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Hunde und Schild eines Bettlers

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Todor Ovtcharov

Der Bettlerberuf

Dezember ist die beste Geschäftszeit für Mircea. Er entstammt einer Bettlerfamilie und ist stolz darauf.

Eine Kolumne von Todor Ovtcharov

Die ganze Welt kennt die „Dreigroschenoper“. In diesem Stück wird das grausame und skrupellose Leben der Unterwelt vorgestellt. Das Stück von Bertolt Brecht und Kurt Weill ist so ein Welterfolg gewesen, weil das jeder kennt oder wenigstens schon mal davon gehört hat. Die Handlung spielt in London, doch es ist allen klar, dass sich die „Dreigroschenoper“ überall und in jeder Epoche abspielen kann. Sie beinhaltet alles: Gangster, korrupte Polizisten, Prostituierte und Bettlerkartelle.
Wir lesen oft von einer aus Osteuropa stammenden Bettlermafia. Die Bosse der Bettler baden in Geld und die Bettler selbst leben in Elend. Laut einer Umfrage der Zeitschrift „Profil“ unterstützten 67% der österreichischen Bevölkerung ein allgemeines Bettelverbot in den Städten. Die Polizei führt derzeit eine gezielte Aktion gegen Bettler aus. Es soll überprüft werden, ob sie sich rechtmäßig in Österreich aufhalten. Der Wiener Sozialrat Hacker „hätte nichts dagegen“, wenn Bettler nach Osteuropa abgeschoben werden.

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Ich spreche mit Mircea, der vor meinem lokalen Supermarkt bettelt und frage ihn, ob er eine Abschiebung befürchtet. „Alle kennen mich in diesem Grätzl! Der Filialleiter und alle Kunden mögen mich! Warum soll man mich wegschicken, ich bin das Supermarktmaskottchen. Wenn mein Umsatz stimmt, stimmt er auch im Geschäft!“
Ich frage ihn, ob alles was er verdient für ihn bleibt oder er es an jemanden abgeben muss. Ich erwarte mir nicht, dass er mir die ganze Struktur der Bettlergewerkschaft erklärt, aber würde gerne wissen, ob er zum Betteln gezwungen wurde. „In meiner Familie sind alle Bettler, seit Generationen. Das ist unser Beruf. So wie du Geschichten im Radio erzählst oder der Fleischhauer Steaks schneidet! Mein Beruf wurde mir von meinem Vater weitergegeben, und ihm von seinem Vater.“ Mircea erzählt mir das nicht ohne Stolz.

Da wir schon in ein Gespräch verwickelt sind, bittet mich Mircea um einen Gefallen. Ich soll ihm helfen, sein Weihnachtsschild vorzubereiten. Ich schreibe auf einen Karton: „Liebe Kundinnen und Kunden, ich wünsche Ihnen und ihrer ganzen Familie Frohe Weihnachten und ein glückliches neues 2020! Ich bin euer Mircea!“
Er bedankt sich und fragt, ob ich alles ohne Fehler geschrieben habe. Er will nicht, dass sich die Leute über ihn lustig machen. Dezember ist die beste Zeit für sein Geschäft. „Black Friday und Weihnachtsaktion!“, Mircea lächelt mich an. Ein siebentes Weihnachten verbringt er vor diesem Supermarkt. Erst wenn die Zeit der Weihnachtsgüte vorbei ist, wird er Weihnachten feiern und bei seinen vier Kindern sein.

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