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Moralische Verantwortung in der Therapie

Was passiert, wenn man in einem Helferberuf ist und dann selber Hilfe braucht? Die Wienerin Lisa Mundt ist mitten in der Ausbildung zur Psychotherapeutin und hat sich in ihrem Debütroman „Als meine Therapeutin schwieg“ mit dieser Grenzsituation auseinandergesetzt.

Von Lena Raffetseder

* Hinweis: jegliche Ähnlichkeit mit real existierenden Personen ist zufällig.

Eine Borderline-Patientin, ein Mann mit schweren Depressionen, ein Bub, der seit dem Tod seiner Mutter kein Wort mehr spricht: Sie alle sind bei Tina Korn* in Psychotherapie. Autorin Lisa Mundt beschreibt die verschiedenen Seiten der Therapeutin, die in den Sitzungen zum Vorschein kommen. Tina setzt sich intensiv mit ihren Patient*nnen auseinander, baut eine Beziehung zu ihnen auf, besucht Weiterbildungen. Zwischen diesen Kapiteln der therapeutischen Arbeit lernt man Tinas Alltag kennen. Und irgendwas stimmt hier nicht: Tina kann nicht mehr im selben Bett mit ihrer Partnerin schlafen, hat Gefühlsausbrüche, ist dann wieder teilnahmslos.

„Ich warte, bis sich das Zittern einstellt und mein Körper sich beruhigt.“

Helfen trotz Trauma?

Eine traumatische Erfahrung wirft Tina aus der Bahn. Aber auch mit Trauma kann man eine gute Therapeutin sein, sagt Autorin Lisa Mundt. Schließlich erleben wir alle irgendwann ein Trauma. Die Schwierigkeit liegt darin, zu verstehen, wann man selbst Hilfe braucht. Auch als Therapeutin, denn das eigene Trauma kann anderen schaden, sagt Mundt: „Es ist eine Grenzsituation, bei der es auch zu Grenzüberschreitungen aufgrund dessen kommt. Dass das unprofessionell ist, wie Tina reagiert, das ist keine Frage.“

Vor allem den depressiven Patienten Simon behandelt die Therapeutin anders. Ihm wird die überforderte Tina fast zum Verhängnis. Es sind ethische Grundsätze des Berufs, die Mundt diskutiert, ohne die Profession an sich zu kritisieren. Denn auch Therapeut*innen machen Fehler. Die Frage ist nicht, ob Fehler passieren dürfen, sondern was nach einem Fehler passiert.

„Um mich geht’s nicht“

Mundts Intention war es nicht, eine Anleitung zu schreiben, wie eine Therapie abzulaufen oder eben nicht abzulaufen hat. Die Beschreibung der Praxis, Beginn und Ende der Sitzungen, Entspannungstechniken – das ist in der Realität wohl ähnlich. Anderes nicht: „Tina hat ihre eigene Problematik, die sehr stark rauskommt. Das ist sicher nichts, worauf man sich im Normalfall einstellen kann. Nicht bei jeder Therapeutin kann ich davon ausgehen, dass sie traumatisiert ist und mir eigentlich nicht helfen kann“, sagt Mundt.

„Manche Sachen im Leben. Einfach kaputt, verstehen Sie? - Aber es muss nicht so schwer sein“

Auch wenn die Therapeutin im Mittelpunkt steht, treiben die Patient*innen mit ihren Geschichten die Handlung voran. Trauer, sexuelle Gewalt, das Gefühl des Nicht-mehr-Könnens; das alles kann auf den 140 Seiten nur angerissen werden. Es ist ein bedrückender Roman, der auch zornig macht: eine Person, die es besser wissen müsste und ihre eigenen Ratschläge ignoriert. Was bleibt, ist die Frage, wie man helfen kann, wenn man selbst nicht mehr an Hilfe glaubt.

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