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HO / GOOGLE / AFP

Erich Moechel

In der Google-Belegschaft brodelt eine Rebellion

Nach der fristlosen Kündigung rebellischer Techniker kurz vor Thanksgiving steht Google nun ein Verfahren vor der US-Arbeitsrechtsbehörde sowie die Gründung eines Betriebsrats ins Haus.

Von Erich Moechel

Der Rückzug der Gründer Larry Page und Sergey Brin aus der Geschäftsführung des Alphabet-Konzerns am Dienstag hatte die Branche zwar überrascht. Die meisten Marktbeobachter gehen aber davon aus, dass es der perfekte Zeitpunkt für den Abgang war. Für Sundar Pichai, der vom Google-Geschäftsführer nun zum CEO der Konzernmutter aufgestiegen ist, gibt es von den Analysten jedoch statt Vorschusslorbeeren eher Bedauern.

Zu den wachsenden rechtlichen Problemen weltweit kommt mit der Wiederbestellung Margrethe Vestagers als EU-Wettbewerbskommissarin quasi eine Garantie auf neue Kartellstrafen in Milliardenhöhe. Ende November ist der jahrelang schwelende Konflikt von Teilen der Belegschaft mit der Geschäftsführung erneut eskaliert, nachdem die Gründung eines Betriebsrats mit Kündigungen beantwortet worden war. Nun steht offenbar erstmals ein Arbeitskampf bevor.

Screenshot Iri Consultants Intelligence Briefing

Iri Consultants

Dieses Unternehmen ist auf „Schwarze PR“ zur Spaltung der Belegschaft sowohl über die interne Unternehmenskommunikation als auch nach außen spezialisiert. IRI Consultants werden in der Regel engagiert, wenn ein Konzern die Konstituierung eines Betriebsrats und die gewerkschaftliche Organisation der Mitarbeiter verhindern will.

„Schwarze PR“ gegen Proteste

Aktuell dazu in ORF.at

Die Hintergründe des plötzlichen Abgangs von Larry Page und Sergej Brin

Die Anzeichen dafür sind deutlich. Auf die Kündigung hatten mehrere Abteilungen des Unternehmens mit einem „Walk Out“ reagiert, das ist in etwa mit einer spontanen Betriebsversammlung bzw. einem kurzen Warnstreik zu vergleichen. Google hatte Mitte November laut NBC News die berüchtigte Agentur für „Labor Relations“ IRI Consultants unter Vertrag genommen und deren Handschrift zeigte sich sofort. Die aufmüpfigen Techniker wurden als notorische Unruhestifter denunziert, dann wurden ihnen auf internen Mailinglists und Messageboards Verstöße gegen Sicherheitsvorschriften vorgeworfen.

Das ist die übliche Vorgehensweise solcher „Consulting Firms der anderen Art“, wie es auf der Website von IRI Consultants heißt. Direkt vor dem Thanksgiving-Feiertag waren die vier Mitarbeiter dann fristlos gekündigt worden, zwei Frauen und zwei Männer mit jahrelanger Erfahrung im Unternehmen, alle aus dem Technikbereich. Anders als die bisherigen Proteste, die sich seit 2016 an den Plänen der Geschäftsführung zur Rückkehr auf den chinesischen Markt bzw. an einem Drohnenprojekt mit dem Pentagon entzündet hatten, haben die aktuellen Proteste einen arbeitsrechtlichen Hintergrund. Erst kürzlich hatten sich Vertragsangestellte in Pittsburgh der dortigen Metallarbeitergewerkschaft angeschlossen.

Im Dezember 2018 hatten die internen Proteste gegen das Projekt „Dragonfly“, einer zensierten Suchmaschine für das chinesische Regime, zu einem peinlichen Hearing für Sundar Pichai im US-Kongress geführt

Maulkorberlass behördlich aufgehoben

Bereits im Sommer hatte die Unzufriedenheit der Belegschaft mit dem Kurs der Geschäftsführung Sundar Pichais einen vorläufigen Höhepunkt erreicht. Die Folge war einen Maulkorberlass für Google-Mitarbeiter Anfang September, der als interne Verhaltensregeln verkleidet war. Dieser Erlass betraf nicht einmal die Kommunikation nach außen, sondern die firmeninternen Diskussionen auf Mailinglisten und Message Boards. Belegschaftsvertreter hatten sich daraufhin an das „National Labor Relations Board“ gewandt, eine Regierungsbehörde, die seit den 1930er Jahren für arbeitsrechtliche Fragen wie etwa Kollektivverträge zuständig ist.

