FM4-Logo

jetzt live:

Aktueller Musiktitel:

Das Gratis-Buch der Stadt Wien

FM4

Connie Palmen und „Die Gesetze“

Die niederländische Autorin Connie Palmen hat mit ihrem Debütroman „Die Gesetze“ Anfang der 90er Jahre international für Aufsehen gesorgt und sich seither eine Fangemeinde erschrieben. „Romeo und Julia“ endet für sie dort, wo eine Liebesgeschichte anfängt. Ein Interview über Wahrheit, Ehrlichkeit und warum man nicht zu ängstlich leben soll.

von Zita Bereuter

„Die Gesetze“ beschreibt das Leben von Marie Denit, einer jungen Philosophiestudentin, die Schriftstellerin werden will. Noch ist sie sich allerdings nicht sicher, ob sie überhaupt schreiben kann und deswegen will sie möglichst viel lernen. Eigentlich alles kennenlernen und ausprobieren, wie sie sagt.
Sie studiert Philosophie und trifft in sieben Jahren auf sieben Männer, in die sie sich teilweise verliebt, die sie begehrt, mit denen sie befreundet ist. Allen gemeinsam ist ein imposantes Wissen, das Marie Denit fasziniert, das sie begehrt. Die sieben Männer bringen sie weiter, helfen ihr in ihrer Reifung. Schließlich schreibt sie über diese Selbstwerdung, diese Schrifstellerinwerdung einen Roman. Ein stark autobiographisches Debüt, das ein internationaler Erfolg wird.

Connie Palmen, geboren 1955, studierte Philosophie und Niederländische Literatur und lebt in Amsterdam.

Ihr erster Roman ›Die Gesetze‹ erschien 1991 und wurde gleich ein internationaler Bestseller. Sie erhielt für ihre Werke zahlreiche Auszeichnungen.

28 Jahre später, 2019, wird das Buch gratis 100.000 Mal in einer Stadt verteilt. Hätte sich die junge Frau das damals je ausgemalt?
Connie Palmen: Nein, sowas kann man nicht vorhersehen - Die Zukunft dieses Buches und auch die Zukunft für mich als Schriftstellerin. Ich muss aber auch gestehen, dass ich damals, vor 28 Jahren, als ich das Buch geschrieben hatte, dachte: ‚Dieses Buch ist etwas ganz anderes. Es ist ein großes Risiko. Ich spiele mit den Gesetzen von allem: Entwicklungsromanen und Faustromane und wenn ich mich nicht irre, wird das ein sehr gutes Buch und warten sehr viele- sicher auch Frauen – auf so ein Buch.‘ So ein Faustroman, ein Bildungsroman, wo eine Frau nicht den Weg zur Mutterschaft ablegt, sondern etwas anders werden will. Und dass sie sich Erkenntnis erwerben will. Es gibt viele Frauen, die hungern nach Kenntnis und nicht nur nach Influencern oder Kleidung oder hippem, sondern nach Kenntnis – über sich, über die Welt, über Wissenschaft, den Mond, die Sonne, wie das alles wirkt, was die Zukunft für uns bringt."

Haben Sie damals das Buch geschrieben, dass sie auch gern gelesen hätten?
Connie Palmen: „Ja, sicher. Ich war mir sehr bewusst, über ein Loch in der Literatur. Ich habe Literatur studiert und – wie jeder Schriftsteller soll – sehr viel gelesen und es war nicht da: Es gab keine faustianischen Entwicklungsromane. Und so eine weibliche Hauptperson gab es auch nicht.“

Eine Stadt. Ein Buch.
findet heuer zum 18. Mal statt.

100.000 Exemplare von „Die Gesetze“ von Connie Palmen (aus dem Niederländischen von Barbara Heller) liegen gratis weit über Wien hinaus auf.
Von Waidhofen a. d. Thaya bis Weistrach, Pinkafeld und Hainburg a. d. Donau erstrecken sich die Verteilstellen.
(Unter anderem auch im Funkhaus in der Argentinierstr. 30, 1040 Wien.)

