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Cover von Becks neuem Album "Hyperspace"

Universal

ROBERT ROTIFER

Beck - fasziniert von der eigenen Existenz

Becks Musik hat FM4 seit unserer Gründung begleitet, und selbst wenn er nicht so aussieht, nächstes Jahr wird er 50. Auf „Hyperspace“, seinem 14. Studioalbum, singt unser Dorian Gray of the Week über die Flucht an einen anderen Ort, „der nicht die Erde ist.“

Von Robert Rotifer

Das erste Mal begegnete ich Beck irgendwann kurz vor dem Erscheinen seines Albums „Midnite Vultures“, das ist über zwanzig Jahre her. Ich muss gestehen, ich war nicht sehr begeistert von jenem Album, über das ich mit ihm sprechen sollte.

Die Idee, dass Beck sich als eine Art weißer Indie-Prince neu erfunden hatte, erschien mir einfach zu gewollt, schon überhaupt ein Jahr nach „Mutations“, der Platte, auf der er sich vom postmodernen Hipster (was damals noch was anderes bedeutete) zu jener rarsten aller Spezies, einem hochinteressanten Singer-Songwriter gewandelt zu haben schien.

„Midnite Vultures“ hörte sich für mich an wie eine glorifizierte Demonstration seiner eher beunruhigenden Fähigkeit, diese Persona einfach wieder abzulegen. Aber natürlich sollte der scheinbar begeisterte Rest der Welt das - zumindest vorerst - wieder einmal anders sehen.

Damals also fand ich mich in jener frustrierendsten Lage jede*r Interviewer*in wieder, an einem runden Tisch in der Suite des Royal Garden Hotels in Kensington, umgeben von Schreibern aus halb Europa, die sich genauso wichtig nahmen wie ich, ein Alpha-Männchen-Auftrieb als verlässliche Verhinderung jedes aufzeichnungswerten Gesprächs. Und wer weiß, vielleicht empfand Beck Hansen das genauso.

Die Silben tropften jedenfalls nur zäh aus seinem kindlich roten Mund

... und fügten sich zu blutleer banalen Belehrungen über die Launen des künstlerischen Schaffensprozesses, bis er schließlich selbst die Geduld verlor und statt über seine eigene lieber über die Musik anderer Leute zu reden begann.

Ich kann mich nicht mehr an den Inhalt seines wohlmeinenden Namedropping erinnern, sehr wohl aber an Becks passiv-aggressive Feststellung: „Aber ihr werdet alle sowieso wieder nur die eh schon bekannten Namen zitieren.“

Zuhause angekommen versuchte ich genau das nicht zu tun, aber mein Mitschnitt der Worte des mundfaul murmelnden Meisters brachte mich nicht weiter. Es gab noch kein Google, in das man seine phonetischen Annäherungen eintippen und sich von der gnädig „did you mean...?“ fragenden künstlichen Intelligenz auf die Sprünge helfen lassen konnte.

Diesen Herbst, als ich Beck zwei Jahrzehnte später endlich allein gegenüber sitze – wieder ein Londoner Hotel, diesmal im West End –, erzähle ich ihm von meinem damaligen Dilemma, und wir verlieren uns prompt in einem wohl zu jeder Minute jeden Tages irgendwo auf der Welt geführten Alte-Männer-Gespräch (Beck ist jünger als ich, aber kaum) über die schweren, aber irgendwie doch besseren Zeiten, als Musik noch mehr wert war, weil man sie mühevoll suchen und finden musste.

Beck in einer Kirche

Mikai Karl

„Ich verbrachte so viel von meiner Freizeit damit, durch irgendeine Stadt in Japan zu laufen“, erzählt Beck, „auf den Verdacht, dass es dort einen Plattenladen geben könnte, der vielleicht eine rare Platte hätte, von der mir zu Ohren gekommen war. Oder ich suchte nach irgendwas von einem brasilianischen Künstler und ich fand ein Album, von dem ich nicht einmal wusste, dass es überhaupt existierte: ‚Was, der hatte 1972 ein Album? Ich kann nicht glauben, dass ich das gefunden hab, und es ist noch dazu sein bestes.‘ Das war diese Suche nach einem Gral der unentdeckten Musik. Und jetzt erwähne ich Namen, die damals noch so obskur waren, und die Leute sagen: ‚Ja klar, das kenn ich! Ist mein Lieblingslied!’
’Wirklich, du weißt, wer Skip Spence ist? Du kennst den Song I am the Cosmos (von Chris Bell von Big Star, Anm.)?’
Die Leute wissen das alles. Unlängst starb Daniel Johnston, und ich konnte nicht glauben, wie viele Leute ihn kannten. Ich hatte ihn jahrelang erwähnt, und keiner hatte irgendeine Ahnung, wer er war.“

Interessant, dass Beck hier gerade „I am the Cosmos“ einfällt. Und in Wahrheit natürlich gut, dass ihr dieser Tage augenblicklich nachprüfen könnt, wie nahe Chris Bells in den Siebzigern aufgenommenes, erst posthum veröffentlichtes, einziges Soloalbum stellenweise an das von Beck auf Alben wie „Mutations“ und „Sea Change“ kultivierte Songwriting herankommt.

