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Der Song zum Sonntag: Billie Eilish - „everything i wanted“

Was sich alles in Billie Eilishs erster Veröffentlichung seit „When We All Fall Asleep, Where Do We Go?“ finden lässt.

Von Christoph Sepin

Eine Karriere im Schnelldurchlauf: Das letzte Mal wurde über Billie Eilish an dieser Stelle vor gerade einmal einem Jahr geschrieben. Seitdem hat sich viel getan. Das Debütalbum „When We All Fall Asleep, Where Do We Go?“ entpuppte sich als eine Platte des Jahres, die Welttournee von Eilish war schnell ausverkauft, die nächste für 2020 ist es auch schon großteils. Daneben tauchte sie noch übers Jahr verteilt in unterschiedlichen Rollen für unterschiedliches Publikum auf, von Einblicken ins private Leben in Zane Lowes Show auf Beats 1 bis zur Performance während „Saturday Night Live“ neben Woody Harrelson.

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  • Auch die geschätzten Wissenschafts- und Popjournalist*innen Thomas Kramar und Heide Rampetzreiter machen sich in der Presse am Sonntag zum jeweils selben Song ihre Gedanken.

Und was bleibt nach diesem Jahr der Höhepunkte? So einiges. Durch ihr Kokettieren mit persönlichen Abgründen und plakativen Horrorelementen zwang Eilish die Popwelt dazu, sich neu zu definieren. Und auch wenn ihr musikalischer Output doch um einiges von den meisten ihrer musikalischen Zeitgenossen*innen in der Industrie entfernt ist, war sie über das vergangene Jahr einfach viel zu populär, um ignoriert zu werden.

Es spricht für Eilish, so vielschichtig zu sein, dass sie Brücken zwischen Subkultur und Massentauglichkeit baut und veraltete Genrekonzepte weiter abreißt. Aber sie ist mittlerweile auch Zahnrad dieser Maschine: Eilish als neue Generation Popstar gibt der Industrie neue Relevanz - und kann eben dank ihrer vielen Facetten unterschiedlich vermarktet werden. Und da fällt es auch kaum auf, wenn so mancher Sender radiotauglich und vorsorglich den finalen Breakdown von „Bad Guy“ einfach wegkürzt - ob von der Künstlerin gewünscht oder nicht ist da egal. Das von möglichst vielen zu konsumierende Gesamtkonzept Billie Eilish blitzt in solchen Momenten durch, ein Resultat des Hypes und des marketingtechnisch penibel durchgeplanten letzten Jahres.

Dieses Narrativ setzt sich mit „everything i wanted“ fort und erreicht das nächste Kapitel: Im Popolymp angekommen, präsentiert sich Eilish darin selbstreferentieller als je zuvor, spricht den Erfolg an, die Ängste, die Beziehung zu ihrem Bruder und Co-Autor ihrer Lieder, Finneas. Das ist wohl kein Zufall, dass dieses Lied wie eine Mischung aus den Phasen vor und nach dem Debütalbum klingt, wie aus der Zeit gefallen und ein nostalgisch wirkender Blick zurück: Wer bin ich jetzt, wer war ich früher und was war besser?

Die von Albträumen geplagte und von der Dunkelheit faszinierte Billie Eilish startet auch ihr neuestes Lied mit einer Erzählung aus einem Traum: „I had a dream, I got everything I wanted“. Wenn der größte Erfolg erreicht ist, Charts und Awards der Welt erobert sind, was dann? In „everything i wanted“ geht das düster weiter. Sie habe geträumt, dass sie plötzlich weg ist, so singt Eilish über ihren Albtraum, und niemand habe um sie getrauert: „Nobody cried, nobody even noticed“. Kein Fan, kein Supporter, keine Industrie, doch wenn sie die Augen öffnet und aufwacht, sieht sie ihren Bruder: „But when I wake up, I see you with me“. Finneas sei ihr bester Freund, so erzählte Eilish letztens im BBC-Interview mit Annie Mac. Und egal was passiert, er werde immer für sie da sein.

Diese Beziehung zwischen Billie und ihrem Bruder ist die Essenz von „everything i wanted“, Eilish greift in den Lyrics aber noch andere Punkte auf: „And it feels like yesterday was a year ago“, spricht sie die simplere Vergangenheit an. „But I don’t wanna let anybody know“. Denn jetzt ist sie ein Popstar, jetzt verlassen sich eine ganze Industrie und hunderte, wenn nicht tausende Jobs auf sie: „‚Cause everybody wants something from me now and I don’t wanna let ’em down“.

Auch wenn die Instrumente softer und eingängiger sind, und Teile dieses Tracks diesmal wohl kaum dem Radioedit zum Opfer fallen müssen, schafft es Eilish trotzdem noch einmal, sich nicht komplett zum zweidimensionalen Popprodukt zu verwandeln. Es ist aber weiterhin überraschend zu beobachten, mit welcher Geschwindigkeit sie sich von Erfolg zu Erfolg und von Promoauftritt zu Tabloid-Headline bewegt.

Wie jemand auf Social Media schrieb: „Bad Guy“ sei noch immer in den Top 20 und Billie veröffentlicht schon wieder ein neues Lied. Die Tour fürs nächste Jahr ist sowieso schon durchgeplant, das nächste Album für 2020 scheinbar auch. Und so fühlt sich „everything i wanted“ wie ein vorsichtiger Schritt zurück an, ein Moment der Entschleunigung mitten in der rasanten Musikindustrie.

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