Man muss sich auch die Umstände vor Augen halten, wie die Zeit und die Umstände damals noch für Frauen waren. Sehen Sie das Buch heute – auch mit #metoo - anders?
Connie Palmen: „Das Buch hat etwas Universelles. Es muss sehr universell sein, dafür hat „Die Gesetze“ auch etwas Abstraktes: Eine Suche. Eine junge Frau. Sieben Männer. Also etwas märchenhaftes. Und wenn man über so etwas Abstraktes schreibt, kann man nicht über etwas Modernes schreiben oder über #metoo. Es geht um etwas, was immer wieder passiert. Wo sich jede Frau immer wieder erkennen kann. Und Männer auch, wenn man einer so jungen Frau begegnet, wie ich beschreibe in Marie Denit.“

Wenn Sie mit all Ihrem Wissen und Ihren Erfahrungen auf die junge Frau von damals zurückblicken – was würden Sie ihr mit dem heutigen Wissen raten?
Connie Palmen: „Auch darin bin ich nicht so gut, ich bin keine gute Ratgeberin.
Ich finde, man soll im Leben Risiko nehmen. Man soll ein bisschen gefährlich leben, nicht so ängstlich leben. Und das tat ich, ich fand mein Leben risikovoll. Ich fand es ein großes Wagnis, dieses Buch zu schreiben – überhaupt, Schriftstellerin zu werden. Und ich würde es heute eigentlich wieder so tun. Ich bin sehr froh, dass ich es damals tat und habe es nie bedauert.“

Connie Palmen Portraet

Stefan Joham

Man soll ein bisschen gefährlich leben, nicht so ängstlich leben. Und das tat ich (…) ich habe es nie bedauert.

Wahrheit und Schreiben vertragen sich nicht, heißt es beim Astrologen im Roman – Schreibende müssen lügen. „Die große Kunst besteht darin, die Wahrheit zu sagen, indem man über sie lügt.
Sie hingegen schreiben in „Die Gesetze“ aber später noch viel mehr in „I.M.“ und in „Logbuch eines unbarmherzigen Jahres“ sehr offen und überwältigend ehrlich. Wie ist das jetzt? Muss man sich einer Wahrheit stellen oder kann man überhaupt eine Wahrheit wiedergeben?

Connie Palmen: „Natürlich gibt es die Wahrheit eigentlich nicht. Die ist immer ziemlich subjektiv. Die Wahrheit gibt es nur in der Naturwissenschaft. Und Wahrheit ist uninteressant. Und für uns Schriftsteller auch. Das sind die Fakten. Fakten sind nichts. Ein Fakt ist, dass ein Mann einen Herzinfarkt bekommt und dann weiß man nichts. Wenn man sagt ‚Der Mann hatte ein gebrochenes Herz‘, dann fängt eine Geschichte an. Dann hat man noch eine andere Person, dann ist es eine Liebesgeschichte. Er hat gelitten. Das ist, was ein Schriftsteller tut. Er weiß, dass es nicht um Fakten geht – aber nur um Geschichten. Und Geschichten sind immer Kontext. Man mach immer etwas drum her.
Ich denke noch immer, dass die Wahrheit, soweit es sie gibt, und Schreiben, das sind zwei, die gehören nicht gut zusammen. Sprechen und Wahrheit gehören auch nicht zusammen. Eigentlich hat die Wahrheit überhaupt ein sehr schlechtes Leben. Es gibt keine Wahrheit, ehrlich gesagt.“ (flüstert sie)

Das ist hart.
Connie Palmen: „Ja, aber man kann nicht einfach über die Wahrheit eines Lebens sprechen.
Ich habe sehr viel Interesse an der Biographie. Jedes Genre in der Literatur macht ein Versprechen gegenüber einem Leser. Die Biographie verspricht einem Leser‚ Ich erzähle eine Wahrheit über ein Menschenleben. Aber das ist keine Wahrheit. Das ist alles subjektiv. Die Wahrheit eines Menschenlebens besteht nicht. Wenn man zehn Personen fragt - Freunde, Mutter, Vater oder Personen aus der Familie – erzähl mir die Wahrheit über Connie Palmen, dann gibt es die nicht. Dann hört man zehn verschiedene Geschichten. Und da kommt die Literatur, die sich gegenüber die Biographie und gegenüber die Wissenschaft stellt. Literatur gibt der vielfältigen Wahrheit einer Person eine Chance. Stärker noch: Die Literatur besteht, existiert, weil es diese Wahrheit nicht gibt. Und sie zeigt immer und immer wieder, dass es diese Wahrheit nicht gibt. “

