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Mit Leyya in Eferding

Florian Wörgötter

FM4 Im Viertel

Weltstadtpop aus der Kleinststadt

FM4 Im Viertel #8: Das Elektropop-Duo Leyya zeigt seinen musikalischen Erweckungsort Eferding in Oberösterreich. Beim Besuch in der drittältesten Stadt Österreichs kommt die Warhheit ans Licht: Wie Producer Marco Kleebauer bei der Polizei landete, warum der Kirche ein Arsch vorsteht und wieso einer der jüngsten Bürgermeister Österreichs kaum Politik für die Jungen macht.

Von Florian Wörgötter

Wer den mondänen Elektropop des Duos Leyya hört, fühlt wohl als letztes den Klang eines 4.000-Seelen-Kaffs. Doch genau in einer solchen Kleinstadt in Oberösterreich sind Sängerin, Komponistin und Produzentin Sophie Lindinger und Produzent und Multi-Instrumentalist Marco Kleebauer aufgewachsen: in Eferding. Dort, wo die Jugend heute wie damals kaum eine Infrastruktur vorfindet, ist den beiden auch nichts anderes übrig geblieben, als ihre Freizeit voll der Musik zu widmen. Zum Glück.

Der Rest der Geschichte ist bekannt: zwei großartige Alben („Spanish Disco Deluxe“ und „Sauna“), zwei Amadeus-Awards, ein UK-Music Video-Award für „Wannabe“ und internationale Festivalauftritte. Abseits von Leyya hat Sophie im Indie-Quartett My Ugly Clementine alle Fäden in der Hand. Marco produziert die beiden letzten Alben von Bilderbuch und Beats unter seinem Namen. Eine Erfolgsgeschichte, die erst mit dem Umzug nach Wien begonnen hat, doch ihr Prolog spielt in Eferding – wo schon die alten Römer verkehrten und Kriemhild im Nibelungenlied übernachtete.

FM4 Im Viertel: Eine Reportagereihe

In der Radioreihe FM4 Im Viertel spaziert Florian Wörgötter mit österreichischen Musiker*innen durch ihr Wohnviertel. Beim Flanieren durch spannende Gegenden erfahren wir, wie die Künstler*innen leben, wie ihr Grätzl klingt und wie sich dieser Sound in ihrer Musik wiederfindet.

Holzsauna mit Kaffeeaufguss

Wer mit der Linzer Lokalbahn („LILO“) nach Eferding fährt, muss seinen Haltewunsch noch per Knopfdruck äußern. Am Schotter-Bahnsteig empfangen einen die heiligen Insignien des Landlebens: Lagerhaus-Turm, Kleingartenverein, ein umgegrabener Acker – und etwas überraschend: der Kulturbahnhof, kurz: KUBA – ein Kulturverein in einer alten ÖBB-Holzhütte, wo etwa Kabarett-Politiker Roland Düringer sein neues Programm testet.

Im KUBA haben auch Leyya sich mehrfach tagelang eingenistet, um ihre Alben „Spanish Disco Deluxe“ (2016) und „Sauna“ (2018) unter extremsten Bedingungen zu recorden: „Wir hatten keine Fenster, ein Hornissennest im Raum und je nach Jahreszeit war es entweder sauheiß oder schweinekalt“, sagt Marco. „Vielleicht hört man auf den Songs im Hintergrund die Hornissen brummen“.

„Eferding klingt nach unauffälligem Chartpop eines zufällig gewählten Radiosenders. Kann aber unaufdringlich im Hintergrund weiterlaufen"

Ein Foto der schweißtreibenden Aufnahmephase führte zum logischen Albumtitel „Sauna“. Die Provinz, in der sie Leben, haben Leyya aber herausgeschwitzt. „Dass uns die Betreiber wochenlang gratis den Klang der Hütte einfangen haben lassen, würde uns in Wien nicht passieren“, bedankt sich Sophie.

Austrias Next Sebastian Kurz?

Die ewige Sauregurkenzeit des jugendkulturellen Angebots in Eferding habe ihre Produktivität gesteigert und auf diesem Wege den Sound von Leyya am meisten geprägt, meint Sophie. „Für junge Menschen ist Eferding schon ein bisschen tot. Kein Kino, kein Einkaufscenter, das einzige Beisl hat nun auch für immer geschlossen.“ Da tröstet auch nicht der letzte Schrei der Kult-Kulinarik: ein McDonalds sperrt auf.