„I am the Cosmos“ wurde 1992 veröffentlicht. Ein Jahr, bevor Beck mit „MTV Makes Me Want To Smoke Crack“ auf unseren Bildschirmen erschien.

Seither ist Beck Hansen mehr oder weniger zur Personifizierung dessen geworden, wie weit man es im Musikgeschäft mit dem euphemistischen Zweite-Liga-Prädikat „Alternative“ um den Hals bringen kann:

Immer den gewissen Deut zu spröde für den Mainstream, aber mit allerhand Grammys aus drei Jahrzehnten auf dem Dachboden

(Irgendwas sagt mir, dass Beck keine von innen beleuchtete Glasvitrine besitzt, aber ich könnte mich täuschen – was wissen wir schon über Beck? Auf einem amerikanischen Blog las ich neulich, dass das sieben Monate nach der Scheidung seiner 15 Jahre langen Ehe erschienene, neue Album „Hyperspace“ ein „break-up album“ geworden sei. Tatsächlich singt Beck darauf über Menschen, die teils schon seit Jahrzehnten tot sind, siehe das von einem lange verstorbenen Musiker, Freund und Junkie inspirierte „Stratosphere“.)

Beck, dessen überlebensgroßes Antlitz ich neulich bezeichnenderweise beim Durchfahren des Hipster-Ghettos Silverlake als überlebensgroßes Fresko an einer Hauswand sehen konnte, würde meiner obigen Charakterisierung wohl nicht zustimmen. Er sieht sich selbst keineswegs auf dem Nebengleis der künstlerisch wertvollen Schmalspurbahn einhertrudeln. Sonst wäre er auch nicht auf die Idee gekommen, ausgerechnet mit Pharrell Williams zusammenzuarbeiten, der seinen pop-positivistischen Genius gegebenenfalls auch gern an die Beschallung von Kinderparties verschwendet.

Wobei der ursprüngliche Kontakt übrigens nicht von Beck, sondern von Williams eingeleitet wurde. Ersterer scherzt jedenfalls nicht, wenn er behauptet, er habe sich von Zweiterem erwartet, mit ihm irgendwas „entlang der Dinge“ zu produzieren, „die er mit Leuten wie Snoop Dogg gemacht hat. Oder mit Justin Timberlake. Celebratory music.“

Williams dagegen ortete (so wie ich vor zwanzig Jahren, räusper) Becks Stärken auf der Singer-Songwriter-Seite seiner Seele und stürzte sich zielstrebig auf „Everlasting Nothing“, den vielleicht besten Song auf „Hyperspace“.

Cover von Becks neuem Album "Hyperspace"

Universal

„And I washed up on the shoreline
Everyone was waiting there for me
Like a standing ovation for the funeral of the sun
In the everlasting nothing
 
Friends I’ve known
Come and gone
Like a soldier
With no song
Still I’ll try
To get back home
In the everlasting nothing
 
Nowhere child keep on running
In your time you’ll find something
In the everlasting nothing“

Was denkt Pharrell Williams,

wenn Beck bei ihm im Studio so einen Song über den langen Weg in Richtung Jenseits singt, wo die Versammlung der vor ihm Gestrandeten dem Begräbnis der Sonne Stehapplaus gibt?

„Am Ende jagen wir alle irgendeinem Ziel hinterher“, sagt, Beck, „einer Belohnung, einem Status. Aber der einzige Trost, den wir erhalten, sind Momente, und was wir daraus machen. Jeder Aspekt unseres Lebens ist endlich und flüchtig und daher selten und schön, auch wenn es sich anfühlt, als würde es immer so weiter gehen.“

Ja, das mag sich pathetisch anhören, aber werdet einmal 50 (Beck wird’s kommenden Juli), und solche reuigen Gedanken werden euch in und aus dem Schlaf verfolgen.

