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Yung Hurn mit Engelsflügeln

yung hurn / screenshot

History Of Cloudrap

Jede Generation hat ihren eigenen Musikstil. In Österreich feiert deutschsprachige Musik in den letzten zehn Jahren ein großes Comeback und bringt ein neues Genre in die Charts: Cloudrap in deutscher Sprache.

Von Alica Ouschan

Taucht eine Musikrichtung auf, die sich keiner bisher dagewesenen Richtung so wirklich zuordnen lässt, wird schnell eine neue Genre-Betitelung erfunden. Aber was genau ist dieser Cloudrap eigentlich, der in Verbindung mit Money Boy erstmals in Österreich aufkam und spätestens seit Yung Hurn in aller Munde ist?

In diesem HipHop Subgenre werden typische Klischees aus dem Rap genommen und bis zur äußersten Lächerlichkeit übertrieben und ausgereizt. Geld, Drogen, Frauen, Gewalt, Designermarken – die eigene Person wird auf ironische Art und Weise idealisiert, um negative Gefühle wie Trauer und Schmerz zu überspielen und vor allem die eigene Erfolglosigkeit zu kompensieren. Diese wurde ursprünglich betont, indem die Songs nicht auf kostenpflichtigen Musikplattformen, sondern gratis zur Verfügung gestellt wurden. Wichtig ist ebenfalls, dass der Musikstil – wie viele andere Jugend-Genres – auf die Provokation älterer Generationen abzielt und schocken will. Der Cloudrap ist also gewissermaßen die musikalische Inkarnation des Dadaismus.

Cloudrap - der Dadaismus des HipHop

Cloudrap lädt ein, das Gehirn – das in unserer heutigen Gesellschaft ständig auf Hochtouren laufen muss – einfach mal abzuschalten. Das funktioniert besonders gut durch die geschaffenen Kunstfiguren, die sich als drogenverherrlichende Rap-Götter inszenieren und sich dabei aber selbst nicht ganz ernst nehmen. Der Text eines Cloudrap-Songs ergibt sehr oft keinen Sinn. Auch wenn im Rap allgemein davon ausgegangen wird, dass hauptsächlich der Text, der Flow und die Reime im Vordergrund stehen, so ist es im Cloudrap unterm Strich die musikalische Untermalung und möglichst viel Autotune auf der Stimme. Durch die Verwendung von Autotune-Effekten trauten sich viele Künstler erstmals, Gesangsparts in ihre Songs zu integrieren, was ebenfalls eine neue Welt an Möglichkeiten beim Herumexperimentieren eröffnet hat. Der übermäßig häufige Einsatz von markanten Adlibs ist ebenfalls ein viel verwendetes Stilmittel.

Auf musikalischer Ebene werden Trap-Einflüsse mit 808s kombiniert und mit melodischen Samples garniert. Im Cloudrap wird häufig das kodeinhaltige Trendgetränk Lean angesprochen, das sich zuerst bei Cloudrappern in den USA und dann auch bei uns etabliert hat. Der Konsum von Lean oder anderen Beruhigungsmitteln wie Xanax oder Benzos sorgt für ein verlangsamtes, heruntergeschraubtes Musikerlebnis – als würde man auf einer Wolke schweben. Cloudrap soll sich also so anhören, wie HipHop auf Lean oder Xanax. Prinzipiell ist alles erlaubt, solang der Beat bangt und gleichzeitig ein relaxter Vibe vom Song ausgeht. Cloudrap wird häufig nicht als Genre, sondern als Gefühl beschrieben.

Godfather Money Boy?

Wie viele andere musikalische Einflüsse, ist auch der Cloudrap aus den USA zu uns nach Europa geschwappt. Money Boy, der sich viele seiner musikalischen Inspirationen von amerikanischen Vorbildern holt, kreierte mit „Dreh den Swag auf“ im Jahr 2010 einen Hype, der Musikfans erfolgreich in Hater und Fans spaltete. Dabei hat er lediglich den bekannten Trap-Song „Turn my Swag on“ von Soulja Boy gebitet und übersetzt.

Musikalisch gesehen war „Dreh den Swag auf“ zwar eher Trap und kein Cloud, trotzdem polarisierte die extreme Inszenierung der Kunstfigur Money Boy aufgrund seines dadaistischen Charakters und seiner sinnbefreiten Texte. „Ist der wirklich so? Meint der das ernst?“ Die Antwort auf diese Fragen bleibt bis heute offen. Unbestreitbar bleibt Money Boys’ Einfluss auf die ihm nachfolgenden Generationen vor allem aufgrund vieler von ihm etablierter Phrasen und Wörter (Swag, fly sein, i bims etc.)

Österreichischer Cloudrap kommt aus Salzburg!

Nachdem Money Boy mit seinen Wiener Homies die Glo Up Dinero Gang gegründet hatte, fand sich im Jahr 2012 in Salzburg ein Künstlerkollektiv aus Rappern und Produzenten zusammen. Der Hanuschplatzflow hat das Genre des Cloudraps mit einer großen Portion österreichischer Ästhetik erstmals ganz neu interpretiert. Zu den heute bekanntesten Mitgliedern zählen beispielsweise Crack Ignaz oder Young Krillin. Außerdem brachte der Hanuschplatzflow mit Lex Lugner einen der wichtigsten Produzenten der deutschsprachigen Cloudrap-Landschaft hervor. Tracks wie „Based im Nebel“ oder „Elvis“ markieren den eigentlichen Beginn der österreichsichen Cloudrap-Ära.