Was aber doch verwundert: Die drittälteste Stadt Österreichs wird von einem der jüngsten Bürgermeister regiert. Mit gerade einmal 22 Jahren wurde Severin Mayr im Jahr 2015 als ÖVP-Bürgermeister in den Gemeinderat gewählt. Das besonders Bemerkenswerte: Er musste gegen seinen Vater, den damaligen Chef der Grünen, wahlkämpfen.

Mit Leyya in Eferding

Florian Wörgötter

Ob es ihm in all den Jahren nicht gelungen sei, die Stadt zu verjüngen? „Es wundert mich auch, dass er nicht mehr für die Jugend macht", sagt Sophie. "Seit meinem letzten Gespräch mit ihm darüber wurde genau ein einziges Openair veranstaltet“, sagt Sophie. Dass im Gemeinderat soeben keine Mehrheit gefunden wurde, ob der „Jugendtreff“ noch weitergeführt werden soll, erkläre die Mentalität, mit der Jugendthemen in Eferding behandelt werden: „Machen wir was, aber reden wir nächstes mal drüber.“

Mit Leyya in Eferding

Florian Wörgötter

Lustigerweise war Sophie in der Volksschule die Banknachbarin des jungen Bürgermeister. Da beide noch nicht schreiben konnten, stellt sich die Frage nicht, wer von wem abgeschrieben hat. Auch kann (oder will?) sie keine kompromittierenden Details verraten, die dem Bürgermeister sein Amt kosten könnten. Ob Eferding den nächsten Sebastian Kurz hat? „Ich hoffe nicht“, meint Sophie.

Unkräuter der Provinz

Eine Station weiter am Eferdinger Skatepark wuchert der Wildwuchs aus dem Beton. Die Anordnung der Obstacles ist ein klarer Fall von einseitiger Stadtpolitik: die Jugend bekommt ihren Skatepark, doch die Politik bestimmt seinen Kurs. „Der Park ist so unlogisch aufgestellt, dass wir als punkige Pubertierende alle Obstacles zerlegt haben und neu zusammengebaut haben“. Also: DIY-Kreativität par excellence. Die Polizei hat Marco und die Gang trotzdem aufs Revier geschleppt. „Das war aber auch das einzig illegale, das ich in meinem Leben verbrochen habe“, erklärt Marco glaubhaft.

Mit Leyya in Eferding

Florian Wörgötter

Eine Crimestory vergleichbaren Ausmaßes beichtet Sophie, als sie sich an ihren Führerschein in der „Fahrschule Perfekt“ erinnert: In ihrer ersten Übungsfahrt hat sie ein Eichkätzchen überfahren. Dafür füttere sie heute deren Artgenossen in Schönbrunn umso mehr, scherzt sie reuevoll.

Wenn man mit Marco und Sophie eine Zeitlang unterwegs ist, wird einem klar, dass man nicht mit Bonny und Clyde auf Tour geht. Statt Schnaps und Drogen verkörpern die beiden Kaffee und Musik. „Wir waren keine Säufer, wir waren langweilige Teenager.“ Dafür führen sie sympathisch unprätentiös durch ihre alte Heimat Eferding, wo die wichtigsten Schauplätze im Doppelpack vorhanden sind: zwei Kindergärten, zwei Hauptschulen, zwei Cafés, zwei Kirchen.

„Mode, Wein und Lifestyle“

Am Stadtplatz stehen die seit dem Mittelalter kaum veränderten Bürgerhäuser bunt in Reih und Glied. In einem Schaufenster hängt ein Jutebeutel mit der Aufschrift: „Das Plus unserer City: Man verläuft sich nicht beim Shoppen“. Eine Fotosammlung mit Feuerwehrmännern und Dirndl-Dirndln betont drei weitere Highlights: „Mode, Wein und Lifestyle“. Hier am schön gepflegten Stadtplatz sitzt jeder Kopfstein neben dem anderen. Und am Ende des Zentrums, gelb erleuchtet, thront das fürstliche Schloss Starhemberg.

