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Julia Franz Richter umarmt Franziska Weisz, die erschöpft wirkt. Filmstill aus "Der Taucher"

Robert Staudinger

„Der Taucher“ macht häuslichen Missbrauch zum Thema

Welche Dynamik zu greifen beginnt, wenn die engsten Vertrauten Täter sind - davon erzählt der österreichische Spielfilm „Der Taucher“. Es ist eine ernsthafte Auseinandersetzung.

Von Maria Motter

„Wir sprechen viel über die Gefahr dunkler Wege, doch die Wahrheit ist, dass der gefährlichste Ort für eine Frau in jedem Land der Welt ihr Zuhause ist“, schreibt die australische Journalistin Jess Hill in ihrem Sachbuch „See What You Made Me Do“ und räumt auf mit gängigen Annahmen über Gewalt gegen Frauen. Österreich war 2018 das Land mit den prozentuell meisten Frauenmorden in der EU. 41 Frauen wurden ermordet. Die Täter waren Partner, Ex-Partner und Bekannte. Opfer und Täter kamen aus allen Gesellschaftsschichten. Diese traurigen Fakten setzt Günter Schwaiger Weiß auf Schwarz ans Ende seines neuen Spielfilms „Der Taucher“.

Eine Villa auf Ibiza

Die Locations erinnern an Sonntagabend-Fernsehfilme, die nur die Liebe im Sinn haben. „Der Taucher“ spielt zur Gänze ausgerechnet auf Ibiza, wo der erfolgreiche Komponist Paul (Alex Brendemühl) mit seinem Sohn Robert (Dominic Marcus Singer) in einer Villa mit Pool residiert. Eine versteckte Kamera wird auch hier eine Rolle spielen.

Alex Brendemühl schaut Dominic Marcus Singer grantig an

Robert Staudinger

Dominic Marcus Singer ist „Der Taucher“, der Sohn eines erfolgreichen Komponisten (Alex Brendemühl)

Roberts Mutter hat angeblich Selbstmord begangen, als der noch ein Kind war. Der Vater hat eine Geliebte namens Irene (Franziska Weisz) und sie war schon auf frühen Familienfotos mit dabei, als Roberts Mutter noch lebte. Irene hat eine kleine Boutique und eine Tochter, Lena, die gerade die High School abschließt (Julia Franz Richter, die man aus „L’animale“ kennen könnte - die in „Der Taucher“ allerdings nicht wie eine Schülerin wirkt). Soweit die Verhältnisse.

Die Geschichte beginnt, nachdem Irene Paul angezeigt hat: Mitten in der Arbeit an der Fertigstellung eines Balletts erreicht Paul die Anklage, er habe die Geliebte schwer misshandelt. Es schaut nicht gut aus für ihn, teilt die Anwältin mit, und eine junge Journalistin von „Woman Ibiza“ kann der Mann, der sich beim Fagottspielen im Spiegel betrachtet, auch nicht mehr beeindrucken. Paul kämpft nicht um Liebe, er kämpft um seine Existenz und das nicht erst seit gestern.

Während Sohn Robert für den herrischen Vater Partituren vollendet, kurz über die Narben vom letzten Selbstmordversuch streicht und sich selbst nur noch fürs Tauchen zu interessieren scheint, hüpft Lena bald in einem Latzanzug wie ein Teletubby vor Paul herum. Lustiger wird’s nicht. Noch bevor das eine fröhliche Liebesgeschichte werden könnte, wird es tragisch.

Die Schauspieler Julia Franz Richter und Dominic Marcus Singer stehen am Strand und streiten. Filmstill aus "Der Taucher".

Günter Schwaiger Film, Extrafilm

„Der Taucher“ ist ein Versuch, die Mechanismen psychischer Gewalt in einem Psychothriller darzustellen.

Eine ernsthafte Auseinandersetzung

So sehr das Drama „Der Taucher“ manipulatives Verhalten demonstriert, so wenig können Verdachtsmomente zu Suspense anwachsen. Robert filmt seinen Vater und in der Garage kramt er die alten Super-8-Filme aus der Kindheit hervor. Denn auch das Motiv des Tauchers ist mehr eine innere Zustandsbeschreibung als ein filmisches Motiv.

