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Eine Frau macht auf einem Felsen Yoga

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„Vergissdeinnicht“: Self-Care zwischen Politik und Wellness

Digital Detox, Schlafyoga, Clean Eating: Der Markt an Self-Care-Angeboten boomt. Es heißt, wir müssten dringend Erholung konsumieren, um gesund und leistungsfähig zu bleiben. Was für die meisten nur ein Wohlfühl-Trend ist, bedeutet für andere aber radikalen politischen Widerstand.

Von Claudia Unterweger

Sei ehrlich: tust du genug für dich selbst? Immer mehr Lifestyle-Blogs reden uns in Sachen Self-Care und Erholung ins Gewissen. Wer nach innerer Ausgeglichenheit sucht, sollte sich schleunigst einer regelmäßigen #selfcarechallenge stellen. Für ein optimales Wohlfühl-Ergebnis ist auf der Self-Care-Checkliste Folgendes abzuhaken (mindestens einmal pro Monat):

Ein Tag in der Natur. Lunch mit einer Freundin. 24 Stunden Social Media-Verzicht. Tagebuch schreiben. Etwas Neues lernen. Einen Tag lang anderen helfen. Ein Wellness-Tag nur für dich selbst. Ein Date (kann auch mit dir selbst sein). Eine Liste schreiben mit 5 Dingen, die du an dir liebst.

Was ist Selbstfürsorge? Laut dem Schweizer Psychiater und Psychoanalytiker Joachim Küchenhoff die Fähigkeit, eigene Bedürfnisse zu berücksichtigen, Belastungen einzuschätzen, sich nicht zu überfordern, gut mit sich umzugehen und sich zu schützen.

Damit sich all diese Aufgaben auch erfolgreich erledigen lassen, steht die Kosmetik- und Wellness-Industrie auch gleich mit einer endlosen Palette an passenden Produkten bereit. Wenn Lifestyle-Influencer*innen dann Schaumbäder, Yogamatten und Superfoodbowls promoten, dient Self-Care oft als Marketingmasche. Verständlicherweise nur für jene mit dem nötigen Kleingeld.

Rückzug ins neue Biedermeier?

Auch in der Popkultur ist „Me-Time“ und die Fürsorge für sich selbst ein Thema. Solange Knowles etwa singt ein Lied davon in ihrer „Borderline - Ode to Self Care“. Fahrt aufgenommen hat die Selbstfürsorge-Welle aber mit der Wahl von Donald Trump zum US-Präsidenten 2016. „Election Self Care“ war damals das Schlagwort der Stunde und gehörte zu den meist gesuchten Begriffen auf Google.

Als Heilmittel gegen kollektiven Stress und die politische Frustration über das Wahlergebnis zogen sich viele Trump-Gegner*innen ins Private zurück und versuchten durch Selbstfürsorge wieder Kräfte zu sammeln.

Medizin gegen das Ausbrennen

In sozialen Berufen ist Self-Care schon seit Jahrzehnten eine Strategie, um mit den täglichen Belastungen zurechtzukommen. Wer sich richtig um andere kümmern soll, der oder dem müsse es selbst gut gehen, so die Erkenntnis aus der Burnout-Prävention.

Foto von Angela Davis mit Claudia Unterweger

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Aber Selbstfürsorge kann auch radikales, politisches Handeln bedeuten, jenseits von beruflicher Vorsorgemaßnahme oder stylischer Wohlfühl-Anleitung. Self-Care sei kein Luxus, sondern Selbsterhaltung und ein Mittel politischer Kriegsführung, schrieb Audre Lorde, Schwarze lesbische Schriftstellerin und Aktivistin in ihrem Buch „A Burst of Light“. Seit den 1970er Jahren prägen People of Color und Menschen aus der LGBTIQ-Community den Begriff: als Werkzeug zum Widerstand. Sie widersetzen sich ihrer gesellschaftlichen Entwertung. Und stärken sich für ihren aufreibenden täglichen Kampf gegen Diskriminierung.

„Anyone who is interested in making change in the world also has to learn how to take of herself, himself, themselves.“ (Angela Davis)

Dem alternativen US-Politikmagazin Democracy Now berichtet die Schwarze Feministin und Bürgerrechts-Ikone Angela Davis, dass sie nach ihrer unrechtmäßigen Inhaftierung durch das FBI 1970 begann, in ihrer Gefängniszelle Yoga zu üben - um sich nicht brechen zu lassen: „I had never heard of yoga. I mean, there weren’t even any yoga mats at that time. But I developed a yoga practice when I was there. I learned about the need for self-care.“

Widerstand der Frauen

Selbstfürsorge ist schon lange ein feministisches Thema. Denn Andere zu versorgen ist in unserer Gesellschaft Frauenarbeit. Sich als Frau also um das eigene Wohlergehen zu kümmern, gilt oft noch als ungehörig und egoistisch. Doch wer kümmert sich um dich, wenn du es nicht selbst tust?

Self-Care in FM4 Auf Laut am 19. November

Was hat Self Care heute noch mit Solidarität oder Aktivismus zu tun? Was bedeutet Selbstfürsorge für dich? Und wer kann sich das überhaupt leisten? Darüber spricht Claudia Unterweger mit Big Body-Aktivistin und Self-Care-Trainerin Sara Ablinger und Anrufer*innen in FM4 auf Laut. Ruft an unter 0800 226 996 und diskutiert mit, ab 21 Uhr.

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