„Paul Zwei“ ist eine kafkaeske Graphic Novel über eine Geschlechtsumwandlung

In Franz Suess’ Graphic Novel „Paul Zwei“ geht es um einen jungen Neu-Wiener, der in der Stadt versucht, Selbstbestimmung und sexuelle Abenteuer zu finden. Doch plötzlich verändert sich sein Körper und sein Penis verschwindet.

Von David Riegler

Pauls Leben im Burgenland ist trist. Er lebt mit seiner konservativen Großmutter zusammen und hat weder Freunde noch eine Beziehung. In der Hoffnung auf selbstbestimmtes Leben, beschließt er in eine kleine WG in Wien-Ottakring einzuziehen, mit einem Typen, den er nicht kennt.

Ein erster Schritt der Emanzipation ist, dass er sich eine überteuerte Sonnenbrille kauft, obwohl er im Hinterkopf seine Großmutter hört, die ihn angewiesen hat, zu sparen. Außerdem kauft er sich neue Unterwäsche, in der Hoffnung, damit sexuelle Abenteuer zu erleben.

Die Hoffnung heißt Wien

Doch die Realität in Wien zeigt ihm schnell die unangenehmen Seiten des Stadtlebens. Es ist laut, im Sommer unerträglich heiß und die vielen Touristen stressen ihn. Außerdem findet er nicht wirklich Anschluss. Am meisten redet er mit den Fischen in seinem Aquarium, die er auch mehr mag als die Menschen rund um ihn.

Doch was ihn in der Stadt hält ist die ständige Hoffnung auf ein sexuelles Abenteuer. Aus seinem unbefriedigten Verlangen nach Sexualität entsteht eine sexuelle Obsession und er beginnt, jede Frau in seinem Umfeld zu sexualisieren. Er beginnt sogar, seinen Mitbewohner beim Sex mit dessen Freundin zu belauschen, doch er lässt ein Glas fallen, wird erwischt und sorgt für eine unangenehme Stimmung zwischen den beiden Mitbewohnern.

Um sein sexuelles Verlangen zu stillen, versucht Paul, auf Tinder mit Frauen in Kontakt zu kommen, doch die Matches bleiben aus. Das neue Selbstbewusstsein, das ihm die neue Unterwäsche gegeben hat, verwandelt sich in tiefe Selbstzweifel, weil die Likes ausbleiben.

Endlich ein Tinder-Match

Eine einzige Frau meldet sich dann doch noch bei ihm. Erika ist Kettenraucherin, circa 40 Jahre alt und sieht aus der Sicht von Paul „billig“ aus. Am Ende ihres Treffens versucht Paul sehr forsch und ungeschickt, Sex mit Erika zu haben, doch seine ungeschickte und raue Art lässt keine romantische Stimmung zu. Erika geht und Paul bleibt zurück mit tiefem Selbsthass.

Nach diesem Erlebnis verändert sich etwas an Pauls Körper. Er bemerkt einen starken Juckreiz im Genitalbereich. Das Jucken wird immer stärker und selbst mit eiskaltem Wasser kann er es nicht stoppen. Er bemerkt, dass sein Penis kleiner wird und sich langsam zurückzieht.

Paul weiß nicht, was er mit seinem Körper anstellen soll und lässt die Geschlechtsumwandlung geschehen, bis sich sein Penis vollständig in den Körper zurückgezogen hat. So entsteht eine neue Version von Paul, namens „Paul Zwei“.

Franz Suess zeichnet dunkel

Pauls Sinnkrisen werden unterstrichen von den kratzigen dunklen Bleistiftstrichen, mit denen der Autor Pauls Welt zeichnet. Die Ereignisse sind oft schräg, doch die Geschlechtsumwandlung geschieht mit einer beeindruckenden Selbstverständlichkeit.

Der Autor Franz Suess lebt und arbeitet in Wien. 2018 war er mit Paul Zwei Finalist beim Comicbuchpreis der Leibinger Stiftung Stuttgart. Suess illustriert Bilderbücher, photographiert und zeichnet Comics, zum Beispiel Szenen aus seinem Heimatbezirk Ottakring 2013. Er ist auch bekannt für seine dunklen Graphic Novels in Schwarz-Weiß zum Beispiel „Isopoda“.

Mindestens genauso dunkel ist „Paul Zwei“ in dem der Autor einen zerissenen Protagonisten zeichnet, der nach der eigenen Identität sucht und in einem kafkaesken Drama landet. Beeindruckend ist vor allem, dass die Sinnsuche von Paul trotz der seltsamen Ereignisse das Hauptthema bleibt. Es geht darum mit sich selbst glücklich zu werden, alles andere geschieht eher nebenbei.