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Iranischer President Rouhani

APA/AFP/IRANIAN PRESIDENCY/HO

Erich Moechel

Der Iran bleibt längerfristig vom Internet getrennt

Eine so systematische Abtrennung des Iran vom Rest der Welt hat es noch nie gegeben. Sogar der zentrale Internetknoten im Telekomministerium ist offline. Die aufgekündigten Routen wiederherzustellen, wird mindestens eine Woche, wenn nicht länger dauern.

Von Erich Moechel

So schnell hatte das iranische Regime noch nie auf Massenproteste reagiert. Zeitgleich mit den ersten großen Demonstrationen gegen die radikale Erhöhung der Benzinpreise begann man, die Internetverbindungen zu deaktivieren. Am Samstagnachmittag waren die größten Mobilfunker bereits offline, in den folgenden 24 Stunden folgten fast alle anderen iranischen Internetprovider. Sonntag Mittags verschwand sogar der zentrale Knoten TIC, des Telekomministeriums, aus dem Netz.

Eine so systematische Abtrennung aller Internetanbindungen nach außen hat es im Iran bis jetzt noch nie gegeben. Allein die Abschaltung dauerte 36 Stunden. Die Wiederherstellung aller aufgekündigten, internationalen Routen wird mindestens ein Woche dauern. Bis dahin wird es nur Nachrichten wie jene des Staatsfernsehens Press TV aus dem Iran geben, das die Demonstrationen bis jetzt auffallend herunterspielt.

Netblocks

Netblocks

Netblocks.org hat seit Ausbruch der Proteste sämtliche Routenänderungen verfolgt und schon früh Alarm geschlagen, als sich abzeichnete, dass es diesmal nicht um punktuelle Abschaltungen ging wie bei den Aufständen davor, sondern um eine geplante, systematische Abtrennung.

Blutige Niederschlagung steht im Raum

Im November 2018 hatten die Revolutionswächter die Kontrolle über iranische Internet übernommen.

Am Montag hatten die Revolutionsgarden bereits mit einem harten Vorgehen gegen die Demonstranten gedroht, sollten die Proteste weitergehen. Dafür, dass es bei diesem Plan keine internationalen Zeugen geben wird, hatten die Revolutionsgarden mit der systematischen Abschaltung aller Routen selbst gesorgt. Es ist damit zu rechnen, dass der Crackdown gegen die Opposition bereits am Montag Abend starten wird. Die Auseinadersetzungen sind nämlich weitaus dramatischer, als im iranischen Auslandsdienst Press TV dargestellt.

Die letzten Videos, die ins Netz kamen, zeigten brennende Gebäude, in mehreren Städten wurde offenbar geschossen. In den kurdischen Städten des Nordens setzte das Regime offenbar Scharfschützen ein, die von den Dächern gezielt auf Demonstranten feuerten. Kurdische Quellen sprechen von zwei Dutzend Toten über das Wochenende. Seitdem gibt es nur noch sporadisch Videos zu sehen, die zumeist von Journalisten stammen, die über Satelliten ans Internet angebunden sind. Bei den brennenden Gebäuden soll es sich vor allem um Banken, Büros und Verwaltungsgebäude handeln, die dem Regime der Mullahs nahestehen.

TIC

TIC

Bis zuletzt war die Abschaltung der internationalen Routen am zentralen iranischen Knotzen TIC nicht abgebildet. „Alles im grünen Bereich“ wurde gemeldet, wobei schon verdächtig war, dass die Latenzen stundenlang dieselben, bis auf die Hundertstelsekunde gleichen, Werte aufwiesen. Als die Anzeige des Paketverlusts (links) am Sonntag immer weiter zu steigen begann, holte das Regime die Page ganz einfach vom Netz

Was die offiziellen Quellen sagen

Zensur und Manipulation in der Netzwerkarchitektur waren schon davor tief in der Struktur des „Sauberen Internet“ iranischer Prägung verankert

Laut der iranischen Nachrichtenagentur Mehr News sollen landesweit etwa 100 Gebäude ausgebrannt sein, die Zahl der Toten sei noch unbestimmt. Im Auslandsdienst des Staatsfernsehens wurde das Ausmaß der Proteste vorerst strikt heruntergespielt. Am Samstag hatte Press TV - kurz aber doch - über eine Initiative im iranischen Parlament berichtet, die eine Rücknahme der Preiserhöhung zum Ziel hatte. Am Sonntagabend war dann alles wieder anders. Der iranische Präsident Hassan Rouhani erklärte in Press TV, dass die Preiserhöhung nicht zurückgenommen werden könne, weil sie unumgänglich sei.

Der Verbrauch im Land sei so stark gestiegen, dass der Iran gezwungen wäre, im Lauf des Jahres 2020 Benzin zu importieren, würde der Anstieg nicht gebremst. Auslöser der Proteste war eine am Freitag überfallsartig angekündigte Erhöhung der Benzinpreise um bis zu 300 Prozent. Die Preiserhöhung ist zwar eine unmittelbare Folge der jüngsten US-Sanktionen des Iran, in Press TV wurde das erstaunlicherweise überhaupt nicht erwähnt. Die Slogans der Demonstranten richteten sich freilich nicht gegen die Preiserhöhung sondern direkt gegen das iranische Regime.

Ali Chamene'i

Press TV

Das religiöse Oberhaupt des Iran, Ajatollah Ali Chamenei gab sich am Sonntag Abend im iranischen Press TV erst überrascht, mahnt dann Optimismus ein und warnte vor „Konterrevolutionären Kräften“, vermied aber offene Drohungen.

Offene Drohungen vermieden

Telegram wurde im Iran Anfang Mai gesperrt, davor hatte bereits Russland einen Bann über den Messengerdienst ausgesprochen

Im Übrigen würde ein Teil der Erlöse aus den Benzinpreisen für die Unterstützung von 18 Millionen Bedürftigen im Iran verwendet, sagte Rouhani, der explizit das Recht der iranischen Bevölkerung auf friedliche Proteste betonte. Direkt nach Präsident Rouhani folgte das religiöse Oberhaupt des Iran, Ajatollah Ali Chamenei im Bericht von Press TV. Der „Oberste Führer“ Chamenei tat so, als sei er von der Entscheidung der Regierung Rouhani, die Benzinpreise praktisch über Nacht zu verdoppeln, völlig überrascht.

Er sei ja kein Experte auf diesem Gebiet, sagte Rouhani, aber wenn alle drei Säulen des Iran hinter dieser Entscheidung stünden, dann werde sie schon richtig sein. Die Iraner sollten also optimistisch sein, sagte Chamenei, dass die friedlichen Proteste jedoch „von Hooligans gekidnapped“ würden, sei ebensowenig akzeptabel, wie „Feinde des Iran und konterrevolutionäre Kräfte“ unter dem Demonstranten. Offene Drohungen, um die er sonst nicht wirklich verlegen ist, vermied das religiöse Oberhaupt des Iran jedoch. Ganz im Gegensatz dazu steht das radikale Vorgehen des Regimes im Netz.

Ein Regime will keine Zeugen

Die systematische Vorgehensweise zeigt, dass die Abschaltung keine Notmaßnahme war, vielmehr hatte man ein totales Blackout von Anfang an geplant. Damit liegt die Befürchtung nahe, dass eine Niederschlagung der Aufstände mit militärischen Mitteln der nächste Punkt in diesem Kalkül sein wird. Denn dabei will man keinesfalls internationale Zeugen haben und keine Videos, die im Netz kursieren.

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