Auch die Tatsache, dass sich alle hier auf einer kleinen Insel befinden, wird nicht in klaustrophobischen Verfolgungsszenen ausgeschlachtet. Hier grundeln Menschen und werden wieder und wieder Opfer häuslichen Missbrauchs. Der Leidensdruck sucht sich Ventile. Zur Scham über das, was einem angetan wird, kommt die Scham über Alkoholmissbrauch.

Wie scheinbar ruhig und widerstandslos Macht über andere ausgeübt wird, mag überraschen. Doch Regisseur Günter Schwaiger gelingt gerade in dieser Zurückhaltung ein Porträt eines Täters und seiner Opfer, das sich aus vielen Details treffend zusammensetzt. Es gibt sie, die gesellschaftlich hoch Angesehenen, die ihre eigenen Familienmitglieder in die Psychiatrie einweisen lassen. Es gibt die Täter, die sich jahrelang als Opfer inszenieren. Und in einigen der grauenvollsten Fälle von missbräuchlichen Beziehungen wandten die Täter körperliche Gewalt selten oder erst am Ende an.

Der Schauspieler Alex Brendemühl spielt einen Musiker, der beim Fagottspielen vor dem Spiegel sitzt. Filmstill aus "Der Taucher".

Günter Schwaiger Film, Extrafilm

Wie umgehen mit den ach so großen Künstler*innenpersönlichkeiten, die mit dem schweren Vorwurf, Täter zu sein, konfrontiert werden? Auch diese Frage spiegelt sich in „Der Taucher“.

Vielleicht ist es die Ernsthaftigkeit des Vorhabens, die hier einem Psychothriller in die Quere kam. „Der Taucher“ ist ein psychologisches Drama. Günter Schwaiger hat auch das Drehbuch zu seinem neuen Spielfilm selbst geschrieben. Im Finale allerdings vermag „Der Taucher“ eine überraschende Wucht zu entwickeln, und Franziska Weisz meistert die Rolle der Geliebten, die lang nicht zu realisieren scheint, wie ihr geschieht.

Victim-Blaiming & Sigmund Freud

Die australische Journalistin Jess Hill hat vier Jahre intensiv zu häuslicher Gewalt recherchiert. In ihrem herzzerreißenden, 2019 erschienen Sachbuch „See What You Made Me Do“ räumt sie auf mit gängigen Annahmen Ahnungsloser gegenüber Opfern häuslicher Gewalt. Jess Hill hat selbst gelernt, dass der Begriff „häusliche Gewalt“ nicht umfassend genug ist, sie schreibt von „häuslichem Missbrauch“. Und sie stellt fest: Fragt nicht, warum sie bei ihm geblieben ist - fragt, warum er ihr das angetan hat.

Wie sehr Sigmund Freuds Theorie des Penisneids und die Behauptung, dass alle Frauen masochistisch veranlagt seien und unbewusst bestraft werden wollten, nachwirkt und wie sehr die Erfindung des „Stockholm Syndroms“ die Fiktion von Opfern bestimmt, hält Jess Hill in ihrem Buch ebenso fest. Daraufhin könnte man sich auch die nächsten Filme anschauen.

„Der Taucher“ läuft diese Woche in den österreichischen Kinos an und ist außerdem im Rahmen der Kampagne 16 Tage gegen Gewalt an Frauen in Freistadt, Salzburg, Innsbruck, Linz, Graz, Wels, St. Pölten, Bruck an der Grossglocknerstraße, Klagenfurt, Villach, Lenzing und Wien zu sehen.

Häuslicher Missbrauch beginnt nicht damit, dass Männer Frauen nicht respektieren. „Its roots go much deeper - into men’s fear of other men, and the way patriarchy shames them into rejecting their own so-called ‚feminine‘ traits, like empathy, compassion, intuition and emotional intelligence“, schreibt Jess Hill. Der Spielfilm „Der Taucher“ ist ein Versuch, die Mechanismen von häuslichem Missbrauch mit einem Psychothriller aufzuzeigen. „Der Taucher“ kommt diese Woche in die österreichischen Kinos.

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