Sie haben sich einigen Biographien von Frauen gewidmet. Sehr viele hatten auch tragische Beziehungen hinter sich.
Vieles, was sie schreiben ist autobiographisch.
Und genau da sind Sie so offen und ehrlich. Genau dort könnte man mit der Wahrheit ansetzen. Gibt es auch dort keine Wahrheit oder ist die offene und ehrliche Art der einzige Weg um über das eigene Leben zu schreiben?

Connie Palmen: „Es ist der einzige Weg um Literatur zu schreiben. Und natürlich gibt es auch Gottseidank über mich selbst keine Wahrheit. Und Ehrlichkeit ist natürlich etwas anders.
Wenn man z.b. Tagebücher liest von sehr jungen Leuten, zwölf, 13 oder 14, dann bemerkt man, dass die jungen Leute versuchen, die Wahrheit aufzuschreiben und ehrlich zu sein – aber das geht nicht. Man kann nur ehrlich sein, wenn man sehr viel sich selbst untersucht hat. Und dennoch findet man keine Wahrheit. Aber mindestens kommt man in die Nähe des Mutes, um ehrlich zu sein gegenüber sich selbst. Und das braucht man, wenn man schreibt.“

Die junge Frau wird gefragt, warum sie noch nicht schreibt und was ihr denn noch fehlt. Sie erklärt: „Die Liebe“.
Kaum jemand schreibt so leidenschaftlich, gewaltig und kräftig über die Liebe – also auch in Verbindung mit Leiden, mit Sucht, mit Kräftezehrung – auch über Frauenbiographien, die tragisch waren und sich stark nach Liebe sehnten. Ist Liebe das Lebensthema?

Connie Palmen: „Nicht nur Liebe, auch das Werk. Ich habe ein einfaches Leben mit einfachen Sehnsüchten: Liebe und Werk. Aber dann groß. Nicht ein bisschen Liebe – sondern eine große Liebe. Und nicht ein Werk als Lehrer auf einer Schule, sondern ein Werk, das für mich alles bestimmend ist. Also Schreiben. Und es geht auch sehr viel Liebe in dieses Schreiben hinein.
Ich hab meine großen Lieben gehabt, ich hab zwei Männer sehr geliebt und auch darüber geschrieben. Und jetzt hab ich nur noch das Werk. Und das hab ich auch immer beschrieben als das ist eigentlich meine Heirat mit der Welt. Also die Liebe für die Welt, für die anderen, für die Leser, die ich nicht kennenlernen werde – Gottseidank! – aber ich spüre eine gewisse Liebe von diesen anonymen Lesern, die ich versuche zu … ja … bereichern mit meinen Büchern.“

Wer ihr Werk liest und sieht, wie Liebe auch oder anders gehen kann, stellt möglicherweise auch die eigenen Beziehungen in Frage. Sind Sie sich dessen während des Schreibens bewusst?
Connie Palmen: „Ja, sehr bin ich mir dessen bewusst. Eigentlich bei allen Büchern.
Als ich „Die Gesetze“ schrieb und nachher „Die Freundschaft“ und „I.M.“ habe ich immer versucht, Liebe und Freundschaft zu beschreiben, die anders sind. Dass man nicht denkt - auch junge Leute, die das lesen - dass man nicht denkt, dass es immer so „Romeo und Julia Geschichten“ gibt. Denn „Romeo und Julia“ endet, wo eine Liebesgeschichte anfängt. Und eigentlich möchte ich mit jedem Buch sagen: Man braucht nicht so zu lieben, so wie es überall vorgeschrieben steht, in Magazinen, Frauenmagazinen oder im Internet oder in den Movies. Man soll selbst herausfinden, wie man am besten liebt. Und nicht die Gesetze gehorsam befolgen.“

mehr Buch:

Aktuell: