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Schmetterling

flickr/CC BY 2.0

Vince Smith

Bachtyar Ali erzählt vom Jung-Sein unter Islamist*innen

Eine junge Frau, die Sex und das Leben liebt, hat in einer islamistischen Gesellschaft nichts verloren. Davon erzählt der packende Roman „Perwanas Abend“ von Bachtyar Ali. Im Iran war das Buch viele Jahre verboten, jetzt ist es in der deutschsprachigen Übersetzung erschienen.

Von Maria Motter

Eine Anleitung zur Revolution, so könne man Bachtyar Alis Roman „Perwanas Abend“ verstehen, fürchteten iranische Mullahs. Darum war die Geschichte über Mädchen und junge Frauen sechzehn Jahre lang im Iran verboten. Bachtyar Ali ist im Nordirak geboren, aber weil er schon früh gegen gesellschaftliche Missstände anschrieb, erst in Zeitungen, dann in Romanen, musste er vor dem Regime Saddam Husseins fliehen.

Bachtyar Ali - Lesereise

  • 11.11. Arcobaleno, Linz
  • 12.11. Literaturhaus, Salzburg
  • 14.11. Stadtbibliothek Graz Nord
  • 15.11. Vorarlberger Landesmuseum, Bregenz

Foto Schmetterling: Ausschnitt, CC BY 2.0

In den kommenden Tagen ist Bachtyar Ali in Österreich auf Lesereise. Und es lohnt sich sehr, ihm zuzuhören. Denn Ali hält mit seinen Einschätzungen zum Krieg der Türkei gegen die Kurd*innen nicht hinter dem Berg. „Persönliche Freiheit hat im Islam keinen Platz“, sagte der Autor, der seit vielen Jahren in Deutschland lebt, kürzlich in einem Interview. „Die Islamisten haben nicht nur die menschlichen Beziehungen zerstört, sie haben den gesellschaftlichen Raum zerstört.“

Selbstbestimmter Sex ist ein Todesurteil

Teenager und junge Frauen sind die Hauptfiguren in seinem Roman „Perwanas Abend“. Perwana würde man in Europa als lebenslustige junge Frau beschreiben. Sie habe mehrere Liebhaber, schreibt ihre jüngere Schwester, die zur Chronistin der persönlichen und zugleich gesellschaftlichen Katastrophe wird. Perwana verschwindet eines Tages und die jüngere Schwester forscht nach. In einer abgelegenen Gegend versuchen junge Leute, ihre Vorstellung von Freiheit zu leben, doch die eingebläuten Vorstellungen davon, was rechtens wäre und was nicht, können viele nicht ablegen.

Bachtyar Ali

Hama Karim Khasraw

Mit Deutschlandfunk Kultur hat Ali Bachtyar über Kurdistan gesprochen.

Mit wenigen Worten beschreibt Bachtyar Ali Missbrauch, häusliche und institutionelle Gewalt, Mord und versuchten Totschlag und zeigt die Entwicklung einer radikalen Gesellschaft, die keine Abweichungvon ihren Vorgaben toleriert. In einer Ecke des Hauses lebt die Mutter der Töchter auf einer Matratze und „krächzt“. Dem Vater wollte es nicht gelingen, seine nicht mehr erwünschte Ehefrau zu ermorden.

Niemals sicher sein

Doch Bachtyar Ali erzählt nicht allein von der Brutalität der Männer. In der patriarchalen und zutiefst religiös fanatischen Gesellschaft sind es tonangebende Frauen, die Mördern Unterschlupf gewähren und die all jene hetzen, die sie zu Sünder*innen erklären.

„In ihrer Stimme wütete eine Kälte, die schmerzte. Niemand von uns wagte, sich zu bewegen. Wir trugen nun alle neue Kleider und asphaltschwarze Kopftücher. Sie schritt unsere Reihen ab, ihre eisigen Worte brachten uns zum Erstarren.“

Es sind Schockmomente, die einem dieser Roman bereitet, und doch will man unbedingt wissen, wohin Perwana verschwunden ist. Von einem idyllisch anmutenden Ort ist die Rede, einer Schlucht, in der sich die freiheitsliebenden Menschen zurückgezogen hätten - fernab der feindlichen Bürger*innenschaft.

Buntes Buchcover mit liegenden Personen

Unionsverlag

Bachtyar Ali, „Perwanas Abend“, aus dem Kurdischen von Ute Cantera-Lang und Rawezh Salim, Unionsverlag, 2019

„Perwanas Abend“ ist von ungeheuerlicher Aktualität

Ali Bachtyar hat „Perwanas Abend“ 1997 geschrieben. Heute kommt man nicht umhin, an die Schreckensherrschaft des sogenannten IS zu denken. Auch die kurzen Videoclips, die eine iranische Frauenrechtsaktivistin regelmäßig via Twitter teilt, kommen einem beim Lesen in den Sinn.

Märchenhaft ist „Perwanas Abend“ geschrieben. Das ist die ersten Seiten über gewöhnungsbedürftig, doch wie in „Der letzte Granatapfel“, dem ersten auf Deutsch erschienen Roman von Ali, entwickelt die Geschichte schnell eine Dynamik. Und dass hier eine junge Frau erzählt, das nimmt man dem Autor auch ab. „Perwanas Abend“ birgt eine Schwere und eine Unbarmherzigkeit in sich, die einem beim Lesen und danach noch beschäftigt. Zugleich strotzt die Geschichte aber auch vor Sehnsucht nach Freiheit. Nach ganz gewöhnlichen Teenagertagen - ohne Aufseherinnen, die Bücher, Betten und Wälder in Flammen setzen.

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