Auch die Karriere von Yung Hurn, dem heute erfolgreichsten Cloudrapper Österreichs, hatte ihren Anfang in der Zusammenarbeit mit dem Hanuschplatzflow. Generell kann gesagt werden, dass Österreich in puncto Cloudrap seiner Zeit weit voraus war und seinen Akteuren definitiv eine Vorreiterposition zugestanden werden muss. Neben Lex Lugner gilt auch der Linzer DJ Stickle als einer der großen Produzentennamen im deutschsprachigen Raum. Während sich Yung Hurn mit Producer-Homie Stickle zum Berliner Kollektiv Life From Earth absetzte, bleibt der Hanuschplatzflow bis heute seinen Wurzeln treu.

Vom Underground zum Hype

Nach den Anfängen mit Money Boy und dem Hanuschplatzflow dauerte es aber noch einige Jahre, bis die Cloudrap-Welle so richtig ins Rollen kam. 2015 markiert das Jahr, in dem der Höhenflug begann. Crack Ignaz machte sich einen Namen als „König der Alpen“, Yung Hurn landete mit „Nein“ seinen ersten großen Hit. Es ergaben sich die ersten Zusammenarbeiten von österreichischen Produzenten mit deutschen Künstlern.

Namhafte Größen wie UFO361 oder RIN nennen Yung Hurn heute eine ihrer größten Inspirationen. „Bianco“, RINs Karriere-Kickoff, ist eine Kollaboration mit Yung Hurn und Lex Lugner.

Durch die enorme Popularität des Genres, die in den letzten fünf Jahren im ganzen deutschsprachigen Raum immer weiter zugenommen hat, wurde von vielen Seiten versucht, auf den Cloudrap-Zug aufzuspringen. Beispielsweise versuchten Casper & Marteria im vergangenen Jahr auf ihrem gemeinsamen Album „1982“ mit dem Song „Chardonnay & Purple Haze“ mitzuhalten und lieferten ein perfektes Beispiel dafür, dass Cloudrap eben doch nicht jeder machen kann. Wer sich zuvor als poetisch und tiefgründig inszeniert, dem wird die selbstzerstörerische, sinnbefreite Cloud-Ästhetik schlichtweg nicht abgekauft. Ähnlich erging es Chefket und Samy Deluxe, deren überaus belastende „Gute Nacht“ EP nach der Veröffentlichung sogar wieder aus dem Netz genommen wurde.

Ist Cloudrap reine Männersache?

Wie viele andere HipHop Subgenres auch, ist Cloudrap nach wie vor sehr männlich dominiert. Die Vermutung liegt nahe, dass dies vor allem daran liegt, dass Cloudrap sich durch Sexismus und Objektifizierung von Frauen als Stilmittel auszeichnet. Eine der wichtigsten Figuren (die zwar nicht aus Österreich kommt, aber in diesem Zusammenhang genannt werden muss) ist die Hamburgerin Haiyti. Ihre Einzigartigkeit, sich als weibliche Akteurin in der sexistischen Männerwelt des Cloudraps derart erfolgreich zu inszenieren, macht sie zu einer echten Cloud-Ikone. Bisher bleibt sie eine von wenigen Frauen, die sich das Cloudrap-Klischee erfolgreich zu eigen machen.

Das Wiener Duo Klitclique hat sich an das Experiment gewagt und macht seit einigen Jahren feministischen Cloudrap, indem sie den musikalischen Stil beibehalten, den Text aber gleichzeitig ihrer Sache anpassen.

Cloudrap fügt Ihnen und Ihrer Umgebung erheblichen Schaden zu

Den Dadaismus als Kunstformen in allen Ehren, muss dieser auch kritisiert werden dürfen. Dass der im Cloudrap glorifizierte Lifestyle keine erstrebenswerte Lebensrealität darstellt, fällt leider zu oft unter den Tisch. Die Frage danach, was Cloudrap alles darf und wo die Grenze liegt, ist schwer zu beantworten. Wenn das, worüber lyrisch gejoked wird, plötzlich Realität und der Künstler zur Kunstfigur wird, ist der Zeitpunkt gekommen, wo man einem Hype zumindest nicht mehr blind folgen kann und beginnen sollte, ihn zu hinterfragen.

Was passiert zum Beispiel, wenn die geschaffenen Kunstfiguren mit ihrer Musik tatsächlich rich and famous werden? Money Boy oder Yung Hurn zeigen, dass Cloudrap und Erfolg kein guter Match ist. Wer sich selbst als selbstzerstörerischen Dadaisten inszeniert, kann diesen Lifestyle vielleicht eine Zeit lang konsequent durchziehen, Drogen sind und bleiben aber gesundheitsschädlich und haben körperliche wie psychische Folgeschäden. Der glorifizierte Hustensaft-Drink, der mit Sprite gemischt getrunken wird wie ein kaltes Bier an einem heißen Festivaltag, hat eine ähnliche Wirkung und dasselbe Abhängigkeitspotenzial wie Heroin.

Money Boy hat sich vom Drogen-Lifestyle in ein Loch reißen lassen und aufgrund seines provokanten Verhaltens seit 2015 Spielverbot am Splash Festival. Nach dem berühmten Flaschenwurf und der darauffolgenden Anzeige bei einem Konzert 2016 ist er erst 2018 wieder ins Game zurückgekehrt – diesmal aber völlig clean und professionell, was seine Musik zwar qualitativ extrem aufgewertet hat, aber nicht mehr zum Bummzua-Image des Cloudraps passt. Yung Hurn übertreibt es mittlerweile mit inhaltslosem Sexismus und schlechten, zugedröhnten Live-Auftritten so weit, dass es einfach nicht mehr lustig, sondern nur noch problematisch und peinlich ist (mehr dazu im Artikel zum neuen Album „Y“). Der Cloudrap-Hype scheint – wie viele andere Musikhypes auch – ein begrenztes Potenzial zu haben, das langsam, aber sicher erschöpft ist.

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