„Ich habe mich so gefühlt, seit ich jung bin“, sagt dagegen Beck. Und wahrscheinlich hat man ihm das auch immer schon angehört. Nicht die lebensbejahende Huldigung des Moments, wohlgemerkt, sondern die Reue, ihn verpasst zu haben. „Musik hilft einem, sich daran zu erinnern, wer man ist, was man verloren und vergessen hat“, meint Beck, das „uralt kluge Kind“, wie ein deutscher Liedermacher einmal in einem seiner heimtückischsten Lieder sang. „Unser Leben ist ein Ritual der Existenz, das wir jeden Tag ausüben“, fügt er hinzu, „Sogar meine Existenz fasziniert mich. So eigenartig, dass ich mir das ausgesucht hab.“

Beck, der in seiner Jugend zeitweise mittellos genug war, um sich danach für den Rest seines Lebens privilegiert zu fühlen, ist einer, der sich beim Aufwachen immer wieder fragt, wie er in seine heutige Lage gelangt ist.

Er wuchs in einer mexikanisch-salvadorianischen Nachbarschaft nahe der Koreatown von Los Angeles „faktisch ohne weiße Kultur“ auf, „der Bus, der mich überall in Los Angeles hinbrachte, fuhr immer durch South Central“. Meine am Anfang dieses Texts verwendete Bezeichnung einer seiner Rollen als „eine Art weißer Indie-Prince“ war also ziemlich ignorant, Hip Hop war dem jungen Beck eindeutig vertrauter als die Singer-Songwriterei.

Eine interessante Lektion für Leute, die gern an der Hautfarbe eine*r Künstler*in ablesen, welche Kultur deren „eigene“ und welche eine „angeeignete“ wäre.

„Ich habe russisch-jüdische, polnische, skandinavische Wurzeln“,

sagt Beck, „In meiner Familie gab es Leute, die auf Schiffen arbeiteten, die Tankstellen besaßen, Motorradmechaniker... eher blue collar, könnte man sagen. Auf der Seite meiner Mutter gab es Leute, die Gewerkschaften organisierten. Mein Ururgroßvater war Abe Rosenberg, der der Chef der Textilarbeiterinnen-Gewerkschaft war (Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts, als Arbeiterinnen noch von männlichen Gewerkschaftern vertreten wurden, Anm.). Angeblich waren 100.000 Menschen bei seinem Begräbnis. Da gibt es viele interessante Fäden, die in die Vergangenheit führen. Wir sind eine Mischung aus der Umwelt, in der wir aufgewachsen sind, unserer Familie, unserer DNA, aber dieser Tage auch ein Teil der digitalen Dinge, die wir teilen, egal wo wir herkommen, ob du ein Milliardär oder in East LA aufgewachsen bist“, sagt Beck und hängt noch ein paar andere „egal ob“-Vergleiche an.

Derweilen schießt mir beim geistigen Kramen nach weiterführenden Fragen durch den Kopf, dass ich selbstverständlich der einzigen Vorbedingung für das Interview zugestimmt hatte, ihn nicht auf seine (offenbar familiär bedingte) Verbindung zur Church of Scientology anzusprechen. Keine Gefahr, erstens, weil diese mich im Gegensatz zur Geschichte über Abraham Rosenberg wenig interessiert, und zweitens, weil die damit verbundene Idealisierung des gesäuberten, analytischen Geists in Becks Texten so offensichtlich gar keine Rolle spielt.

Beck vor einer Landschaft

Mikai Karl

„Some days I go dark places on my own“, heißt es etwa in „Dark Places“, „Some days I go dark places in my soul.“ Das klingt nicht nach einem von alten Traumata befreiten, übermenschlichen Seelenzustand (gebe aber offen zu, ich weiß nicht viel darüber).

„I feel so ugly when you see through me“, singt er wiederum in „See Through“, dem einzigen Song auf „Hyperspace“, den der für den Vorgänger „Colors“ (2017) zuständige Greg Kurstin produziert hat, angeekelt vom Bild des gläsernen Menschen, zu dem ihn das digitale Leben macht, ob er will oder nicht. Der im Albumtitel benannte Rückzugsort, eine in Becks Teenager-Jahren aus der Science Fiction in die Videospielwelt übersiedelte Vokabel, ist immer schwerer zu finden.

„An einen anderen Ort zu flüchten, der nicht die Erde ist, das verstehe ich unter Hyperspace“, erklärt Beck, „Dieser Knopf in einem Videospiel aus den Achtzigern, den du drückst, um woanders hin zu verschwinden, bevor du stirbst. All diese Zerstreuungen und Modalitäten erlauben uns, den Fängen des Lebens zu entkommen.“

„In Hyperspace electric life is in my brain.“

Ausschnitte aus meinem Interview mit Beck werden heute ab 22 Uhr in meiner Sendung FM4 Heartbeat zu hören sein.

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