydra und wartet auf Leonard. Dieser hält sich Marianne nach wie vor als Muse, verbringt Zeit auf Hydra, aber er zieht ein Popstarleben voller Drogen und Promiskuität der kleinfamiliären Idylle vor. Marianne wartet auf ihn, noch Jahre wird er immer eine gewisse Zeit des Jahres bei ihr verbringen. Ihre Liebe verewigt er in zwei seiner bekanntesten Songs, „Bird on a Wire“ und „So Long, Marianne“, bei dem sich Cohen in einer perfiden Umkehrung der Tatsachen „in ihrem feinen Spinnennetz gefangen“ sieht, mit der "Ferse an einen Stein gefesselt“.

Eigentlicher Star dieser - im Übrigen fast ohne originale Cohen-Musik auskommenden - Doku sind die berückenden, leicht unscharfen Bilder, mit denen man sich in eine sanfte Prä-Hippie-Sixties-Idylle voll freier Liebe und warmer Luft imaginieren kann, überall glückliche, sonnenverbrannte Gesichter, spielende Kinder, in der Mitte Cohen, der in der prallen Sonne an seinem Roman „Beautiful Losers“ arbeitet und sich von Marianne „Sandwiches bringen" lässt.

Die vielen Bilder und Filme von Cohens Auftritten, die Footage aus dem Tourleben von „Captain Mandrax“ sind ebenfalls schön und in gutem Tempo eingesetzt, Cohen in Weiß, Cohen im Pelz, im Regenmantel oder in griechischem Jäckchen, Backstage mit Doris Kunstmann und Udo Jürgens, schwimmend und sich rasierend, auf Acid, Speed und Mandrax zugleich. Dazu erzählt und kommentiert er recht viel, mit seiner leisen, dunklen Altersstimme.

Marianne Ihlen

Nick Broomfield

Marianne Ihlen

Regisseur Nick Broomfield („Kurt & Courtney“, „Whitney“) war selbst seit den Sechziger Jahren mit Marianne Ihlen bekannt gewesen und erzählt seine Marianne-Geschichte, zwei in Hydra aufgewachsene Kinder erzählen vom Leben Mariannes in Norwegen und dem Schicksal von Mariannes Sohn Axel, der zeitlebens mit psychischen Problemen zu kämpfen haben soll, neben Mitmusikern, Produzenten und JugendfreundInnen von Leonard Cohen kommt auch die kluge und sympathische Frau seines Dichterfreundes Irving Leyton, Aviva Leighton, zu Wort und erzählt von den Schattenseiten des Lebens mit dem „Genie“ und seiner freien Liebe, während die alten Musikerjungs von der Gaudi mit den Mädels beim Touren schwärmen und dass sie auch was abgekriegt hätten, von Cohens Glorie.

Ob dieser Film seinen eigenen Bechdel-Test bestehen würde, ist fraglich: Es geht eben hauptsächlich um Cohens Leben. Das Portrait des achso sensiblen Hippie-Mannes als egomanischer, machoider Solitär wird in heutigen Zeiten anders gelesen, als es zeitgenössisch empfunden und erinnert wurde. Alle befragten Personen haben mildes Verständnis für die Art, wie sich Cohen mittels klassischen Frauenopfers künstlerisch transzendiert. Auch Marianne Ihlen selbst. Dass der Film an Mariannes Sterbebett zugegen ist, als ihr der Brief von Leonard Cohen vorgelesen wird, beim eigentlich romantischen Schlussakkord der Geschichte, hätte man mir lieber erspart.

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