Screenshot Google Walkout

Public Domain

Das ist der gemeinsame Twitter-Account der sogenannten "Thanksgiving Four, die Mittlerweile

Die Arbeitsrechtbehörde ist am Zug

Laut Entscheidung der Arbeitsrechtsbehörde wurde Google dazu verpflichtet, in sämtlichen Büros eine Mitteilung an alle Mitarbeiter auszuhängen, in denen deren Rechte festgehalten sind. Ganz oben steht dabei das Recht auf eine gewählte Belegschaftsvertretung, das Recht auf offene interne Diskussionen über Arbeitsbedingungen oder Löhne nicht nur mit der Kollegenschaft intern, sondern dezidiert auch gegenüber Medien und anderen anderen Drittparteien. Es geht also indirekt um „Free Speech“ und die den ersten Zusatz zur US-Verfassung und dessen Gültigkeit auch am Arbeitsplatz.

Google ist nicht allein auf dubiosen neuen Geschäftsfeldern unterwegs. Amazon verkauft etwa Software zur Gesichtserkennung an Polizeibehörden und dient sich dem US-Militärapparat als Cloud-Provider an.

Als diese verbrieften Rechte nun wahrgenommen wurden, kamen die Kündigungen, am Dienstag reichten die gefeuerten Ingenieure dagegen bereits Beschwerde bei der Arbeitsrechtsbehörde und gingen erstmals an die Öffentlichkeit. Grund für den wachsenden Zorn der Belegschaft ist der Kurs, den die Geschäftsführung unter Sundar Pichai als CEO von Google seit 2015 fährt. Das 2016 gestartete Projekt „Maven“ musste die Google-Führung nach heftigen Protesten Ende 2018 auslaufen lassen. Die Google-Techniker hätten den Militärs fertige Lösungen zur Auswertung von Drohnen-Videos liefern sollen. Den Beteuerungen der Geschäftsführung, die Software würde nicht bei Kriegshandlungen eingesetzt, glaubte die Belegschaft nicht.

Screenshot Google Interne Mitteilung

Google

Dies ist nur ein kleiner Auszug aus dem Rechtekatalog, den Google laut Beschluss der Arbeitsrechtbehörden in sämtlichen Büros aufhängen musste. Online wurde diese Charta des US-Arbeitsrechts von Google nicht veröffentlicht. Vielmehr machten das Journalisten des Wirtschaftskanals CNBC öffentlich. (siehe auch ganz unten)

Außen Alphabet, innen Google

Das Dragonfly-Projekt einer zensierten Suchmaschine für China wurde erst im Juli endgültig abgeblasen. Dass es überhaupt gestartet wurde, während der US-Präsident gerade einen Handelskrieg mit China vom Zaun brach, wirft ein nicht eben visionäres Licht auf die Geschäftsführung. Und eben das ist das Problem für Sundar Pichai, gerade weil die Aktie gerade von einem Allzeithoch zum nächsten steigt. Gelistet ist ist sie zwar unter „Alphabet“, tatsächlich aber ist nur Google drin. Während der Umsatz mit suchebezogener und herkömmlicher Werbung 2018 rund 136 Millarden Dollar betrug, kamen alle anderen Firmen des Konzerns auf gerade einmal 500 Millionen.

Zieht man dann noch die Gewinne ins Kalkül sieht die Rechnung noch etwas krasser aus. Der nach Google zweitgrößte Umsatzbringer im Konzern, Waymo kam im dritten Quartal 2019, das im Oktober zu Ende ging, auf 150 Millionen Dollar Umsatz. Das allerdings bei einem Verlust von 940 Millionen im selben Quartal. Aller Vielfalt zum Trotz, die der Name „Alphabet“ verspricht, ist der Konzern vom Ökonomischen her noch immer absolut monolithisch aufgestellt. Das ist der große Unterschied zu Amazon, Microsoft und - mit Einschränkungen - auch Facebook und Apple.

Der Trend zur digitalen Gewerkschaft

Der Trend zu gewerkschaftlichen Organisierung im digitalen Sektor der USA ist schon seit Monaten zu beobachten. Die laufende Berichterstattung über die erste Anfänge bei Google durch in den digitalen Kanälen des Medienkonzerns NBC ist nicht zuletzt darauf zurückzuführen, dass sich die betreffenden Mitarbeiter im Oktober in die Gewerkschaft „NewsGuild“ eingetreten waren.

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