Mit Leyya in Eferding

Florian Wörgötter

Doch nähert man sich dem Prunkstück, trübt allmählich ein Schandfleck die Idylle: die Ruine des halbabgerissenen Stadtsaals. Es sei das große Streitthema der Stadt, meint Sophie, dass das ehemalige Veranstaltungszentrum seit einem halben Jahr ohne Todesstoß vor sich hin bröselt. Doch die Bühne hat als unfreiwilliger Open-Air-Schauplatz überlebt, der im Kontrast zum Schloss einem Kunstprojekt gleicht. Marco hat auf ihr schon als Kind seine Konzerte gespielt, Sophie auf ihr Ballet getanzt.

Ob Eferding auch eine Stadt der Widersprüche ist? „Für die Einwohner sicher nicht. Denn eigentlich passt hier alles zusammen – sofern man diese eine Vorstellung hat", meint Marco. "Wir wollten was anderes, daher sind wir weg“.

Der Arsch der Kirche

Ein weiterer ehemaliger Konzertort für Marco und Sophie war die Spitalskirche. Am Anfang ihres Schaffens haben die beiden vorm Altar erstmalig mit Band ein Konzert gespielt. „Die haben uns den Schlüssel gegeben und nicht weiter gefragt, welches Video wir da drehen", sagt Marco. „Unser damaliger sphärischer Klang ist super im Hall der Kirche aufgegangen“.

Leyya in Eferding

Florian Wörgötter

Sophie packt noch eine Sage zum Kirchturm aus: Offenbar war jener Bauherr, der für die Engelsfiguren am Kirchendach verantwortlich war, nicht ordentlich entlohnt worden. Daher setzte er seinem Unmut ein Denkmal und platzierte einen nackten Hintern am Kirchenturm. Noch heute prangen die prallen Backen über der Kirchenuhr.

Filterkaffee im Kellerverlies

Der letzte Stop führt uns in das Wohnhaus von Marcos Eltern, dem ehemaligen Basislager von Marco und Sophie. „Von so einem Keller-Proberaum können wir in Wien nur träumen: Wir brauchen nur die Stiege hinaufzugehen, schon werden wir verköstigt.“ Auch heute übernimmt der Papa das „Backstage-Catering“. „Das sind die gewissen Aufgaben eines Erziehungsberechtigten, während die Jugend im Keller forscht“, scherzt der gut gelaunte Papa Kleebauer und schaltet die Kaffeemaschine ein. Die Klangtüftler Leyya haben schon viele Sounds verarbeitet, doch das Rattern des Koffeingetriebes bleibt der wichtigste Klang ihrer Karriere. Andere Bands bunkern Bierkisten und Bongs, bei Leyya kocht im Proberaum eine Filterkaffee-Maschine.

Mit Leyya in Eferding

Florian Wörgötter

Wir steigen hinab in den kleinen Kellerraum („Verlies“). Selbstgebaute Akustikpanele verbarrikadieren das Fenster, an den isolierten Wänden hängen Pink Floyd-Poster, Marcos größter musikalischer Einfluss.

Marco trommelt auf seinem allerersten Schlagzeug, auf dem er schon im zarten Alter von acht Jahren den ersten Takt spielte. Die mittlerweile ausgefranste Hi-Hat (Eferdinger Becken?) wurde schon im Hit „Superego“ geschlagen, mit dem Leyya erstmals über die Landesgrenzen hinaus aufhorchen ließen. „Man hört auf der Aufnahme den Proberaum, doch da sind wir pragmatisch.“ Sophie schüttelt den Egg-Shaker und blickt nostalgisch auf ihr altes, kaputtes Mischpult. „Hier geht es nicht verloren. Das weiß ich.“

Mit Leyya in Eferding

Florian Wörgötter

Ob sich Eferding heute noch in der Musik und den Texten von Leyya wiederfindet? „Ehrlich gesagt nicht“, sagt Sophie. „Denn der Sound von Leyya ist erst durch den Großstadt-Vibe in Wien entstanden“. Marco ergänzt: „Unsere Musik kommt nicht von einem geografischen Ort, sondern von innen“. Doch gerade die Unaufgeregtheit von Eferding gibt den beiden die nötige Auszeit, um wieder Ruhe für neue Inspirationen zu finden.

Und – wie immer – die Schlussfrage: Wäre Eferding ein Musikstück, wie würde es klingen? „Wie unauffällige Chartpop-Musik eines zufällig gewählten Radiosenders, die aber unaufdringlich im Hintergrund weiterlaufen kann.“

FM4 im Viertel im FM4 Soundpark

Die Folge FM4 im Viertel mit Leyya gibt’s für 7 Tage im FM4 Player zu hören.

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